Auf dem Gottesacker in Eben liegt ein Vampyr, d. i. ein Mensch, der nicht würdig ist, in geweihter Erde zu ruhen. Aus diesem Grunde wächst er im Grabe so lange, bis er unter der Freithofmauer in ungesegnetes Erdreich hinauskommt. Der Platz ist an der Mauer durch ein tief eingehauenes Hufeisen bezeichnet, das noch niemand vermauern konnte.
Die Gräfin Villing ist eine Ausnahme von der allgemeinen Regel der Frauen; darum macht auch ihr Haus eine solche. Sie empfängt gerne Gesellschaft; alle Fremden und Einheimischen, bedeutend durch Talent oder Rang, finden Zutritt in ihrem Salon, – aber wer nur in den bunten Kartenblättern den gesellschaftlichen Vehikel sucht und findet, kann immerhin daraus wegbleiben , denn die geistreiche, feingebildete Hausfrau hat einmal die Grille, das Spiel nicht zu dulden, und ihm eine angenehme abwechselnde Unterhaltung, bei der Kopf und Herz etwas zu tun bekommt, vorzuziehen. Aus diesem Grund ist aber auch ihr Zirkel bei weitem nicht der zahlreichste in der Residenz; vielleicht dafür das gewählteste, den der sinnige Gast stets mit dem Verlangen, recht bald wieder dahin zurückzukehren, verlässt.
Einst an einem Winterabend war die Unterhaltung in dem Salon der Gräfin besonders lebhaft. Ein liebenswürdiger deutscher Fürst, der unter seinen Silberhaaren noch jugendliche Munterkeit bewahrte, hatte das Haus der Gräfin mit seinem Besuch beehrt. Ein kleines musikalisches Fest war vorüber, die Erfrischungen herumgereicht, und die erlesene Gesellschaft, der fürstliche Anakreon neben der Frau vom Hause in der Mitte, hatte sich in weitem Kreis um den Kamin versammelt, dessen gastliche Flamme zu unumwundener Mitteilung aufforderte. Der wackere deutsche Fürst liebte ungezwungene Unterhaltung über alles, ging mit dem besten Beispiel voran, und diesem Beispiel folgten bald die übrigen Gäste. Tausend Gegenstände wurden berührt; Künste, Wissenschaften und Luxus gemustert; schließlich kam die Sprache auf das calderon’sche Stück, mit dem das Hoftheater sich vorgenommen hatte, das Publikum am selben Abend zu langweilen. Man staunte über die Hartnäckigkeit des Dramaturgen, der nicht aufhörte, die Schaulustigen mit Produkten fremder Zonen zu quälen, die niemals in der unsrigen heimisch werden können, in denen glückliche Gedanken nur gleich seltenen Schwimmern in einem weiten Meer von Albernheiten erscheinen, und obendrein noch durch die unerträglich steife Übertragung für gebildete Zuhörer ungenießbar werden. Man wunderte sich über die Gutmütigkeit des Publikums, das sich noch immer resignierte, die abgeschmackten Späße und Andächteleien des spanischen Dichters, (der sich wohl hüten würde, heutzutage solche Schauspiele zu schreiben), für Meisterwerke romantischer Kunst anzusehen, bloß, weil sie dreihundert Jahre alt, und auf fremdem Boden gewachsen sind. Man ging natürlicherweise auf den Schauspieler über, der Calderons Helden darzustellen hatte, gab seiner Trägheit den gebührenden Tadel, wie seiner Mimik das gebührende Lob, und erklärte einstimmig: Des Künstlers Augen gehörten unter die schönsten und ausdruckvollsten, die es gäbe. Stoff genug, den Faden der sich Unterhaltenden weiter auszuspinnen. Bald sprach man von des großen Friedrichs, bald von Napoleons Augen, und endlich von menschlichen Augen im Allgemeinen: Von grauen und blauen, grünen und schwarzen, oder pomeranzenfarbenen, wie man will. Der Ausspruch der Wortführenden ging dahin: Das Auge sei der schönste Teil des menschlichen Körpers, wie er der ausdruckvollste sei. Ein junger Mann aber, von ungemein blassem Angesicht und ernstem Wesen meinte, dieses Unheil scheine nur richtig. Die Schönheit des Auges bestehe aber lediglich in der Empfindung, die es gerade belebt. Wie man aber den Mund einer Person darum nicht allein schön nennen könne, weil er sich lächelnd schön ausnimmt, während er vielleicht im ruhigen Zustand unbedeutend erscheint, so müsse man auch das Gefühl, das aus dem Auge spricht, von dem Auge selbst unterscheiden, und er, der Sprecher, müsse gestehen, dass ihm dasselbe als der abschreckendste Teil des menschlichen Angesichts vorkomme. Die Zuhörer saßen erstaunt, als sie vernahmen, was ihnen ziemlich paradox zu sein schien, und konnten sich nicht genug wundern, wie ein junger Mann so sprechen könne, der selbst die größten und schönsten schwarzen Augen in seinem geisterblassen Gesicht trug. Er fuhr aber fort: „Ich hoffe, recht verstanden zu werden. Das heitere Leben verleiht dem Blick Reiz und Ausdruck. Wie könnte sonst der Liebende aus dem Auge der Geliebten Flammen des Entzückens saugen? Wie der Racheblick des Zürnenden den scheuen Gegner niederschmettern? Ein lebendiges Auge macht die alltäglichste Physiognomie lebendig. Ein seelenvolles macht sie schön. Es gibt auch fürchterliche Augen, die über alle Züge das Aushängeschild der Verworfenheit, des Hasses, der Verzweiflung breiten; von diesen rede ich aber nicht. Mit dem Auge an und für sich habe ich nichts zu tun, und sobald dieses wunderliche Chamäleon nicht mehr in der Idee lebt, sobald es in seinen natürlichen ausdruckslosen Zustand versinkt, ist es das Grässlichste, was es gibt. Die Hand eines Toten, sein Gesicht, gezeichnet mit dem Stempel der Vernichtung, haben aufgehört, schön zu sein, das Auge wird aber entsetzlich. Ich suche aber meine Beweise nicht an dem Körper, der schon der Zerstörung verfallen ist, sondern an Lebenden. Man sehe dem innigsten Freund starr und kalt in die Augen, einige Minuten lang und unverrückt; er verharre in derselben Stellung … man verbanne mit Gewalt jede anderweitige Idee, und mit wachsendem Schauer wird man des Gegners Auge nach und nach glanzlos, stier, verglasen sehen, und zum starren Schreckbild geworden, jagt es des Todes Eis in des neugierigen Forschers Adern. Ich habe diese Erfahrung im Spiegel an mir selbst versucht … dasselbe Resultat gefunden, und musste mich durch schnelle Zerstreuung von dem Grauen losmachen, in das mich die Untersuchung meines Auges gestürzt hatte.“ Eine lange und schwere Pause in der Gesellschaft. Wenige lächelten und zuckten die Achseln. Die Mehrzahl scheute sich, aus ihres Nachbars Augen ihr Urteil zu schöpfen, aus Furcht, die schauderhafte Erfahrung zur Stelle bestätigt zu sehen. Die Gräfin war die erste, die sich sammelte, und sprach:
„Fürwahr! Das Gespräch hat eine so ernste Wendung genommen, dass wir ebenfalls der Zerstreuung bedürfen, um uns des augenblicklichen Grauens zu entschlagen. Herr del Cane hat die Heiterkeit des Abends gestört und ist in Strafe verfallen. Das ängstliche Staunen seiner holden Nachbarin könnte hinlängliche Schande für sein Zartgefühl sein; da ich aber hier als Oberrichterin im Namen der ganzen beleidigten Damenwelt urteile, die ihre Augen nun einmal nur schön und liebenswürdig gefunden wissen will, so ergeht mein Spruch dahin, dass bemeldeter Herr del Cane, ob seiner frevelhaften Mitteilung fataler Experimente, gehalten werde, auf der Stelle ein galantes Impromptu auf die Taubenaugen seiner lieblichen Freundin zu machen. Um es ihm zu erleichtern, mag es in italienischer Sprache verfasst sein.“
„Darf ich Petrarca statt meiner sprechen lassen?“ fragte del Cane mit einem feurigen Seitenblick auf Florentine.
„Behüte“, eiferte die Gräfin. „Sie müssen reden … Sie. Petrarca ist ein Schwätzer, der nie bei seiner Laura Augen allein stehen bleibt, und wir haben es hier bloß mit den Augen zu tun.“
Der Verurteilte fügte sich in sein Schicksal, und zauberte in anderthalb Minuten ein Sonnettchen her, das regelrecht, klingend und ritterlich galant dem Zweck vollkommen entsprach, für den Verfasser ein zärtliches Wort des Dankes aus dem Mund seiner Nachbarin zur Folge hatte, und ihm die Verzeihung der Gesellschaft erwarb.
Auch der fürstliche Gast versicherte den glücklichen Dichter seines Beifalls. Sein Blick ruhte aber forschend auf dessen Antlitz, und zerstreut hörend und antwortend, schien er verwirrte Ideen und Erinnerungen in seinem Kopf zu ordnen.
