2015-01-11

Der grüne Kakadu

Groteske in einem Akt

Personen:

Emile Herzog von Cadignan.

François Vicomte von Nogeant.

Albin Chevalier de la Tremouille.

Der Marquis von Lansac.

Séverine, seine Frau.

Rollin, Dichter.

Prospère, Wirth, vormals Theaterdirektor.

Seine Truppe:

Henri

Balthasar

Guillaume

Scaevola

Jules

Etienne

Maurice

Georgette

Michette

Flipotte

Léocadie, Schauspielerin, Henri’s Frau.

Grasset, Philosoph.

Lebrêt, Schneider.

Grain, ein Strolch.

Der Commissär.

Adelige, Schauspieler, Schauspielerinnen,

Bürger und Bürgerfrauen.

Spielt in Paris am Abend des 14. Juli 1789 in der Spelunke Prospères

Wirthsstube »zum grünen Kakadu«.

Ein nicht großer Kellerraum, zu welchem rechts (ziemlich weit hinten) sieben Stufen führen, die nach oben durch eine Thür abgeschlossen sind. Eine zweite Thür, welche kaum sichtbar ist, befindet sich im Hintergrunde links. Eine Anzahl von einfachen hölzernen Tischen, um diese Sessel, füllen beinahe den ganzen Raum aus. Links in der Mitte der Schanktisch; hinter demselben eine Anzahl Fässer mit Pipen. Das Zimmer ist durch Oellämpchen beleuchtet, die von der Decke herabhängen.

Der Wirth Prospère; es treten ein die Bürger Lebrêt und Grasset.

Grasset noch auf den Stufen. Hier herein. Lebrêt; die Quelle kenn’ ich. Mein alter Freund und Direktor hat immer noch irgendwo ein Faß Wein versteckt, auch wenn ganz Paris verdurstet.

Wirth. Guten Abend, Grasset. Läßt Du Dich wieder einmal blicken? Aus mit der Philosophie? Hast Du Lust, wieder bei mir Engagement zu nehmen?

Grasset. Ja freilich! Wein sollst Du bringen. Ich bin der Gast – Du der Wirth.

Wirth. Wein? Woher soll ich Wein nehmen, Grasset? Heut Nacht haben sie ja alle Weinläden von Paris ausgeplündert. Und ich möchte wetten, daß Du mit dabei gewesen bist.

Grasset. Her mit dem Wein. Für das Pack, das in einer Stunde nach uns kommen wird . . . . . Lauschend. Hörst Du ‘was, Lebrêt?

Lebrêt. Es ist wie ein leiser Donner.

Grasset. Brav – Bürger von Paris . . . . . zu Prospère. Für das Pack hast Du sicher noch einen in Vorrath. Also her damit. Mein Freund und Bewunderer, der Bürger Lebrêt, Schneider aus der Rue St. Honoré, zahlt alles.

Lebrêt. Gewiß, gewiß, ich zahle.

Prospère zögert .

Grasset. Na, zeig ihm, daß Du Geld hast, Lebrêt.

Lebrêt zieht seinen Geldbeutel heraus.

Wirth. Nun, ich will sehen, ob ich . . . . Er macht den Hahn zu einem Faß auf und füllt zwei Gläser. Woher kommst Du, Grasset? Aus dem Palais Royal?

Grasset. Jawohl . . . . ich habe dort eine Rede gehalten. Ja, mein Lieber, jetzt bin ich an der Reihe. Weißt Du, nach wem ich gesprochen habe?

Wirth. Nun?

Grasset. Nach Camille Desmoulins! Jawohl, ich hab’ es gewagt. Und sage mir, Lebrêt, wer hat größeren Beifall gehabt, Desmoulins oder ich?

Lebrêt. Du . . . . zweifellos.

Grasset. Und wie hab’ ich mich ausgenommen?

Lebrêt. Prächtig.

Grasset. Hörst Du’s, Prospère? Ich habe mich auf den Tisch gestellt . . . . ich habe ausgesehen wie ein Monument . . . . Jawohl – und alle die Tausend, Fünftausend, Zehntausend haben sich um mich versammelt – geradeso wie früher um Camille Desmoulins . . . . und haben mir zugejubelt.

Lebrêt. Es war ein stärkerer Jubel.

