2016-12-15



Vor einigen Jahren antwortete mir der Designer Giambattista Valli auf die Frage, warum er sein Atelier nicht in seiner Heimat Italien aufgeschlagen hat, sondern in Frankreich: „Ich komme aus einem Land, in dem Zeitungen 85 % ihres Platzes dem Fußball und nicht einmal 5 % der Mode widmen. Ich musste umziehen.“ Ich selbst bin vor über einem Jahrzehnt umgezogen, aus anderen Gründen. Mein Blick auf Deutschland und seine Mode ist deshalb ein Außenblick und gerade jetzt finde ich, dass es schlimm um sie bestellt ist. Ich weiß nicht, wieviel Platz dem Fußball in der deutschen Tagespresse und dem Fernsehen genau eingeräumt wird, aber es ist offensichtlich sehr, sehr viel. Der Prozentsatz der Modeberichterstattung ist dagegen sehr, sehr gering und reicht ziemlich sicher nicht einmal an die 5 % aus Italien heran. Das mag man nun akzeptieren. Es ist auch nicht weiter schlimm. Schlimm ist aber, wenn die Mode versucht, durch Fußball Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – und genau an diesem Punkt sind wir jetzt.

Das von mir sehr geschätzte Deutsche Modeinstitut ernannte letzte Woche Star- und Nationalmannschafts-Torwart Manuel Neuer zum Krawattenmann des Jahres 2016. Ich habe nichts gegen Manuel Neuer, ein super Spieler, aber Krawattenmann des Jahres? Meinen die das ernst? Immerhin reiht er sich ein unter solch‘ authentische Krawattenmänner wie Willy Brandt, Günther Jauch und Hape Kerkeling (alle drei halte ich für eine gute Wahl). Warum wird das nun ein Kicker, der die meiste Zeit seines Tages im Trikot oder Trainingsanzug verbringt?



Manuel Neuer ist Krawattenmann 2016 – gekürt vom deutschen Modeinstitut

Ich zitiere aus der Begründung: „Wie auch in der Mannschaft beweist Manuel Neuer mit seinem authentischen Auftreten und einen damit einhergehenden Kleidungsstil eine herausragende Haltung. Neuer ist nicht nur durch seine außerordentlichen sportlichen Leistungen auf dem Fußballplatz ein Vorbild, sondern setzt auch zeitgeistige Trends in den Fokus des öffentlichen Interesses“, begründete Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts, die Wahl des Preisträgers. „Konzentriert auf Wesentliches – immer dem jeweiligen Anlass gerecht, sportlich leger oder modern-elegant, ist Manuel Neuer ein lebendiges Beispiel dafür, dass seine sportliche Haltung einer inneren Haltung entspricht, die ihren Ausdruck letztlich auch in einer ganzheitlich stimmigen äußeren Erscheinung findet. Somit wird Manuel Neuer sportlich wie ästhetisch zu einem modernen Stilvorbild.“ Der wichtigste Satz in dieser Begründung ist dieser: „Neuer […] setzt auch zeitgeistige Trends in den Fokus des öffentlichen Interesses.“ Kurz gesagt: Fußball schafft Publicity und die kann das deutsche Modeinstitut gebrauchen. Wie viele andere auch.

Das bringt mich zum zweiten Beispiel: PETA. Ich schätze die Organisation PETA vor allem dafür, dass sie Aufklärungsarbeit geleistet hat und uns für das Thema Pelz sensibilisiert hat. Aber – ebenfalls letzte Woche – bekam ihre Glaubwürdigkeit bei mir einen ziemlichen Knacks. Warum? Sie engagierten Cathy Hummels als Whistleblower für eine neue Kampagne gegen Tierquälerei.

Für alle, die sich, wie ich, gar nicht für Fußball interessieren, erkläre ich kurz (ich weiß, es ist unnötig, Ihr kennt sie eh alle), wer die Blondine im Video ist: Cathy Hummels ist ein WAG (= Wife And Girlfriend of a high-profile professional athlete). Konkret: Sie ist Ehefrau von Mats Hummels (wie Neuer ein Fußball-Star, Nationalmannschaft, Weltmeister, das übliche eben). Beruflich versucht sich Cathy Hummels als Moderatorin. Der Erfolg ist mäßig. Auf Facebook und Instagram ist sie sehr aktiv. Dort sieht man sie am 17. November eine Tasche aus exotischem Leder versteigern (für einen guten Zweck), am 5. November trug sie  – ebendort zu sehen – eine Mütze mit Pelzbommel. Am 9. Dezember wurde die Anti-Tierquälerei-Kampagne gestartet.