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„Auf die Gefahr hin, unbescheiden genannt zu werden“ sprach er endlich zu der Gräfin, und zog sie in ein Fenster, „muss ich einige Fragen an Sie stellen, meine beste Gräfin. Für’s Erste, meine liebe Villing … wie nannten Sie den jungen bleichen Italiener, dem so eben das scharmante Sonnettchen glückte?“
„Del Cane, Ihro Durchlaucht, aus einem guten neapolitanischen Haus.“
Der Gardekapitän, der zwei Schritte von den Sprechenden entfernt mit der ehemaligen Hofdame von Maltingen im leisesten Gespräch verkehrt hatte, wurde bei diesem Namen aufmerksam, wie seine Gesellschafterin. Von faltigen Gardinen dem Fürsten und der Gräfin verborgen, verloren die Lauschenden keine Silbe.
„Was ist der junge Mann weiter?“ fragte der Fürst.
„Er ist geschäftslos, so viel ich weiß“, entgegnete die Gräfin. „Das Gerücht nennt ihn reich. Er hält sich ungefähr seit sechs Monaten hier auf, fand, obgleich fremd und ohne Empfehlungen, Eingang in dem Hause der liebenswürdigen Baronin, die ihm gerade jetzt zur Seite sitzt, und mit der er sich so angelegentlich unterhält.“
Der Fürst blickte hin, erkannte die Bezeichnete, nickte beifällig, während die Hofdame höhnisch die Lippen zog, und dunkle Röte dem Kapitän bis unter die Haare stieg.
„Ein holdes Frauenbild“, sprach dann der Fürst. „Rosiger Schein auf den Wangen, Himmelsbläue in den Augen, Purpur auf den Lippen, viel Schwärmerei, aber auch viel Liebe in Blick und Zügen. Der Name des lieblichen Kindes?“
„Florentine, verwitwete Freiin von Hersfeld. Convenienz verehelichte das sechzehnjährige Mädchen. Nach anderthalbjähriger freud- und leidloser Ehe starb der Gemahl, und hinterließ ihr nebst großen Gütern einen Sohn, in dem sie erst den Vater zu lieben begonnen hatte. Dieses Kind war der Witwe Idol, bis …“
„Bis der schlaue Italiener für sich den Altar gewann?“ lächelte der Fürst? „Ich verstehe.“
„Euer Durchlaucht haben erraten“, bekräftigte die Gräfin. „Er wusste die Witwe von neunzehn Jahren, die reichste Partie im Land, allen Mitwerbern zum Trotz zu fesseln, und ihre Verbindung ist schon so gut als festgesetzt.“
„Ich bin Ihnen verbunden, meine wackere Wirtin, für die Auskunft, die Sie mir zu geben so gütig waren“, versetzte hierauf der Fürst. „Meine geringste Pflicht ist nun, Ihnen von den Fragen, die ich tat, Rechenschaft zu geben. Aber ich weiß auf Ehre nicht recht, wie ich es anfangen soll. Denn für das Sonderbare, das ich Ihnen zu erzählen habe, kann ich nur meine Augen, mein seit einer Stunde wohl zu Rat gezogenes Gedächtnis, und meine Wahrheitsliebe, die wissentlich niemals einen Irrtum behauptet, als Bürgen aufführen. Zur Einleitung ein Reiseabenteuer. Auf meiner Reise nach Italien begriffen, kam ich vor zwei Jahren nach M**. Mein Arzt, der mich in den Seebädern von Livorno herstellen wollte, ward selbst krank, und verursachte einen Aufenthalt von einigen Wochen. Unter den Gästen des Hotels, das ich bewohnte, fiel mir ein junger Mann vor Allen auf. Seine männlich schönen Züge, seine strahlenden Augen zeichneten ihn vorteilhaft aus. Ich erkundigte mich nach ihm. Er wurde Angelo, Neapel seine Heimat genannt; ich erfuhr, sein Zimmer stoße an meine Gemächer, und diese Nachbarschaft gewährte mir in der Tat vielen Genuss. Denn in des Abends Dämmerstunden erklang seine Gitarre. Die Canzonen seines Vaterlandes und Barcarollen in venezianischer Mundart, von dem angenehmsten Bariton vorgetragen, stahlen sich mit den Blütendüften des Gartens in die offenen Fenster meines Zimmers, wo ich in behaglichem Schweigen den transalpinischen Melodien lauschte. – Ich spreche unvollkommen italienisch, … französisch war ihm nicht geläufig, die deutsche Sprache gänzlich fremd, darum kam unsere Unterhaltung, begegneten wir uns zufälligerweise, nie weiter, als auf ein paar schlecht und recht gegebene Komplimente von meiner, und eine undeutliche kalte Erwiderung von seiner Seite. Es herrschte überhaupt in seinen Blicken und Gebärden eine gewisse ängstliche Unruhe und Scheu, die vielleicht auch bei besserer Kenntnis der Idiome kein dauerndes Gespräch unter uns hätte zu Stande kommen lassen. – Doch ich bemerke so eben, dass ich, der Gewohnheit des Alters gemäß, zu breit werde, und gehe, Ihre Geduld nicht zu ermüden, zum Schluss meiner Reiseerinnerung. Ich war noch keine Woche in M**, als ich eines Nachmittags meinen Nachbar Angelo in Begleitung seines einzigen alten Dieners ausreiten sehe, und mich über seine Haltung, sein munteres Aussehen, die blühende Farbe seiner Wangen, und die hohe Regsamkeit seiner Glieder freue. Ich kehre am Abend aus dem Theater in den Gasthof, sehe in dem Korridor, der zu meinem Zimmer führt, viele Menschen gehen und kommen … ich fürchte für meinen kranken Äskulap, frage, erkundige mich, und höre, dass mein junger Nachbar gefährlich darnieder liege, dass er von Fieberschauern geschüttelt, den Folgen einer starken Erkältung, nach Hause gekommen, in Konvulsionen verfallen, dem Tode nahe sei. Gegen Mitternacht weckt uns das Geschrei und Geheul des Bedienten aus dem Schlaf. Angelo war so eben verschieden. Die Teilnahme, die ich für den Verblichenen gehegt hatte, machte mich geneigt, seine Leiche zu sehen. Ich sah sie mit dem Sterbekleid angetan. Der arme Jüngling! Seine Züge unentstellt, aber die Blässe des Todes auf seinen Wangen, kalt und starr seine Glieder. In meiner Gegenwart drückte ihm weinend der Diener die Augen zu; in meinem Beisein nahm ein Notar seine Hinterlassenschaft auf. Man fand ein Testament, Briefe, Kleinodien, Wechsel und Geld. Der alte Diener übernahm es, solche der Familie zu überbringen, ließ alles gerichtlich bescheinigen, versiegeln; packte und besorgte die Bestattung seines Herrn. Man musste den Jammernden mit Gewalt von der Leiche reißen, um sie in den prächtigen Sarg zu legen. Auch hier sah ich sie mit meinen Augen, und alle Bewohner des Hotels verabredeten sich, den Toten zu seiner Grabstätte zu begleiten. Die Stunde kam, der Sarg war schon in der Hausflur angelangt, die Träger wollten ihn auf die Schultern nehmen, als ein Reisewagen vor dem Hotel hielt. Eine junge Dame in Reisekleidern, von zwei Kammerfrauen begleitet, sprang heraus. Angelos alter Diener gewahrte sie, wurde geisterbleich, eilte dann auf sie zu, rang die Hände, und rief in italienischer Sprache „Verzeihung! Vergebung! Zu welchem Auftritt kommen Sie, Signora?“ – „Scellerato!“ herrschte ihm die Dame im Vorübergehen zu, Erbitterung und Grimm im Blick, und wandte sich dann zu den Trägern, verlangend, dass man ihr den Sarg öffne. Diese weigerten sich. Die Dame wies einen Polizeibefehl auf. Man gehorchte ihr. Der Deckel sprang auf. Die Fremde betrachtete den Toten mit fester Aufmerksamkeit, berührte sein Gesicht, schob seine Halskrause zurück, unter der sich ein sternförmiges brennendrotes Muttermal barg, und beugte sich dann zu ihren Begleiterinnen, sprechend: „Er ist es! Kein Zweifel! Er ist es gewiss!“ Keine Träne entfloss ihrem Auge, kein Schmerz verzog ihr Gesicht; nur ein leiser Schauder schien durch ihre Glieder zu beben, und mit einem Zeichen, den Deckel zu schließen, trat sie von der Bahre. Ich sah dies alles mit an, da ich wenige Schritte von ihr stand, und teilte das Staunen aller Anwesenden. Die Dame zog Angelos Diener auf die Seite, wechselte wenige heftige Worte mit ihm, ließ sich die Schlüssel zu des Verstorbenen Zimmer und Effekten ausliefern, und erlaubte nun die Fortbringung des Toten. Der Leichenzug ging vor sich. Wir folgten in der sonderbarsten Gemütsstimmung. Der alte Diener schwankte wie vernichtet hinter dem Sarg her, und verließ laut weinend das Grab, in das sein Herr gesenkt wurde. Ich sah ihn versenken, ich hörte das Poltern der Erdschollen, mit denen das Grab zugeworfen wurde. Als ich ins Hotel zurück kam, hatte die Fremde, – Angelos Schwester, wie man von den Wirtsleuten hörte, – Gasthof und Stadt verlassen, samt ihres Bruders beweglicher Habe. Sein alter Diener war ebenfalls abgereist, um einem nahen Verwandten seines Herrn die Kunde zu bringen, dass ihn der Verblichene, kraft seines beim Notar deponierten Testaments, zum Erben des größten Teils seines Vermögens eingesetzt habe.