Grasset. Jawohl . . . .. nicht um vieles, aber er war stärker. Und nun ziehen sie alle hin zur Bastille . . . .. und ich darf sagen: sie sind meinem Ruf gefolgt. Ich schwöre Dir, vor abends haben wir sie.

Wirth. Ja, freilich, wenn die Mauern von Eueren Reden zusammenstürzten!

Grasset. Wieso . . . Reden! – Bist Du taub? . . . Jetzt wird geschossen. Unsere braven Soldaten sind dabei. Sie haben dieselbe höllische Wuth auf das verfluchte Gefängnis wie wir. Sie wissen, daß hinter diesen Mauern ihre Brüder und Väter gefangen sitzen . . . . . Aber sie würden nicht schießen, wenn wir nicht geredet hätten. Mein lieber Prospère, die Macht der Geister ist groß. Da – zu Lebrêt Wo hast Du die Schriften?

Lebrêt. Hier . . . . zieht Brochuren aus der Tasche.

Grasset. Hier sind die neuesten Brochuren, die eben im Palais Royal vertheilt wurden. Hier eine von meinem Freunde Cerutti, Denkschrift für das französische Volk, hier eine von Desmoulins, der allerdings besser spricht, als er schreibt . . . . . »Das freie Frankreich«.

Wirth. Wann wird denn endlich die Deine erscheinen, von der Du immer erzählst?

Grasset. Wir brauchen keine mehr. Die Zeit zu Thaten ist gekommen. Ein Schuft, der heute in seinen vier Wänden sitzt. Wer ein Mann ist, muß auf die Straße!

Lebrêt. Bravo, bravo!

Grasset. In Toulon haben sie den Bürgermeister umgebracht, in Brignolles haben Sie ein Dutzend Häuser geplündert . . . . nur wir in Paris sind noch immer die Langweiligen und lassen uns alles gefallen.

Prospère. Das kann man doch nicht mehr sagen.

Lebrêt der immer getrunken hat. Auf, Ihr Bürger, auf!

Grasset. Auf! . . . . . Sperre Deine Bude und komm jetzt mit uns!

Wirth. Ich komme schon, wenn’s Zeit ist.

Grasset. Ja freilich, wenn’s keine Gefahr mehr giebt.

Wirth. Mein Lieber, ich liebe die Freiheit wie Du – aber vor allem hab’ ich meinen Beruf.

Grasset. Jetzt giebt es für die Bürger von Paris nur einen Beruf: ihre Brüder befreien.

Wirth. Ja für die, die nichts Anderes zu thun haben!

Lebrêt. Was sagt er da! . . . Er verhöhnt uns!

Wirth. Fällt mir garnicht ein. – Schaut jetzt lieber, daß Ihr herauskommt . . . meine Vorstellung fängt bald an. Da kann ich Euch nicht brauchen.

Lebrêt. Was für eine Vorstellung? . . . Ist hier ein Theater?

Wirth. Gewiß ist das ein Theater. Ihr Freund hat noch vor vierzehn Tagen hier mitgespielt.

Lebrêt. Hier hast Du gespielt, Grasset? . . . . . Warum läßt Du Dich von dem Kerl da ungestraft verhöhnen!

Grasset. Beruhige Dich . . . .. es ist wahr; ich habe hier spielt, denn es ist kein gewöhnliches Wirthshaus . . . es ist eine Verbrecherherberge . . . . komm . . . .

Wirth. Zuerst wird gezahlt.

Lebrêt. Wenn das hier eine Verbrecherherberge ist, so zahle ich keinen Sou.

Wirth. So erkläre doch Deinem Freunde, wo er ist.

Grasset. Es ist ein seltsamer Ort! Es kommen Leute her, die Verbrecher spielen – und andere, die es sind, ohne es zu ahnen.

Lebrêt. So –?

Grasset. Ich mache Dich aufmerksam, daß das, was ich eben sagte, sehr geistreich war; es könnte das Glück einer ganzen Rede machen.

Lebrêt. Ich verstehe nichts von allem, was Du sagst.

Grasset. Ich sagte Dir ja, daß Prospère mein Direktor war. Und er spielt mit seinen Leuten noch immer Komödie; nur in einer anderen Art als früher. Meine einstigen Kollegen und Kolleginnen sitzen hier herum und thun, als wenn sie Verbrecher wären. Verstehst Du? Sie erzählen haarsträubende Geschichten, die sie nie erlebt – sprechen von Unthaten, die sie nie begangen haben . . . . . und das Publikum, das hierher kommt, hat den angenehmen Kitzel, unter dem gefährlichsten Gesindel von Paris zu sitzen – unter Gaunern, Einbrechern, Mördern – und –

Lebrêt. Was für ein Publikum?