Nun bin ich kein Anti-Pelz-Verfechter, aber passt so jemand für eine PETA-Kampagne? Die Frage stellten sich viele. PETA vermeldete: Cathy sei bekehrt. Wirklich? Also das Shooting für die Kampagne fand sicherlich vor den zwei Facebook-Einträgen statt. Die Folge dieser umstrittenen Rolemodel-Wahl: Es gab einen Shitstorm. Natürlich. Aber ich behaupte nunmal frech: Für PETA  hat es sich trotzdem ausgezahlt.

Denn: Bei Google gibt es zu den Stichworten „Cathy Hummels PETA“ ganze 70.900 Einträge für ein Ereignis, das gerade mal ein paar Tage alt ist. Nicht schlecht, diese Publicity. Zum Vergleich: Für die Kooperation von Toni Garrn, einem der derzeit wichtigsten internationalen Models überhaupt, mit Closed gibt es 100.000 Einträge bei Google, aber dieses Koop ist auch schon einige Wochen her, und die Medien, die darüber berichtet hatten, heißen Vogue, Grazia, Modepilot. Über Cathy Hummels und PETA berichteten dagegen auflagenstarke Medien wie Focus, Bunte und n-tv. Man kann sich nun an drei Fingern abzählen, welche Kooperation sich bei einer Straßenumfrage als die Bekanntere erweisen würde. Die Antworten der Passanten in einer Fußgängerzone kann ich mir vorstellen: „Hä? Wer bitte ist Toni Garrn? Klar, die Hummels, die kenn‘ ich. Das ist doch die Frau vom Mats. Guter Verteidiger. Spielt der nicht bei Borussia? Quatsch, was sag‘ ich, der ist doch wieder zurück bei den Bayern.“

Gatte Hummels ist übrigens auch selbst als Roldemodel aktiv. Der Bayern München Spieler kooperierte mit Tag Heuer, Edel Optics hat mit Kicker Jérôme Boateng eine Brillenlinie aufgelegt… Beispiele von Fußball-Mode-Koops gibt es genug. Die Kollegen vom Magazin Icon haben die modischen Kooperationen der deutschen Fußballer in diesem Artikel zusammengefasst. Auch Adidas nutzte die Publicity eines Fußballers, um seine Ozean-Müll-Linie zu promoten. Warum er und nicht zum Beispiel ein bekannter Surfer auserwählt wurde, steht hier >>>. Ob Xabi Alonso auch ein Elektro-Car fährt, Bio-Gemüse isst und ansonsten umweltbewusst lebt, bleibt im Dunklen.

So mehrt sich bei mir der Eindruck: Nach der Lebensmittel-, Auto-, Sport-, Hifi-, Reisebranche ist nun die (deutsche) Mode auf dem Fußball-Trip. Dass WAGs und Ex-WAGs wie Sylvie Meis (414.000 Google Einträge), Lena Gerke (413.000 Google Einträge) oder Ann-Kathrin Brömmel (551.000 Google Einträge) die besseren Influencer sind (Germanys derzeit liebste Stylebloggerin Caro Daur kommt nur auf 174.000 Einträge), haben die meisten Mode-Marken längst kapiert. Die Damen werden reichlich ausgestattet. Nicht nur in Deutschland. Jean Paul Gaultier wies den Spielerfrauen bei seiner Farewell Show im September 2014 deshalb auch eine Starrolle zu. Zum ganzen Artikel geht es hier >>>.

Der immer zu Späßen aufgelegte Modedesigner stellte klischeehaft die Spielerfrauen als Kaugummi-kauende, Hot-Pants-tragende und Selfie-knipsende Frauen mit Föhnwelle dar. Klar sollte es humoristisch sein, aber in jeder Überzeichnung steckt auch ein bisschen Wahrheit. Und es stimmt auch, dass es nur sehr wenige Unterwäsche-Models – ohne einen Kicker-Freund – schaffen, berühmt zu werden. Auch wären nach Kathrins Meinung zum Beispiel Kurt Krömer, und nach meiner Meinung Oliver Welke wesentlich bessere Krawattenmann 2016-Kandidaten gewesen. Aber hätten Passanten auf der Straße mit diesen beiden Namen etwas anfangen können? Wir (und Jean Paul) können nun unken, wie wir wollen. Es ändert nichts an der Tatsache, dass gilt: „Sex sells“ und „Soccer sells even better“. Das weiß die leidende Modeindustrie auch und nutzt es. Aber traurig ist das schon, oder?

Der Beitrag Kommentar: Deutsche Mode und der Fußball erschien zuerst auf Modepilot.

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