Ich hielt mich noch vierzehn Tage in M** auf, und Angelos Tod war lange schon vergessen in dem Treiben der volkreichen Stadt, als ich abreiste. Das Bild des toten Jünglings blieb aber noch lange lebendig vor meinem Geist, und frischt sich heute auf die seltsamste Weise auf, und dennoch haben mich meine Sinne damals nicht getäuscht; … sie täuschen mich noch nicht, so gern ich’s mich überreden möchte, denn dort am Kamin sitzt derselbe Angelo, den ich vor zwei Jahren, hundert und fünfzig Stunden von hier, in M** lebend, dann als Leiche, und begraben sah; sitzt dort, nicht wie ich ihn in des Lebens Blüte, nein, wie ich ihn auf seinem Sterbelager, wie ich ihn zweimal im Sarg sah.“
„Um Himmelswillen, del Cane!“ flüsterte die Gräfin, einen scheuen Blick nach dem Italiener sendend. Die Hofdame legte bange ihren Arm in den des Kapitäns, in dessen Antlitz sich ebenfalls eine seltsame Bewegung kund tat.
„Erklären Sie nun, meine schöne Philosophin !“ bat der Fürst.
„Wie soll ich?“ erwiderte die Gräfin sinnend und vergleichend.
„Was meinen Sie?“ fuhr er lächelnd fort, „ein Gespenst?“
„Euer Durchlaucht scherzen“, versetzte die Wirtin errötend.
„Oder eine sonderbare Ähnlichkeit?“
„Die natürlichste Erklärung, wenn nicht …“
„Meine Philosophie zweifelt? Es ist also etwas Unheimliches in der Sache.“
„Man sollte denken, denn Euer Durchlaucht wissen noch nicht, wie gut Ihnen Ihr Gedächtnis dient.“
„Wieso? Sie machen mich erst neugierig.“
„Der Name…“
„Trifft nicht zu?“
„Doch. Del Canes Name ist Angelo.“
„Wär’s möglich?“
„Und das Mal am Halse …“
„Findet sich am Ende auch vor?“
„Ach, mein Gott, ja …“
„Sie hatten gesehen?“
„Mit diesen meinen Augen. Auf dem letzten Balle erschien del Cane in der romantischen Tracht des Mittelalters, und durch den dünnen Spitzensaum seiner Halskrause brannte wie ein Komet der fatale rote Stern.“
„Sonderbar!“ murmelte der Fürst, den Kopf wiegend. „Sonderbarer, als ich dachte. Diese zutreffenden Merkmale, meine Überzeugung … es ist sein Gesicht, wie es im Tode war; es ist seine Stimme, seine Gebärde, nur ernster, schleppender als Stimme und Gebärde sich in dem lebenden Angelo aussprach.“
„Sein seltsames Benehmen“, fügte die Gräfin bei, „seine düstere Melancholie, die nur augenblicklich hellere Flammen schlägt …“
„Und er ist Bräutigam?“ fragte der Fürst. „Wie konnte er jenes Herz gewinnen?“
„Wie bezaubert man unser Herz?“ fragte die Gräfin fein entgegen. „Ist es nicht unergründlich in seinen Launen und Neigungen? Doch hier ist mehr. Florentine ist aus der Familie der Eschen. Seit mehreren Jahrhunderten hat ein seltsames Schicksal dieses Geschlecht betroffen. Die männlichen Sprossen desselben sterben entweder in der Blüte ihrer Jahre, oder verfallen in einen stillen Wahnsinn, der nicht auf kurze Zeit bei ihnen einzieht, und sich nach der Jahreszeit richtet, wie bei einem gewissen Obersten, aus einem gewissen Geschlecht, in einer Erzählung unseres ritterlichen Fouques, sondern der sie bis ins Grab begleitet. Die kritischen Jahre sind vom dreißigsten bis zum fünfunddreißigsten. Die Frauen dieser Familie sind galanter bedacht, und das Fatum lässt es für sie bei einem ausgezeichneten Hang zur Schwärmerei und zum Wunderglauben bewenden, während es die Stammhalter in das Irrenhaus oder in die Gruft stößt. Eine solche liebenswürdige und ängstliche Schwärmerin ist meine gute Florentine, und fühlt sich darum schon zu dem geheimnisvollen del Cane hingezogen, dessen eisige Rinde dennoch eine glühende Leidenschaft decken dürfte. Er hat sie gänzlich für sich gewonnen; sie hängt mit voller Seele an ihm, trotz der Abneigung, die ihr Bruder gegen den künftigen Schwager hegt.“
„Ihr Bruder?“
„Ja, Euer Durchlaucht; der letzte männliche Spross des Geschlechts von Eschen, mit dem es zu Grabe geht, weil er sich nicht zu vermählen gedenkt.“
„Wie steht es denn mit ihm?“ fragte der Fürst, und wies lächelnd auf die Stirn.
„Ei nun“, erwiderte die Gräfin, „er tritt in die gefährlichen Jahre, und ich denke, er gehört nicht unter die Ausnahmen, die ohnehin in der Familie nur äußerst selten vorgekommen sind, und niemals an den Stammhaltern. Er ist trüben Sinnes, melancholischer Natur, wie man sagt; besucht keine Gesellschaften, hat, wie man behauptet, auf einer berühmten Universität die Arzneikunde mit allem Eifer studiert, um durch die bewährteste diätetische Regel dem Schicksal seiner Vorfahren zu entgehen, wenn es immer möglich ist; … soll sich aber, wie man ebenfalls behauptet, durch sein anhaltendes Studium dem Irrenhaus um mehrere Jahre näher gebracht haben.“
„Das ist ja ein bedauernswertes Schicksal“, sprach der Fürst. „Und in diese Familie soll noch jener del Cane treten, von dem wir nun im eigentlichen Verstand nicht wissen, ob er zu den Toten gehört, oder noch das Recht hat, unter den Lebenden zu wandeln? Was wird da am Ende heraus kommen? Denn, meine gute Gräfin, lassen wir jenes Abenteuerchen auf noch so natürlicher Basis beruhen,… wunderlich bleibt es doch. Ihrer Diskretion allein habe ich es anvertraut, und in Ihrem Busen sterbe es, wie ich auch mit niemand davon reden werde, um nicht vielleicht fremde Ruhe dadurch zu stören. Erlauben Sie mir jetzt, Sie wieder zu der Gesellschaft zurückzuführen, die schon zu lange der lieblichen Hausfrau entbehrte.“
–
Ohne zu wissen wie, war das Fräulein von Maltingen mit dem Gardekapitän in ein Nebenzimmer getreten, das liebenden und Ränke schmiedenden Pärchen ein willkommenes abgelegenes Versteck bot. Antonie warf sich gedankenvoll in das Sofa; der Kapitän stand vor ihr, lächelte von Zeit zu Zeit, und kaute an den Nägeln.
„Was sagen Sie zu dem, was wir gehört?“ fragte sie endlich.
„Dass unsere Saat in schönster Blüte steht“, versetzte der Hauptmann.
„Dem Fürsten darf man trauen … er lügt nicht“, sprach Antonie weiter. „Auch trifft alles mit seiner Erzählung zusammen … Was ist demzufolge dieser del Cane eigentlich?“
„So Gott will, ein Mensch, wie wir;“ erwiderte kalt der Kapitän.
„Der aber schon im Grabe lag, in des Todes Armen! … Der …“
„Das kann alles natürlich zugehen, meine Gnädige“, sprach der Hauptmann von Lissa, „auch ich, in dem Treffen von Sanderslohe verwundet, lag Tage lang …“
„Um Gotteswillen.“ fiel das Fräulein heftig ein, „verschonen Sie mich mit der hundertmal wiederholten Geschichte!“
„Wie Sie befehlen, meine Beste“, spöttelte der Hauptmann. „Auch mit meiner Gegenwart verschone ich Sie.“
Er wollte gehen. Antonie rief ihn mit den sanftesten Schmeichelreden zurück.
„Vergeben Sie mir“, sprach sie, seine Hand ergreifend. „Ich bin so bewegt, so gereizt … ich bitte Sie um Vergebung … Ach ich habe Ihnen so viel abzubitten, guter Harduin!“ Harduin sah mit besonderem Ausdruck auf sie herab. „Fühlen Sie das?“ fragte er schneidend.
Antonie drückte seine Hand an ihr Herz, und senkte das schöne Haupt. Der Hauptmann überließ ihr kalt seine Rechte, stützte sich mit der Linken auf den Degen, beugte sich tiefer zu der Reuigen, und fuhr leiser fort:
„Ich habe Menschen kennen gelernt; zum Teil durch Sie, Antonie. Diese Kenntnis hat mich belehrt, dass Sie seit einiger Zeit etwas auf dem Herzen haben, dass Sie sich mir wieder zu nähern suchen, mir, von dem Sie so lange getrennt wandelten. Ich kam Ihnen und meinem Triumph entgegen, feiere ihn jetzt, denn ich sehe es, Sie bedürfen meiner; in der ganzen Welt nur meiner, weil Sie auf meinen Dienst in Ihren jetzigen Verhältnissen am meisten zu rechnen haben.“
Ein tiefer Seufzer entquoll Antonies Brust.