Wirth. Die elegantesten Leute von Paris.

Grasset. Adelige . . . . .

Wirth. Herren vom Hof –

Lebrêt. Nieder mit ihnen!

Grasset. Das ist was für sie. Das rüttelt ihnen die erschlafften Sinne auf. Hier hab ich angefangen, Lebrêt, hier hab’ ich meine erste Rede gehalten, als wenn es zum Spaß wäre . . . . . und hier hab’ ich die Hunde zu hassen begonnen, die mit ihren schönen Kleidern, parfumirt, angefressen, unter uns saßen . . . . . und es ist mir ganz recht, mein guter Lebrêt, daß Du auch einmal die Stätte siehst, von wo Dein großer Freund ausgegangen ist. In anderem Ton Sag, Prospère, wenn die Sache schief ginge . . . . .

Wirth. Welche Sache?

Grasset. Nun, die Sache mit meiner politischen Carrière . . . . würdest Du mich wieder engagieren?

Wirth. Nicht um die Welt!

Grasset leicht. Warum? – Es könnte vielleicht noch Einer neben Deinem Henri aufkommen.

Wirth. Abgesehen davon . . . . . ich hätte Angst, daß Du Dich einmal vergessen könntest – und über einen meiner zahlenden Gäste im Ernst herfielst.

Grasset geschmeichelt. Das wäre allerdings möglich. –

Wirth. Ich . . . . . ich hab mich doch in der Gewalt –

Grasset. Wahrhaftig, Prospère, ich muß sagen, daß ich Dich wegen Deiner Selbstbeherrschung bewundern würde, wenn ich nicht zufällig wüßte, daß Du ein Feigling bist.

Wirth. Ach, mein Lieber, mir genügt das, was ich in meinem Fach leisten kann. Es macht mir Vergnügen genug, den Kerlen meine Meinung in’s Gesicht sagen zu können und sie zu beschimpfen nach Herzenslust – während sie es für Scherz halten. Es ist auch eine Art, seine Wuth los zu werden. – Zieht einen Dolch und läßt ihn funkeln.

Lebrêt. Bürger Prospère, was soll das bedeuten?

Grasset. Habe keine Angst. Ich wette, daß der Dolch nicht mal geschliffen ist.

Wirth. Da könntest Du doch irren, mein Freund; irgend einmal kommt ja doch der Tag, wo aus dem Spaß Ernst wird – und darauf bin ich für alle Falle vorbereitet.

Grasset. Der Tag ist nah. Wir leben in einer großen Zeit! Komm, Bürger Lebrêt, wir wollen zu den Unsern. Prospère, leb wohl, Du siehst mich als großen Mann wieder oder nie.

Lebrêt torkelig. Als großen Mann . . . . . oder . . . . . nie –

Sie gehen ab.

Wirth bleibt zurück, setzt sich auf einen Tisch, schlägt eine Brochure auf und liest vor sich hin. »Jetzt steckt das Vieh in der Schlinge, erdrosselt es!« – Er schreibt nicht übel, dieser kleine Desmoulins. »Noch nie hat sich Siegern eine reichere Beute dargeboten. Vierzigtausend Paläste und Schlösser, zwei Fünftel aller Güter in Frankreich werden der Lohn der Tapferkeit sein, – die sich für Eroberer halten, werden unterjocht, die Nation wird gereinigt werden.«

Der Commissär tritt ein.

Wirth mißt ihn. Na, das Gesindel rückt ja heute früh ein?

Commissär. Mein lieber Prospère, mit mir machen Sie keine Witze; ich bin der Commissär Ihres Bezirks.

Wirth. Und womit kann ich dienen?

Commissär. Ich bin beauftragt, dem heutigen Abend in Ihrem Lokal beizuwohnen.

Wirth. Es wird mir eine besondere Ehre sein.

Commissär. Es ist nicht darum, mein bester Prospère. Die Behörde will Klarheit haben, was bei Ihnen eigentlich vorgeht. Seit einigen Wochen –

Wirth. Es ist ein Vergnügungslokal, Herr Commissär, nichts weiter.

Commissär. Lassen Sie mich ausreden. Seit einigen Wochen soll dieses Lokal der Schauplatz wüster Orgien sein.

Wirth. Sie sind falsch berichtet, Herr Commissär. Man treibt hier Späße, nichts weiter.

Commissär. Damit fängt es an. Ich weiß. Aber es hört anders auf, sagt mein Bericht. Sie waren Schauspieler?

Wirth. Direktor, Herr Commissär, Direktor einer vorzüglichen Truppe, die zulegt in Denis spielte.

Commissär. Das ist gleichgiltig. Dann haben Sie eine kleine Erbschaft gemacht?

Wirth. Nicht der Rede werth, Herr Commissär.

Commissär. Ihre Truppe hat sich aufgelöst?

Wirth. Meine Erbschaft nicht minder.

Commissär lächelnd. Ganz gut. Beide lächeln. – Plötzlich ernst. Sie haben sich ein Wirthsgeschäft eingerichtet?

Wirth. Das miserabel gegangen ist.

Commissär. – Worauf Sie eine Idee gefaßt haben, der man eine gewisse Originalität nicht absprechen kann.

Wirth. Sie machen mich stolz, Herr Commissär.

Commissär. Sie haben Ihre Truppe wieder gesammelt und lassen sie hier eine sonderbare und nicht unbedenkliche Komödie spielen.

Wirth. Wäre sie bedenklich, Herr Commissär, so hätte ich nicht mein Publikum – ich kann sagen, das vornehmste Publikum von Paris. Der Vicomte von Nogeant ist mein täglicher Gast. Der Marquis von Lansac kommt öfters; und der Herzog von Cadignan, Herr Commissär, ist der eifrigste Bewunderer meines ersten Schauspielers, des berühmten Henri Baston.

Commissär. Wohl auch der Kunst oder der Künste Ihrer Künstlerinnen.

Wirth. Wenn Sie meine kleinen Künstlerinen kennen würden, Herr Commissär, würden Sie das niemandem auf der Welt übel nehmen.

Commissär. Genug. Es ist der Behörde berichtet worden, daß die Belustigungen, welche Ihre – wie soll ich sagen –

Wirth. Das Wort »Künstler« dürfte genügen.

Commissär. Ich werde mich zu dem Wort »Subjekte« entschließen – daß die Belustigungen, welche Ihre Subjekte bieten, in jedem Sinne über das Erlaubte hinausgehen. Es sollen hier von Ihren – wie soll ich sagen – von Ihren künstlichen Verbrechern Reden geführt werden, die – wie sagt nur mein Bericht? Er liest wie schon früher in einem Notizbuch nach – nicht nur unsittlich, was uns wenig geniren würde, sondern auch höchst aufrührerisch zu wirken geeignet sind – was in einer so erregten Epoche, wie die ist, in der wir leben, der Behörde durchaus nicht gleichgültig sein kann.

Wirth. Herr Commissär, ich kann auf diese Anschuldigung nur mit der höflichen Einladung erwidern, sich die Sache selbst einmal anzusehen. Sie werden bemerken, daß hier gar nichts Aufrührerisches vorgeht, schon aus dem Grunde, weil mein Publikum sich nicht aufrühren läßt. Es wird hier einfach Theater gespielt – das ist alles.

Commissär. Ihre Einladung nehme ich natürlich nicht an, doch werde ich kraft meines Amtes hierbleiben.

Wirth. Ich glaube, Ihnen die beste Unterhaltung versprechen zu können, Herr Commissär, doch würde ich mir den Rath erlauben, daß Sie Ihre Amtstracht ablegen und in Civilkleidern hier erscheinen. Wenn man nämlich einen Commissär in Uniform hier sähe, würde sowohl die Naivetät meiner Künstler als die Stimmung meines Publikums darunter leiden.

Commissär. Sie haben recht, Herr Prospère, ich werde mich entfernen und als junger eleganter Mann wiederkehren.

Wirth. Das wird Ihnen leicht sein, Herr Commissär, auch als Hallunke sind Sie mir willkommen – das würde nicht auffallen – nur nicht als Commissär.

Commissär. Adieu. Geht.

Wirth verbeugt sich. Wann wird der gesegnete Tag kommen, wo ich Dich und Deinesgleichen . . . . . . . .