„Galt dieser Seufzer der Vergangenheit?“ fragte Lissa, und ein leiser Abglanz schönen Gefühls flog über sein leidenschaftliches Antlitz. „Ja, es war eine schöne Vergangenheit, in der wir einst lebten, als der ungelenke, aber unverdorbene Harduin die Fahne bei der Garde erhielt, und Gnade fand vor den Augen der schönsten Jungfrau des Hofs; als günstiger Zufall und Gelegenheit ihn in Antonies Arme führte … als an seiner Brust die Geliebte von Wonnetaumel hingerissen der Schicklichkeit vergaß, und Unschuld gegen Unschuld tauschte in verschwiegener Minne! Selige Zeit! in wenigen Monden verrauschtest du. Jahre sind seitdem darüber hingeschlichen. Harduin war vergessen, Antonie lag im Arme des Herzogs. Der verzeihliche Sinnenrausch zweier Liebenden war zum fressenden Lasterkrebs geworden. Deine Tugend erstickte unter dem Purpurmantel deines Verführers. Die meinige ging unter in den wilden Lüsten, die mich über deine Untreue betäuben sollten. Aus dem rohen Feldlager kam ich zurück, sah, ohne rot zu werden, der Favoritin ins Auge. Errötete sie bei meinem Anblick, so tat es nur das Verlangen, denn ich war zum Mann gereift. Auch meine Sinnlichkeit entflammten ihre ausgebildeten Reize auf’s Neue. Einen Schleier über jene Stunden. Sie brachen den Stab der Erniedrigung über uns.“
„Harduin! halt ein!“ stöhnte Antonie, und drückte krampfhaft seine Hand an ihre nassen Augen.
„Noch wenige Worte, und ich bin zu Ende“, fuhr der unerbittliche Hauptmann fort. „Wir hatten uns kennen gelernt. Du konntest dich leichtsinnig aus meinem Arm winden, und an des Herzogs Busen sinken. Ich konnte aus deiner Hand diese Epauletten nehmen, die vielleicht einem Würdigeren gebührt hätten. Ich konnte sie annehmen, und wusste, um welchen Preis sie erstanden waren! Da erschien del Cane in der Residenz. Du sahst ihn; seltsame Laune oder krankhafte Übersättigung ließ dich in leidenschaftlicher Glut für den blassen Sonderling entbrennen, stieß dich vom Gipfel deines Glücks. Der fischblütige Fremde wich deinen Lockungen aus, steigerte dein Verlangen zur rücksichtslosen Begierde. Ein Billet, für del Cane bestimmt, das Unbesonnenste, das vielleicht je ein Weib in deinen Verhältnissen schrieb, fällt in des Herzogs Hände, und bewirkt, was der Fürstin milde Tugend nicht vermocht hatte: Deine Entfernung vom Hof. Er hat dich wahrlich geliebt, der Herrscher, denn er schonte, – wie vielleicht noch Keiner. – Für freiwilliges Zurücktreten hält die Fürstin und die Welt, was eigentlich Verweisung ist, und du genießest jetzt mehr Achtung als vorher. Aber deine Stützen sind dennoch gebrochen. Man duldet dich gerne, man hebt dich aber nicht mehr, del Cane verschmäht dich, reicht seine Hand einer anderen. Du sinnst auf Rache, blickst nun nach einem Helfer. Alle stehen dir fern, Harduin der nächste. Deine Kreaturen sind gesplittert, wie das schwache Rohr, der Freund aus den Tagen deiner Unschuld, der hintergangene, zurückgesetzte Freund bleibt die einzige Zuflucht. Wird er aushalten, wo andere fliehen? Das fragst du dich in diesem Augenblick, Antonie, in dem deine gereizte Weiblichkeit das Glück einer anderen zu zerstören glüht. Mit dieser Frage quälst du dich seit acht langen Tagen, bis dich der heutige Abend bestimmt, dich in meinen Schutz zu begeben. Der Schein von Heiterkeit auf deiner Stirn belehrt mich, dass ich recht geraten, und dir ein schweres Geständnis erspart habe. – Nun reden Sie, mein Fräulein!“
„Darf ich?“ flüsterte Antonie, scheu und forschend zu ihm emporblickend.
„Ohne Umschweife?“ versetzte der Kapitän. „Rechnen Sie auf mich.“
„Ist das Edelmut oder Spott?“ fragte das Fräulein zögernd.
„Edelmut?“ sprach der Hauptmann mit verächtlichem Ton. „Wie käme der zwischen uns? Spott ist’s aber auch auf meine Ehre nicht.“
„Ich habe keine Ansprüche auf Ihre Bereitwilligkeit“, stotterte Antonie, „ich fühle das.“
„Wohl Ihnen, wenn das ist“, erwiderte Harduin ernst. „Dem ungeachtet aber bin ich Ihnen verpflichtet. Nicht wegen meinem Rang; er ist ein unsichtbares Brandmal. Aber Sie waren meine Lehrerin in der schönsten Kunst; ich der Erste, den Sie unterrichteten. Diese Erinnerung, die in der verdorbensten Phantasie als reines Zaubergold leuchtet, macht mich zu dem Ihrigen. Reden Sie.“
„Harduin! Sie zerfleischen mein Herz, und ich soll…“
„Keine Szene, Antonie; keine Klage! Schleichen Sie nicht wie eine Schlange auf Ihren Zweck zu. Meine Freimütigkeit ist der Erwiderung wohl wert. Scheut sich Ihre Zunge vor dem Wort, so will ich die Tat, die Ihr Herz begehrt, in Worte setzen. Der Sie verschmähte, ist auf dem Punkt, glücklich zu werden. Er darf es nicht. Seine Braut, deswegen gehasst, weil Sie nicht an ihrer Stelle sind, darf es auch nicht. Also: Verderben über Beide. Sie ahnen, dass sich aus der Erzählung des Fürsten Gift bereiten lässt; Sie brauchen einen Gehilfen, der Sie kräftig unterstütze, den wahnsinnigen Bruder gegen die Schwester Hetze, während Sie mit geschäftiger Hand den Brand des grollenden Argwohns in die leichtgläubige Brust schleudern … einen Gehilfen, der im Notfall mit dem Degen einen Knoten zerhaue, den vielleicht die Zwietracht allein nicht lösen kann, und dieser Gehilfe soll ich sein. Ist’s nicht so?“
„Harduin!“ rief Antonie aufspringend, und sich an seine Brust werfend …, „mein Engel! mein Retter! … wenn du einwilligst! wenn es uns gelänge! … ich kann sie nicht glücklich sehen! wenn wir siegten … welche Wonne! nur danken könnte ich dir … nimmer dich belohnen!“ setzte sie langsamer hinzu. „Ich habe dir ja nichts zu bieten …“
„Was nicht schon mir verfallen wäre?“ ergänzte der Hauptmann mit kaltem Hohn. „So ist’s! Doch gleichviel. Der Wechsel des Augenblicks, der Szene, wie unserer Laune, schafft gewohnte Genüsse zu neuen um. Liebe, Begierde und Interesse lohnen mit gleicher Münze, doch ist es nicht derselbe Lohn … ich kenne das. Wie aber die Rache den Minnesold spendet, das will ich erfahren.“
Antonie bebte zusammen vor seinem flammenden Blick. Er fuhr aber fort:
„Seien Sie ruhig indessen, mein Fräulein. Nicht jener Neugierde schwacher Strang bindet mich allein an Sie. Ich habe mit jenem Italiener abzurechnen, der mir Ihr Herz zum zweiten Mal entrissen hat. Einem Herzog konnte ich wohl weichen … dem Träumer weiche ich nicht. Darum verlassen Sie sich auf mich. Morgen sehe ich Sie, teile Ihnen meine Pläne mit, und dann frisch an das Werk!“
Ein dankbarer Kuss brannte auf seinen versagenden Lippen. „Harduin!“ flüsterte Antonie … „sollte die aufrichtigste Reue jene süße Vergangenheit nicht wieder ins Leben zaubern? Keine Buße mich deiner würdig machen können?“
„Meiner würdig?“ wiederholte Harduin, und sah sie lange durchdringend an, legte seinen Arm um ihren schlanken Leib, und zog sie an sich. „Warum das nicht? Es gilt den Versuch, Magdalena! Büße, bereue; lasse aber deine Reize nicht unter den Büßungen sterben!“
Die schöne Büßende legte wie träumend den Lockenkopf an seine Brust, und blickte schmachtend zu ihm empor. Ihr Lebensfrühling schien aus diesem Blick zu lächeln, und der Hauptmann ehrte die Mahnung des Abgeschiedenen durch einen leichten Kuss auf Antonies Stirn. Er schob sie dann sanft von sich, und lud sie ein, zur Gesellschaft zurück zu kehren.
Sie gerieten in das Getümmel des Aufbruchs. Ihre Abwesenheit war unbemerkt geblieben. Der Fürst verließ das Haus, und Alles folgte. In ihren Mantel gehüllt hing Antonie am Arm des Hauptmanns, und das tückische Ungefähr ließ unmittelbar vor ihnen Florentine mit ihrem Verlobten die Treppe hinuntersteigen. Antonie zitterte vor Wut und Eifersucht am ganzen Körper, und presste krampfhaft den Arm ihres Führers, der ihr kaltblütig Ruhe und Schweigen empfahl. Er hob sie in den Wagen, und beim Scheiden flüsterte sie ihm noch zu: „Harduin! Rache an diesen, und ich bin deine Sklavin auf ewig!“ Der Wagen rollte fort, und Antonie, auf der unbedeutenden Gesellschafterin Fragen nicht achtend, schwelgte in schönen Hoffnungen und dem Vergnügen, mit leichter Mühe, durch geringe Künste ihr Ziel erreicht, und den auf’s Neue berückt zu haben, dessen Beistand allein ihr frommen konnte. Der Kapitän warf aber unter dem Peristyl den Mantel um, den ihm der Bediente reichte, sah dem Wagen nach, und murmelte:
„Fahre hin! deine Tränen, deine Küsse, deine Schwüre sollen mich nicht täuschen. Ich bin nicht der Tor einer geheuchelten Wallung. Ich fechte hierin eigener Sache, und bloß um meine Zwecke zu erreichen, verbinde ich mich mit der Maitresse, die ich verachte, wie sich’s gebührt, (besonders seit sie allen Einfluss verlor) die mir aber als intrigantes Weib vortreffliche Dienste leisten soll.“
–
Sie standen an dem Lager des kleinen Julius, der lächelnd wie der Mai in tiefem Schlummer lag … sie reichten sich die Hände über dem schlafendem Engel, dem ihr Bündnis einen zweiten Vater schenken sollte, und Florentine sprach:
„O mein Angelo! Hier erst, am Lager meines Kindes, erkenne ich ganz die Vortrefflichkeit deines Herzens. O gewiss! Der Vater des Kleinen hat deine Schwüre gehört, dem Verwaisten das zu sein, was er ihm nicht sein konnte, und er lächelt vom hohen Himmel herab auf unser heiliges Band.“
„So beschleunige den Augenblick, in dem es unauflöslich geknüpft werde“, erwiderte del Cane, die erglühende Braut an sich ziehend. „Von dir hängt es ab. Gewähre.“
„Noch vermag ich’s nicht“, lispelte sie verschämt, und sah bittend zu ihm auf. „Habe Geduld mit dem schwachen Geist des Weibes, das so gerne das Übernatürliche in sein Wohl und Wehe verflechtet. Ich sagte dir, dass ich, nachdem du um meine Hand geworben, neugierig hinter den dunklen Vorhang der Zukunft blicken wollte, mich in einer verschwiegenen Nacht zu jener klugen Frau stahl, die in der Vorstadt haust.“
„Zu der Kartenlegerin und Prophetin?…“ erwiderte del Cane bitter lächelnd … „ich weiß es; du hast mir’s gestanden, mit jener Scham gestanden, die das Bekenntnis einer Handlung, deren Unrecht wir einsehen, mit sich bringt. Noch jetzt fehlen dir die Worte, das Geständnis zu wiederholen. Die Pythonissin sagte dir …“
„Schone meiner“, flüsterte Florentine, und versuchte dem Grollenden mit der kleinen Hand den Mund zu schließen. Er fuhr aber fort: „Sie sagte dir, dass sie in ihrem Zauberspiegel deinen Verlobten nicht erscheinen sehe … dass ein seltsamer Umstand walten müsse, weil seine Gestalt ausbleibe; … dass sie über dein künftiges Los nicht urteilen könne, aus diesem Grund; dass aber mit der Hochzeitfeier zu zaudern sei, bis zu dem Wonnemond: Dann nur könne sie Glück und Heil versprechen. Und diesem Gaukelspruch konntest du dich fügen! Der zahnlosen Zeichendeuterin deinen Willen, deine Vernunft aufopfern!“
„Habe Mitleid mit mir; schilt mich nicht!“ flehte Florentine, und der Zürnende konnte ihr nicht widerstehen.
„Siehst du das grobe Spiel nicht durch?“ fragte er weit milder. „Meine Gestalt erschien ihr nicht, weil sie mich nicht kennt, und fürchtete, ihre Allwissenheit möchte wegen meinem Signalement ins Gedränge kommen. Sie verschob den Tag unserer Verbindung um einige Monate, um während dieser Frist dich öfters bei sich zu sehen, und den goldenen Opferpfennig zu gewinnen.“
„Möglich!“ versetzte Florentine, und strich schmeichelnd die Falten von del Canes Stirne. „Ich gestehe mein Unrecht; werde nun aber wieder freundlich; entschuldige mich … Vergib mir diese Schuld … kein Sterblicher ist ja rein von Fehl!“
„Wahrlich, nein!“ sprach Angelo, zurücktretend, und finsterer Ernst stieg auf sein Antlitz.
„Du hast ein wahres Wort geredet; es wirft den Pfeil des Vorwurfs in meine eigene Brust.“
„Angelo!“ rief Florentine staunend über seine Bewegung. Del Cane fuhr aber erschüttert fort, indem er ihre Hand heftig in der seinen drückte:
„Ich … ich soll dir vergeben? Heilige! vergib du meine Schuld.“
„Du bist in gewaltsamer Bewegung, mein Angelo“, erwiderte Florentine, ihm vertrauend ins Auge blickend. „Es ergreift dich öfters also. Deine lebendige Phantasie entrückt dich dann dem engen Leben. Komm zu dir, ich habe dir nichts zu verzeihen, dir nicht, der in stiller Tugend mein Vorbild war. Und hätte ich dir etwas zu vergeben … o wie gerne!“
„Herrliches Weib!“ rief del Cane, und Tränen schossen in seine Augen. „Dies Vertrauen, diese himmlische Sanftmut, dieser Glaube … Diese Welt belohnt sie nicht!“
„Ich verlange dein Herz“, antwortete Florentine schwärmerisch; „es wiegt eine Welt auf, … so“ – fuhr sie durch Tränen lächelnd fort – „so; nun bist du wieder mein Angelo! mein Freund! mein Verlobter! denn deine Augen sehen freundlich auf mich, und nicht so finster, nicht so starr und kalt, wie vorhin. Ich fürchte mich, wenn du so durchdringend auf mich nieder schaust, und seit gestern kann ich diesen Blick gar nicht mehr ertragen.“
„Warum seit gestern, mein Leben?“ fragte Angelo schmeichelnd.
„Hast du vergessen, böser Mann“, sprach Florentine weiter, „dass du gestern die ganze Gesellschaft in banges Staunen versetzt hast, durch deine Bemerkungen über die Augen? Auch mich, und ich muss unwillkürlich an deine Worte denken, wenn du mich lange und starr ansiehst; ein frostiges Grauen überfällt mich …“
„Wie bei dem Anblick eines Toten … – nicht wahr?“ fragte Angelo wehmütig lächelnd. „Sprich es nur aus“, fuhr er fort, als sie verstummte. „Meine Blässe … ich erschrecke oft selbst vor mir, wenn ich Abends in den Spiegel schaue … ach! Ich war nicht immer so!“
„Mein geliebter Angelo!“ bat Florentine. „Weg mit diesem Trübsinn. Ich Unbesonnene! Wie konnte ich auch …“
„Auch auf meinen Wangen blühten Rosen …“ seufzte Angelo, ohne auf sie zu achten, „drei unglückliche Tage haben sie auf ewig hinweggehaucht, auf ewig …“
„Du sprichst wieder von deinen Leiden“, versetzte Florentine. „Die Liebe hat dich so oft um Mitteilung gebeten … Du hast sie stets versagt. Gewähre ihr endlich diese Bitte …“
„Was verlangst du?“ fragte del Cane schwankend.
„Gewähre!“ fuhr Florentine drängend fort. „Sprich, und dein Verlangen, deiner Wünsche erster sei erfüllt!“
„Wie?“ rief Angelo, plötzlich hell aufsehend. „Du wolltest …?“
Schamrot barg sie ihr Gesicht an seiner unruhig pochenden Brust.