Commissär trifft in der Thür mit Grain zusammen, der äußerst zerlumpt ist und erschrickt, wie er den Commissär sieht. Dieser mißt ihn zuerst, lächelt dann, wendet sich verbindlich zu Prospère. Schon einer Ihrer Künstler? . . . . Ab.

Grain spricht weinerlich, pathetisch. Guten Abend.

Wirth nachdem er ihn lang angesehen. Wenn Du Einer von meiner Truppe bist, so will ich Dir meine Anerkennung nicht versagen, denn ich erkenne Dich nicht.

Grain. Wie meinen Sie?

Wirth. Also keinen Scherz, nimm die Perrücke ab, ich möchte doch wissen, wer Du bist. Er reißt ihn an den Haaren.

Grain. O weh!

Wirth. Das ist ja echt – Donnerwetter . . . . . wer sind Sie? . . . . . Sie scheinen ja ein wirklicher Strolch zu sein?

Grain. Jawohl.

Wirth. Was wollen Sie denn von mir?

Grain. Ich habe die Ehre mit dem Bürger Prospère? . . . . Wirth vom grünen Kakadu?

Wirth. Der bin ich.

Grain. Ich nenne mich Grain . . . . zuweilen Carniche . . . in manchen Fällen der schreiende Bimsstein – aber unter dem Namen Grain war ich eingesperrt, Bürger Prospère – und das ist das Wesentliche.

Wirth. Ah – ich verstehe. Sie wollen sich bei mir engagieren lassen und spielen mir gleich was vor. Auch gut. Weiter.

Grain. Bürger Prospère, halten Sie mich für keinen Schwindler. Ich bin ein Ehrenmann. Wenn ich sage, daß ich eingesperrt war, so ist es die volle Wahrheit.

Wirth sieht ihn mißtrauisch an.

Grain zieht aus dem Rock ein Papier. Hier, Bürger Prospère. Sie ersehen daraus, daß ich gestern nachmittags vier Uhr entlassen wurde.

Wirth. Nach einer zweijährigen Haft – Donnerwetter, das ist ja echt! –

Grain. Haben Sie noch immer gezweifelt, Bürger Prospère?

Wirth. Was haben Sie denn angestellt, daß man Sie auf zwei Jahre –

Grain. Man hätte mich gehängt; aber zu meinem Glück war ich noch ein halbes Kind, als ich meine arme Tante umbrachte.

Wirth. Ja, Mensch, wie kann man denn seine Tante umbringen?

Grain. Bürger Prospère, ich hätte es nicht gethan, wenn die Tante mich nicht mit meinem besten Freunde hintergangen hätte.

Wirth. Ihre Tante?

Grain. Jawohl – sie stand mir näher, als sonst Tanten ihren Neffen zu stehen pflegen. Es waren sonderbare Familienverhältnisse . . . . . ich war verbittert, höchst verbittert. Darf ich Ihnen davon erzählen?

Wirth. Erzählen Sie immerhin, wir werden vielleicht ein Geschäft miteinander machen können.

Grain. Meine Schwester war noch ein halbes Kind, als sie aus dem Hause lief – und was glauben Sie – mit wem? –

Wirth. Es ist schwer zu errathen.

Grain. Mit ihrem Onkel. Und der hat sie sitzen lassen mit einem Kinde.

Wirth. Mit einem ganzen will ich hoffen.

Grain. Es ist unzart von Ihnen, Bürger Prospère, über solche Dinge zu scherzen.

Wirth. Ich will Ihnen ‘was sagen, Sie schreiender Bimsstein. Ihre Familiengeschichten langweilen mich. Glauben Sie, ich bin dazu da, mir von einem jeden hergelaufenen Lumpen erzählen zu lassen, wen er umgebracht hat? Was geht mich das alles an? Ich nehme an, Sie wollen irgend ‘was von mir –

Grain. Jawohl, Bürger Prospère, ich komme, Sie um Arbeit bitten.

Wirth höhnisch. Ich mache Sie aufmerksam, daß es bei mir keine Tanten zu ermorden giebt; es ist ein Vergnügungslokal.

Grain. Oh, ich hab’ an dem einen Mal genug gehabt. Ich will ein anständiger Mensch werden – man hat mich an Sie gewiesen.

Wirth. Wer, wenn ich fragen darf?