„Weib!“ setzte er dann hinzu, sie plötzlich verfinstert von sich weisend. „Du willigst ein, der Prophezeiung zum Trotz, die Meinige zu werden, morgen, heute, in dieser Stunde schon … Diesen Preis, um den dich vor ein paar Minuten meine Liebe vergebens bat, wirfst du der Neugier zum Opfer hin? Mache dir kein Verdienst daraus, und danke es mir, wenn ich es nicht annehme, und dir die Qual erspare, einen Stachel dafür einzutauschen, der dein Leben verwunden würde. – Nimmermehr. Gräber sollen nicht zu der Myrten bekränzten Braut sprechen! Lass mich schweigen.“
„Du sprichst in Rätseln“, erwiderte Florentine, und streichelte ihm begütigend die Wange. „Ich gehorche dir aber dennoch gerne, denn Böses hast du nicht zu verhehlen. Weg mit dieser neuen Wolke von der Stirn. Du siehst ja, wie ich dir vertraue. Bewahre Dein Geheimnis, bis du einst freiwillig das Siegel löst.“
„Das springt nur mit meinem Tode, so Gott will!“ sprach del Cane. „Wenn ich“, hier ward seine Stimme unsicherer, „wenn ich einst auf der Bahre liege … dann … sollen meine Schriftzüge dir enthüllen, was meine Zunge auszusprechen nicht vermag … dann …“
„Grausamer!“ klagte Florentine mit tränennassen Augen. „Schweige! Weg mit diesen schwarzen Gedanken. Ich will in Deinen Armen entschlummern …“
„Um des Himmels Willen, nein“, fuhr Angelo entsetzt auf. „Das wolle der Allmächtige nicht. Ich sollte meine letzte Stunde unter Mietlingen erwarten, nicht gewiss sein, dass eine treue Seele mich überlebt, die meinen letzten Willen heilig befolge? Es wäre grässlich! … Nein! Du musst leben, mir die Augen schließen, mich beobachten Tage lang … hörst du? Und erst dann, wenn die Verwesung in ihr Recht tritt … o Florentine! schwöre mir das … erst dann mich der Erde übergeben … hörst du? erst dann.“
„Woher diese Angst, mein Angelo?“, rief Staunen im Blick die besorgte Braut. „Besinne dich! Du stehst noch unfern der Pforte des Lebens, und sprichst schon vom Grabe? …“
„Wer kann wissen, wie nahe es ihm ist?“ fragte Angelo, scheu um sich blickend, „aber ich fürchte es nicht, wenn du mir schwörst, was ich verlange, denn es ist grässlich, wenn …“
Der kleine Julius erwachte, dehnte seine Ärmchen, blickte auf Florentine, und rief den süßen Mutternamen! Vom heiligsten Gefühl gerufen, verließ Florentine den Geliebten, und kauerte sich neben des Sohnes Wiege nieder. Angelo beugte sich still und freundlich über die Gruppe. Der Knabe gewahrte seiner, lächelte, und zog mit frohem Winken des wohlbekannten Freundes Haupt herab zu sich, und zu der Mutter. „Lieber Vater! liebe Mutter!“ stammelte der Unmündige. Angelos Lippen fanden Florentines Mund, und in dem herzlich erwiderten Kuss entschwand Furcht und Besorgnis. Die ganze dunkle Vergangenheit starb in dem seligen Augenblick der Gegenwart.
–
Ein Geräusch weckte die Seligen. Der Herr von Eschen stand hinter ihnen. Seine Anwesenheit scheuchte die Glücklichen in die Schranken der Schicklichkeit zurück.
„Warum so erschrocken, meine Schwester?“ fragte er, wie verlegen sich die Hände reibend … „wenn man Recht tut, so hat man sich nicht zu scheuen, nicht wahr, mein lieber Schwager in Hoffnung?“
„Allerdings“, versetzte del Cane, über den unzeitigen Spott missvergnügt. „Da uns bald die heiligsten Bande vereinigen werden …“
„So leistet man indessen eine Vorauszahlung auf das eheliche Glück?“ fiel der Baron ein, und zog das Gesicht in widrige Falten. „Nichts ist natürlicher, nichts zu gleicher Zeit rührender. An dieser Wiege kniend, vor dem kleinen Engel da vereint, … der Bube wird täglich hübscher … wenn er nur keinen Wasserkopf bekommt …“
„Um Gottes willen!“ rief die ängstliche Mutter. „Kannst du glauben … ?“
„Noch ist nichts zu glauben“, erwiderte der Baron. „Die Natur arbeitet lange still und heimlich an der Zerstörung ihres Werks, bis sie dem Forscher klar wird … Aber … darf man nach Vermutungen gehen, so dürfte diese vorspringende Stirne …“
„O schweige, Unglücksherold!“ schrie Florentine, riss ihr Kind aus der Wiege, und eilte mit ihm in das Nebenzimmer. Eschen sah ihr staunend nach. Del Cane aber, der seinen Unmut nicht unterdrücken konnte, sprach zu ihm: „Sehen Sie, so flieht jede Freude den Weg, den Sie gehen, weil Sie den süßen Becher mit Myrrhen würzen.“
„Wer schilt mich darum?“ fragte Eschen, und maß seinen Gegner mit bohrendem Blick. „Tue ich nicht Recht? Ist das Leben nicht ein Spital?, der Sterbliche nicht ein allen Plagen und Foltern Preis gegebener Siechling? Gebiert ihn der Schoß der Mutter zu etwas andern, als früh oder spät dem Schoß der allgemeinen Mutter wieder gegeben zu werden? Was tut er in der Spanne Zeit zwischen Erwachen und Einschlafen? Er pflanzt sein erbärmliches Geschlecht fort, das mit jeder Generation erbärmlicher reift. Lohnt sich das der Mühe, zu leben? Tut man also nicht wohl daran, die Affenfreude der Mütter zu demütigen, indem man das endliche Ziel ihrer Sprösslinge ihnen nahe setzt?“
„Welche Wohltat!“ rief del Cane empört, „das Herz einer Mutter zu brechen!“
„Was das Kraut nicht heilt, heilt das Eisen oder das Feuer! Härte ist wohltätig, wohltätig auch der Wunsch, dass jeder keimende Mensch erstarren möge im Werden. Dieser Rückfall in das Nichts erspart ihm ein halbhundertjähriges Leiden. Jede Fehlgeburt ist ein mit Protest zurückgesandter Wechsel auf die Nachwelt. Wollte der Himmel, es würden fürder nur solche Wechsel gezogen. Dann hätte ich die Freude, das verdorbene Geschlecht verfallen zu sehen, hätte nicht zu fürchten, vielleicht eine Frucht aus Ihrer Verbindung mit Florentine zu erleben.“
„Herr!“ zürnte ihm Angelo entgegen. „Dieser Wunsch … diese Tücke … Sie sollten Ihnen teuer zu stehen kommen, wüsste ich nicht, dass Sie nur ein Narr sind … ein grausamer, boshafter Narr!“
„Ein Narr?“ fuhr Eschen grimmig auf, und packte ihn fest beim Arm, ihm stier ins Gesicht schauend. „Hat der Narr den Vernünftigen wieder einmal einen Narren genannt? Wenn ich mein Säbel bei mir trüge, wollte ich dir die Kopfhaut abziehen, um deinem Gehirn mehr Luft zu verschaffen; leichenblasser Freiwerber, der dem Tod aus dem Garn gelaufen scheint … wiederhole noch einmal das Wort! Nenne mich noch einmal einen Narren!“
„Lass’ mich, Elender!“ donnerte del Cane, und schüttelte den Verrückten von sich. Florentine, die den heftigen Wortwechsel gehört hatte, stürzte bittend und klagend zwischen die Erzürnten.
„Mäßigung, Friede!“ bat die Erschrockene. Del Cane aber griff nach dem Hut.
„Mäßige den aberwitzigen Narren, deinen Bruder, der mich seine tollen Schwindeleien entgelten lassen will. Du siehst mich nur dann wieder, wenn du einwilligst, endlich die Meine zu werden, und dich der vernunftlosen Tyrannei dieses Menschen zu entreißen!“
Er enteilte dem Gemach und dem Haus. Eschen sandte ihm giftige Blicke nach, und verschlang seinen Groll in tiefes Schweigen.
„Unbarmherziger Bruder!“ jammerte Florentine. „So kannst du deine Schwester betrüben? So ihres Herzens Gefühle misshandeln?“
„Ich hasse den Italiener!“ murrte Eschen vor sich hin.
„Warum?“
„Das begreifst du nicht, Florentine. Es ist etwas in dem Menschen, das nicht geheuer ist. Es drückt mir die Brust ein, wenn ich dich in seinen Armen sehe. Als ich vorhin ins Gemach trat, war mir’s, als ruhe der Mund eines bleichen Vampirs auf deiner Schläfe, und sauge dir das Blut aus dem Gehirn.“
Florentine schauderte.
„Er kommt mir vor wie ein böses Gespenst“, fuhr der Herr von Eschen fort. „Nur ein künstliches Treibhausleben scheint in ihm zu arbeiten.“
„Halt ein, Bruder!“ seufzte Florentine. „Stecke mich nicht an mit deinen krankhaften Ideen … damit …“
„Ich bin nicht krank“, versetzte ihr Bruder; „auch nicht verrückt, wie mich jener nennt. Das Schicksal meiner Ahnen trifft mich nicht, denn ich setze tiefes Studium dem Erbgebrechen entgegen. Toll werde ich nie; ein jäher Tod hingegen kann jeden treffen. Du weißt es nicht“, fuhr er fort, die Schwester bei der Hand fassend, und neben sich auf die Ottomanne ziehend, „wie bald es um den Menschen getan ist. Darum sei ihm auch kein Zweck so gering, dass er nicht mutig das Leben daran setze. Der nächste Atemzug kann es ihm ja rauben. Ihr Laien in der Kunst ahnt es nicht, dass ihr beständig zwischen Sein und Vernichtung schwankt. Ihr fühlt das Pochen Eures Herzens, das Klopfen eurer Pulse, mit jedem überstandenen Herzschlag ist eine Lebensgefahr vorüber – der folgende bringt auch eine neue. Der Kreislauf des Blutes strömt ab und zu, und in jedem Gelenk, bei jeder Drüse, in jeder Aderpforte und Schleuse lauert der Tod. Ein Krampf, ein Gegendruck, ein Nichts … und die Maschine stockt. Das haben die Weisesten unserer Kunst erlauscht, das wissen wir, ihre Jünger. Ich habe meine Zeit benutzt, gleich dem ärmsten Schlucker, der ums tägliche Brot den Puls fühlt und die Zunge besieht; darum kann ich nicht verrückt sein, nie es werden. Besondere Vorstellungen sind hin und wieder in mir entstanden, das gestehe ich; aber bis zum Tollwerden ist davon noch weit. Das Studium der Anatomie, in der man lernt, den menschlichen Leib mit Messern zu durchwühlen, wie der Bergmann den ergiebigen Erzschacht mit der Hacke, hat mich angezogen, ergriffen und närrische Ideen in mir erzeugt, über die ich öfters lachen möchte, wäre nicht das Lachen meiner Natur zuwider.“
„Ich glaube, ich höre meinen Julius rufen!“ unterbrach ihn Florentine, von Grauen befangen, und wollte sich entfernen. Eschen hielt sie aber zurück.
„Nicht doch“, erwiderte er begütigend. „Der Kater steigt jetzt aufs Dach zu seinem Liebchen, und lockt sie mit der Stimme des weinenden Kindes. Bleib immerhin. Ich bin gemütlich geworden an deiner Seite, und in der stillen Dämmerung plaudert es sich so gut. Bleib, meine liebe Schwester, und höre mir zu.“
Florentine resignierte sich bebend; wollte ihr Ohr verschließen, und horchte um so ängstlicher auf des Bruders unheimliche Rede.
„Ich habe bedauert, dass ich nicht lachen kann“, fuhr dieser fort. „Du siehst, ich bleibe in dem Geleise, und meine Gedanken sind nicht verwirrt, wie jener dich wohl überreden möchte. Wenn ich lachen könnte über die närrischen Gesichte, die ich zuweilen habe, … es wäre gut; denn brütet man die wunderlichen Eier aus, wie ich es tue, so picken sich Basilisken daraus zu Tage. Du weißt es, ohne zu der Fakultät zu gehören, dass jeder Mensch seinen Totenschädel und sein Beingerippe in sich trägt. Nun höre, … wie sonderbar die Phantasie uns mitspielen kann. Diese Gerippe sehe ich mit eigenen Augen.“
„Bruder!“ rief Florentine entsetzt, und versuchte umsonst ihre Hand aus der seinigen zu reißen.
„Es ist närrisch? nicht wahr?“ fragte der Herr von Eschen, seinen Arm um ihren Leib schlagend. Zittere nicht, mein Schwesterchen. Es ist nur lebhafte Einbildungskraft, weiter nichts. Darum vermeide ich alle Gesellschaften, denn wo ich eintrete, wandeln Skelette um mich. Im Ballsaal drehen sie sich von bunten Lappen umflattert – im Spielzimmer wechseln sie mit knöchernen Fingern die Karten. Trete ich in die Kirche, so paukt ein predigendes Gerippe die Kanzel. Besuche ich die Parade, so schwingen dürre Knochenarme die glänzenden Waffen – marschieren klappernde Beine nach dem Takt der Trommel. Das Gräbervolk läuft in den verschiedensten Verrenkungen über die Straßen. Begegnet mir ein Freund, und umarmt mich im fröhlichen Ungestüm, … seine Maske täuscht mich nicht. Kaum hat er den Hut gezogen, so gähnt mir schon das weite Maul des Schädels den hohlen: »Guten Morgen!« zu. Auch du, mein Schwesterchen … dein Kind …“
„Um der ewigen Barmherzigkeit willen! Lass mich!“ stammelte Florentine. „Du erkältest mir das Blut in den Adern!“ Stumm hielt sie der Unerbittliche zurück.
„Lass mich nur die Schelle ziehen!“ bat sie ferner; „es soll Licht gebracht werden.“
„Wozu?“ fragte Eschen kalt. „Mir ist wohl in deiner Gesellschaft, und der Mond tritt so eben aus den Wolken. Wie er dich so schön umstrahlt, mein Florentinchen! Er windet eine silberne Krone um deinen kreideweißen Scheitel, betrachtet dich lüstern, wie ein Bräutigam die Braut, und du bist schon eines Andern. Ja! Dieser Andere …“
„O schweige wenigstens von ihm“, flehte Florentine in banger Ahnung.
„Wenn ich nur könnte“, versetzte Eschen kopfschüttelnd, „aber dieser Andere ist nicht wie ich, wie du, wie alle Übrigen.“
„Besser als wir“, fiel Florentine ein.
„Er wird dich verderben“, fuhr er mit weissagendem Ton fort. „In jedem Sterblichen, in mir selbst erkenne ich das Grundsystem des Baues unserer Maschine. In deinem Angelo nicht. Der Fürchterliche bleibt stets ein schneebleiches Phantom, so sehr ich mich mühe, den Blick der Phantasie durch seine Hülle zu bohren. Dieses Gespenst gehört nicht zum Leben. Das Seine ist schon der Verwesung verfallen. Er hat es ihr nur abgeborgt, um Unglückliche hinzuopfern. Ich habe vermutet, gezweifelt … die Wahrheit siegt. Es war heute einer bei mir, und erzählte von einem Fürsten, der diesen del Cane vor Jahren sterben, beerdigen sah. Täuschung, Gaukelspiel war nicht möglich. Scheintod nicht, denn der Fürst hielt sich Wochen lang nachher in derselben Stadt auf, und del Cane war tot und blieb begraben. Hier findet er ihn wieder, ihn, denselben, aussehend, wie er im Sarge lag, gibt Kennzeichen von ihm an, die sich alle bestätigt finden. Was schließt man aus allen dem? Dass del Cane zu einer Gattung von Wesen gehören muss, die die Philosophie leugnet, weil sie ihr Dasein nicht begreift. Aber unsere blöden Augen begreifen nicht all’ das Wunderbare, das sich um uns her begibt. Hast du noch nie gehört von jenen Wesen, die in toten Körpern aus dem Grabe steigen, ein erkünsteltes Leben heucheln, ihre Leichenart aber dennoch nicht ganz verhehlen können, schöne üppig geformte Weiber berücken, ins Hochzeitbett zerren, und ihnen das Herzblut aus dem Busen saugen, um ihre verfluchte Existenz zu fristen, und neue Opfer schlachten zu können? – Du seufzest? Du sinkst an meine Brust … Du antwortest nicht? … wirst kalt wie Eis? …“
Das Mondlicht fiel auf Florentines geschlossene Augenlider; der sinnverwirrende Bruder ließ die Ohnmächtige aus seinen Armen gleiten, zog die Klingel, übergab den herbeieilenden Zofen die bewusstlose Gebieterin, und schlich durch die dunklen Gänge nach seinen abgelegenen Gemächern.
–
Del Canes Braut verlebte eine schreckliche Nacht. Die Wahnsinnsgebilde, die ihr der unglückliche Eschen aus seinem verbrannten Gehirn gespendet hatte, waren für sie in die Wirklichkeit getreten, bis das helle Morgenlicht die Nachtgeburten verscheuchte, und ruhige Besinnung in der Leidenden aufkeimen ließ. Die Begebenheit des verwichenen Abends schien ihr ein böser Traum gewesen zu sein, und sie vermochte es über sich, über die törichte Gespensterseherei ihres Bruders zu lächeln, wenn diese gleich einen scharfen Widerhaken in ihrer Brust zurückgelassen hatte. Denn, so oft sie an del Cane dachte, an den, den sie mit voller Seele liebte, beschlich sie ein leiser Schauer, und sie wusste ihm es Dank, dass er, seinem Wort getreu, für heute fern blieb. Auch ihrem Bruder ließ sie ihr Gemach verschließen, und verlebte den heiteren Tag in der Gesellschaft ihres Sohnes. Die wiederkehrende Dämmerung wollte zwar die bange Scheu von gestern in ihr Herz zurückbringen, … sie widerstand aber dem peinigenden Gefühl, so gut sie’s vermochte, ließ die Zimmer sorgfältig erhellen, und nahm mit Freuden das Fräulein von Maltingen an, das sich so eben ansagen ließ. Das Bedürfnis der Zerstreuung machte sie zuvorkommender gegen Antonie, als sie sonst zu sein pflegte. Der Empfang war herzlich, die Erwiderung desselben die freundlichste.
„Ich komme, meine beste Baronesse“, eröffnete das Fräulein das Gespräch, „den Abend bei Ihnen zuzubringen, wenn ich nicht störe.“
Florentine beteuerte, sie komme zur gelegenen Stunde.
„Ich dachte es auch“, versetzte Antonie, „denn der Zufall ließ mich erfahren, dass Ihr Paladin, Signor del Cane, heute mit dem Frühesten nach dem Edelsitz reiste, den er vor Kurzem an sich gebracht hat. Der Gute eilte hin, um daselbst alles zum Empfang der liebenswürdigsten Gattin vorzubereiten, die er in Kurzem in sein Hausparadies einführen wird. Sehnenden Bräuten die bleierne Zeit tragen helfen, ist der Frauen Pflicht. Sie zu erfüllen, bin ich hier.“
Florentine dankte mit halb verlegenem Ton.
„Ich sehe trübe Wolken auf dieser reizenden Stirn?“ fuhr Antonie schmeichelnd fort; „das schmerzt mich, und fast bereue ich die Eigenmächtigkeit, mit der ich mir erlaubte, in Ihrem Haus, meine Beste, ein Rendezvous zu geben, das Ihnen wahrscheinlich in dieser Stimmung lästig fallen wird.“
„Ein Rendezvous?“ fragte Florentine verwundert.