Grain. Ein liebenswürdiger junger Mann, den sie vor drei Tagen zu mir in die Zelle gesperrt haben. Jetzt ist er allein. Er heißt Gaston . . . . und Sie kennen ihn. –

Wirth. Gaston! Jetzt weiß ich, warum ich ihn drei Abende lang vermißt habe. Einer meiner besten Darsteller für Taschendiebe. – Er hat Geschichten erzählt; – ah, man hat sich geschüttelt.

Grain. Jawohl. Und jetzt haben sie ihn erwischt!

Wirth. Wieso erwischt? Er hat ja nicht wirklich gestohlen.

Grain. Doch. Es muß aber das erste Mal gewesen sein, denn er scheint mit einer unglaublichen Ungeschicklichkeit vorgegangen zu sein. Denken Sie – vertraulich – auf dem Boulevard des Capucines einfach einer Dame in die Tasche gegriffen – und die Börse herausgezogen – ein rechter Dilettant. – Sie flößen mir Vertrauen ein, Bürger Prospère – und so will ich Ihnen gestehn – es war eine Zeit, wo ich auch dergleichen kleine Stückchen aufführte, aber nie ohne meinen lieben Vater. Als ich noch ein Kind war, als wir noch alle zusammen wohnten, als meine arme Tante noch lebte –

Wirth. Was jammern Sie denn? Ich finde das geschmacklos! Hätten Sie sie nicht umgebracht!

Grain. Zu spät. Aber worauf ich hinaus wollte – nehmen Sie mich bei sich auf. Ich will den umgekehrten Weg machen wie Gaston. Er hat den Verbrecher gespielt und ist einer geworden – ich . . . . .

Wirth. Ich will’s mit Ihnen probieren. Sie werden schon durch Ihre Maske wirken. Und in einem gegebenen Moment werden Sie einfach die Sache mit der Tante erzählen. Wie’s war. Irgend wer wird Sie schon fragen.

Grain. Ich danke Ihnen, Bürger Prospère. Und was meine Gage anbelangt –

Wirth. Heute gastieren Sie auf Engagement, da kann ich Ihnen noch keine Gage zahlen. – Sie werden gut zu essen und zu trinken bekommen . . . und auf ein paar Franks für ein Nachtlager soll’s mir auch nicht ankommen.

Grain. Ich danke Ihnen. Und bei Ihren anderen Mitgliedern stellen Sie mich einfach als einen Gast aus der Provinz vor.

Wirth. Ah nein . . . . . denen sagen wir gleich, daß Sie ein wirklicher Mörder sind. Das wird ihnen viel lieber sein.

Grain. Entschuldigen Sie, ich will ja gewiß nichts gegen mich vorbringen – aber das versteh’ ich nicht.

Wirth. Wenn Sie länger beim Theater sind, werden Sie das schon verstehn.

Scaevola und Jules treten ein.

Scaevola. Guten Abend, Direktor!

Wirth. Wirth . . . Wie oft soll ich Dir noch sagen, der ganze Spaß geht flöten, wenn Du mich »Direktor« nennst.

Scaevola. Was immer Du seist, ich glaube, wir werden heut nicht spielen.

Wirth. Warum denn?

Scaevola. Die Leute werden nicht in der Laune sein – –. Es ist ein Höllenlärm in den Straßen, und insbesondere vor der Bastille schreien sie wie die Besessenen.

Wirth. Was geht das uns an? Seit Monaten ist das Geschrei, und unser Publikum ist uns nicht ausgeblieben. Es amusirt sich wie früher.

Scaevola. Ja, es hat die Lustigkeit von Leuten, die nächstens gehenkt werden.

Wirth. Wenn ich’s nur erlebe!

Scaevola. Vorläufig gieb uns ‘was zu trinken, damit ich in Stimmung komme. Ich bin heut durchaus nicht in Stimmung.

Wirth. Das passirt Dir öfter, mein Lieber. Ich muß Dir sagen, daß ich gestern durchaus unzufrieden mit Dir war.

Scaevola. Wieso, wenn ich fragen darf?

Wirth. Die Geschichte von dem Einbruch, die Du zum Besten gegeben hast, war einfach läppisch.

Scaevola. Läppisch?

Wirth. Jawohl. Vollkommen unglaubwürdig. Das Brüllen allein thut’s nicht.

Scaevola. Ich habe nicht gebrüllt.