„So ist’s, liebe Hersfeld“, antwortete scherzend das Fräulein. „Ich rechnete dabei im voraus auf Ihre freundschaftliche Erlaubnis.“
„Ich verstehe nicht“, sprach die Baronin verlegner.
„Beruhigen Sie sich, meine liebe kleine Lukretia“, lächelte die Hofdame, und küsste ihr schmeichelnd die Fingerspitzen. „Das Stelldichein gilt keinem Adonis, keinem Seladon. Kein männlicher Fuß wird dieses geschmackvolle Boudoir entweihen. Ich erwarte hier eine der weisesten und respektabelsten unseres Geschlechts.“
„Eine Dame also?“ fragte Florentine aufatmend.
„Nicht so eigentlich eine Dame …“, sprach jene neckend, „obschon sie ihrer manche zu ihren Füßen sah; eine Kassandra … kurz, die alte Mutter Trude aus der Neustadt.“
„Wie?“ seufzte die Baronin erschrocken. „Die … die Wahrsagerin?“
„Ja, ja, dieselbe. Sie ist alles, was Sie wollen. Sie staunen. Hören Sie mich an. – Ein Stiefbruder, der sein Glück und Leben den unbeständigen Wellen anvertraut hat, und nach Ostindien schwimmt, ist mir verwichene Nacht im Traum erschienen. Hager, von Wasser triefend, mit eingefallenen Wangen und Augen. Ich liebe den wilden Menschen, wie mich selbst, und dieses Traumgesicht hat mir demnach keine geringe Angst gemacht. Frau Trude soll mir sagen , wie es um den guten Bruder steht. Ich habe unbegrenztes Vertrauen zu Frau Trude, denn ich könnte Beispiele anführen, wo ihre Prophezeiungen eintrafen, ihre Angaben sich bestätigten, schienen sie auch noch so wunderbar und abenteuerlich. Wie aber die Tausendkünstlerin sprechen? Sie wohnt weit. Man geht gern unbegleitet auf solchen Wegen; und eine Dame, … allein … im Dunkeln, in dem unangenehmen Märzschnee wandernd … das geht nun einmal nicht. In meinem Haus kann ich die Ehrwürdige ebenfalls nicht empfangen, denn da ist meine alte Tante, meine strenge Hüterin, die dem gewöhnlichen Altweibercharakter schnurgrad entgegen, alles Wunderliche und Seltsame, das nicht von ihr herrührt, verwirft, verspottet, verabscheut, und sich einbildet, in meinen vier Mauern die einzige Hexenmeisterin sein zu wollen, obschon sie keine ist. Meine Freundinnen sehen alle Abende Gesellschaft bei sich. Folglich blieb Ihr Haus mir allein übrig, meine liebe Baronesse, und ich war indiskret genug, die Alte hierher zu bescheiden. Freilich rechnete ich nicht auf die trübe Stimmung, in der ich Sie finde, und ich will Befehl geben, dass der Schweizer das Weib abweise, wenn sie erscheint.“
Antonie stand auf; Florentine hielt sie aber zurück, und beteuerte ihr, sie könne über ihr Haus verfügen. „Das Geschwätz der Alten wird vielleicht zu meiner Erheiterung beitragen“, setzte sie hinzu.
„Was konnte Sie aber so sehr verstimmen?“ fragte Antonie … „Del Canes Abwesenheit dauert ja nur wenige Tage. Spannenlange Trennungen, wie diese, können der Liebe nur Gewinn bringen, keinen Abbruch tun.“
„Es ist nicht das, beste Maltingen, was mich verstimmt und bekümmert“, sagte Florentine, und stockte. Antonie drang mit der wärmsten Teilnahme in die Zögernde, und eine Frau, welche anfing zu klagen, kann ihrem Vertrauen bald keine Grenzen mehr setzen. In kurzer Frist wusste das Fräulein, was sich am gestrigen Abend zugetragen hatte.
„Fassen Sie sich“, sagte sie endlich tröstend zu der bekümmerten Florentine, in deren Seele sich alle Schrecknisse während ihrer Erzählung erneuert hatten. „Es ist nur die bedauernswürdige Krankheit Ihres Bruders, die aus ihm sprach. Ein unbesonnenes Gerede ist vielleicht von ihm missverstanden worden. Wir leben ja nicht mehr in den Zeiten der Gespenster und Poltergeister. Auch gleicht del Cane keinem bösen Geist, sieht eher einem schönen blassen Todesengel gleich. Vergeben Sie mir diese Parallele; ich sehe, Sie sind davon erschüttert, und Ihre reizbaren Nerven muss man schonen. Indessen möchte ich Ihnen einen Rat geben, den sie beherzigen werden, wenn Sie es für gut finden.“
„Welchen, liebe Maltingen?“ fragte Florentine begierig.
„Gerüchte sind Gerüchte“, fuhr Antonie fort, „bald lügenhaft, bald nur halb wahr; die wenigsten verdienen Glauben. Ohne Prüfung verwerfe man jedoch keines; zur Selbstberuhigung, meine ich. – Hat del Cane Geheimnisse vor Ihnen?“
„Nicht, dass ich wüsste“, stotterte Florentine. Die Flammenröte auf ihren Wangen strafte sie aber Lügen vor der geübten Frage.
„Dann, meine Freundin“, sprach Antonie mit gläubigem Enthusiasmus, „dann sind Sie zu beneiden, den Offenherzigsten des falschen Geschlechts Bräutigam zu nennen. Dann berücksichtigen Sie weder die Äußerungen Ihres Bruders, noch das fabelhafte Geschwätz, das ihnen zum Grund liegt; hätten Sie aber Ursache, ein geheimes Winkelchen in del Canes Brust zu vermuten, wohin das Auge der Liebe noch nicht dringen durfte, dann untersuchen, dann ergründen Sie, dann beleuchten Sie mit der Fackel der Prüfung, was man Ihnen verhehlte.“
„Wie sollte ich …?“ fragte Florentine staunend.
„Sie bedürfen dessen nicht, Glückliche!“ versetzte Antonie, ihr mit Wärme die Hand drückend, „denn der Phönix ist Ihnen zu Teil geworden; aber gesetzt, del Cane wäre ein gewöhnlicher Mann, hinterlistig, trügerisch, wie sie alle sind, dann müssten Sie handeln, und das Verborgene an den Tag ziehen. Es lohnte sich auch wohl der Mühe. An blutsaugende Vampire und Grabeslarven verbietet uns die gesunde Vernunft zu denken, obschon wirklich vieles da ist, das wir, wiewohl vergeblich, zu leugnen suchen. Wir wollen aber annehmen, die unglückliche Phantasie Ihres Bruders habe ihm einen Streich gespielt. Jenes Gerücht könnte doch … ich setze nur den Fall … nicht gänzlich eine Lüge sein. Sie haben von Scheintoten gehört?“
„Ja“, erwiderte die lauschende Zuhörerin kaum vernehmbar.
„Die Sache kann sich also natürlich aufklären“, fuhr das Fräulein von Maltingen fort. „Del Cane starb, wurde beerdigt, erwachte im Grab zum Leben, und ein seltener, aber glücklicher Zufall half ihm wieder zu Tage. Sie sehen, die Sache kann sein, auf die natürlichste Weise zugegangen sein. Eben so natürlich hat er sich, als er hierher kam, in Ihren Grazienfesseln gefangen, denn die männliche Welt liegt zu Ihren Füßen, was uns Übrige schon eifersüchtig genug machte. Dass er nach Ihrer Hand strebt, dass er Ihnen verheimlicht, was einst mit ihm vorging, … was wäre natürlicher? Der Liebhaber erspart seiner Geliebten eine böse Kunde. Welches Weib umarmt wohl ohne Schauer den, der schon im Arme der Verwesung lag? Bis hierher fände nur Schonung, in seinem Interesse und in dem Ihrigen statt. Aber nun kommen wir zu dem Punkt, der dann zu berücksichtigen wäre. Erwiesene Erfahrung ist, dass der erwachte Scheintote den Schmelz der Wangen, die Regsamkeit der Glieder, die Kraft der Jugend in seinem Grab zurücklässt. Er entsprang zwar dem unbequemen Kerker, allein der eigennützige Tod, der zu frühzeitig zutappte, und dadurch für jetzt seine Beute verfehlte, lässt sie ungepfändet nicht aus den Händen. Ungestraft macht man seine Bekanntschaft nicht, und ein langwieriges Siechtum befällt die geschwächten Glieder, um sie allgemach der Grube nahe zu bringen, der sie nicht mehr entrinnen sollen. Welche Vernünftige wird eines solchen Gattin? Die Erbin eines verzehrenden Hinwelkens? – Das Opfer des Unglücklichen, der die trüben Lebenstage, die er dem Kirchhof mühsam abgerungen hat, in der Jugendfülle eines lieblichen Weibes verschwelgen will, gleichgültig, ob er des Todes Keim in ihr frisches Dasein pflanze?“
„Das wäre fürchterlich“, seufzte Florentine, ließ die Arbeit auf den Schoß sinken, und starrte vor sich hin.
„Weg mit diesem Ernst“, scherzte Antonie, ihr das Köpfchen in die Höhe richtend. „Sie haben das nicht zu befürchten. Sie ken