Wirth. Du brüllst ja immer. Es wird wahrhaftig nothwendig werden, daß ich die Sachen mit Euch einstudire. Auf Euere Einfälle kann man sich nicht verlassen. Henri ist der Einzige.

Scaevola. Henri und immer Henri. Henri ist ein Coulissenreißer. Der Einbruch von gestern war ein Meisterstück. So was bringt Henri sein Lebtag nicht zusammen. – Wenn ich Dir nicht genüge, mein Lieber, so geh’ ich einfach zu einem ordentlichen Theater. Hier ist ja doch nur eine Schmiere . . . Ah . . . bemerkt Grain. Wer ist denn das? . . . Der gehört ja nicht zu uns? Hast Du vielleicht einen neu engagirt? Was hat der Kerl für Maske?

Wirth. Beruhige Dich, es ist kein Schauspieler von Beruf. Es ist ein wirklicher Mörder.

Scaevola. Ach so . . . . Geht auf ihn zu. Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen. Scaevola ist mein Name.

Grain. Ich heiße Grain.

Jules ist die ganze Zeit in der Schenke herumgegangen, manchmal auch stehen geblieben, wie ein innerlich Gequälter.

Wirth. Was ist denn mit Dir, Jules?

Jules. Ich memorire.

Wirth. Was denn?

Jules. Gewissensbisse. Ich mache heute Einen, der Gewissensbisse hat. Sieh mich an. Was sagst Du zu der Falte hier auf der Stirn? Seh’ ich nicht aus, als wenn alle Furien der Hölle . . . Geht auf und ab.

Scaevola brüllt. Wein – Wein her!

Wirth. Beruhige Dich . . . es ist ja noch kein Publikum da.

Henri und Léocadie kommen.

Henri. Guten Abend! Er begrüßt die Hintensitzenden mit einer leichten Handbewegung. Guten Abend, meine Herren!

Wirth. Guten Abend, Henri! Was seh’ ich! Mit Léocadie!

Grain hat Léocadie aufmerksam betrachtet, zu Scaevola. Die kenn’ ich ja . . . spricht leise mit den Anderen.

Léocadie. Ja, mein lieber Prospère, ich bin’s!

Wirth. Ein Jahr lang hab’ ich Dich nicht gesehen. Laß Dich begrüßen. Er will sie küssen.

Henri. Laß das! – Sein Blick ruht öfters auf Léocadie mit Stolz, Leidenschaft, aber auch mit einer gewissen Angst.

Wirth. Aber Henri . . . Alte Kollegen! . . . . Dein einstiger Direktor, Léocadie.

Léocadie. Wo ist die Zeit, Prospère! . . .

Wirth. Was seufzest Du! Wenn Eine ihren Weg gemacht hat, so bist Du’s! Freilich, ein schönes junges Weib hat’s immer leichter als wir.

Henri wüthend. Laß das.

Wirth. Was schreist Du denn immer so mit mir? Weil Du wieder einmal mit ihr beisammen bist?

Henri. Schweig! – sie ist seit gestern meine Frau.

Wirth. Deine . . .? Zu Léocadie. Macht er einen Spaß?

Léocadie. Er hat mich wirklich geheirathet. Ja. –

Wirth. So gratulir’ ich. Na . . . Scaevola, Jules – Henri hat geheirathet.

Scaevola kommt nach vorn. Meinen Glückwunsch zwinkert Léocadie zu.

Jules drückt gleichfalls beiden die Hand.

Grain zum Wirth. Ah, wie sonderbar – diese Frau hab ich geseh’n . . . ein paar Minuten, nachdem ich wieder frei war.

Wirth. Wieso?

Grain. Es war die erste schöne Frau, die ich nach zwei Jahren gesehen habe. Ich war sehr bewegt. Aber es war ein anderer Herr, mit dem – Spricht weiter mit dem Wirth.

Henri in einem hochgestimmten Ton, wie begeistert, aber nicht deklamatorisch. Léocadie, meine Geliebte, mein Weib! . . . Nun ist alles vorbei, was einmal war. In einem solchen Augenblick löscht Vieles aus.

Scaevola und Jules sind nach hinten gegangen, Wirth wieder vorn.

Wirth. Was für ein Augenblick?

Henri. Nun sind wir durch ein heiliges Sakrament vereinigt. Das ist mehr, als menschliche Schwüre sind. Jetzt ist Gott über uns, man darf alles vergessen, was vorher geschehen ist. Léocadie, eine neue Zeit bricht an. Léocadie, alles wird heilig, unsere Küsse, so wild sie sein mögen, sind von nun an heilig. Léocadie, meine Geliebte, mein Weib! . . . Er betrachtet sie mit einem glühenden Blick. Hat sie nicht einen anderen Blick, Prospère, als Du ihn früher an ihr kanntest? Ist ihre Stirn nicht rein? Was war, ist ausgelöscht. Nicht wahr, Léocadie?

Léocadie. Gewiß, Henri.

Henri. Und alles ist gut. Morgen verlassen wir Paris, Léocadie tritt heute zum letzten Male in der Porte St. Martin auf, und ich spiele heute das letzte Mal bei Dir.

Wirth betroffen. Bist Du bei Trost, Henri? – Du willst mich verlassen? Und dem Direktor der Porte St. Martin wird’s doch nicht einfallen, Léocadie ziehen zu lassen? Sie macht ja das Glück seines Hauses. Die jungen Herren strömen ja hin, wie man sagt.

Henri. Schweig. Léocadie wird mit mir gehen. Sie wird mich nie verlassen. Sag’ mir, daß Du mich nie verlassen wirst, Léocadie. Brutal. Sag’s mir!

Léocadie. Ich werde Dich nie verlassen!

Henri. Thätest Du’s, ich würde Dich . . . Pause. Ich habe dieses Leben satt. Ich will Ruhe, Ruhe will ich haben.

Wirth. Aber was willst Du denn thun, Henri? Es ist ja lächerlich. Ich will Dir einen Vorschlag machen. Nimm Léocadie meinethalben von der Porte St. Martin fort – aber sie soll hier, bei mir bleiben. Ich engagiere sie. Es fehlt mir sowieso an talentirten Frauenspersonen.

Henri. Mein Entschluß ist gefaßt, Prospère. Wir verlassen die Stadt. Wir gehen auf’s Land hinaus.

Wirth. Auf’s Land? Wohin denn?

Henri. Zu meinem alten Vater, der allein in unserem armen Dorf lebt, – den ich seit sieben Jahren nicht gesehen habe. Er hat kaum mehr gehofft, seinen verlorenen Sohn wiederzusehen. Er wird mich mit Freuden aufnehmen.

Wirth. Was willst Du auf dem Lande thun? Auf dem Lande verhungert man. Da geht’s den Leuten noch tausendmal schlechter als in der Stadt. Was willst Du denn dort machen? Du bist nicht der Mann dazu, die Felder zu bebauen. Bilde Dir das nicht ein.

Henri. Es wird sich zeigen, daß ich auch dazu der Mann bin.

Wirth. Es wächst bald kein Korn mehr in ganz Frankreich. Du gehst in’s sichere Elend.

Henri. In’s Glück, Prospère. Nicht wahr, Léocadie? Wir haben oft davon geträumt. Ich sehne mich nach dem Frieden der weiten Ebene. Ja, Prospère, in meinen Träumen seh’ ich mich mit ihr abends über die Felder gehn, in einer unendlichen Stille, den wunderbaren tröstlichen Himmel über uns. Ja, wir fliehen diese schreckliche und gefährliche Stadt, der große Friede wird über uns kommen. Nicht wahr, Léocadie, wir haben es oft geträumt.

Léocadie. Ja, wir haben es oft geträumt.

Wirth. Höre, Henri, Du solltest es Dir überlegen. Ich will Dir Deine Gage gerne erhöhen, und Léocadie will ich ebensoviel geben als Dir.

Léocadie. Hörst Du, Henri?

Wirth. Ich weiß wahrhaftig nicht, wer Dich hier ersetzen soll. Keiner von meinen Leuten hat so köstliche Einfälle als Du, keiner ist bei meinem Publikum so beliebt als Du . . . . Geh nicht fort!

Henri. Das glaub’ ich wohl, daß mich niemand ersetzen wird.

Wirth. Bleib bei mir, Henri! Wirft Léocadie einen Blick zu, sie deutet an, daß sie’s schon machen wird.

Henri. Und ich verspreche Dir, der Abschied wird ihnen schwer werden – ihnen, nicht mir. Für heute – für mein letztes Auftreten hab’ ich mir ‘was zurechtgelegt, daß es sie alle schaudern wird . . . . . eine Ahnung von dem Ende ihrer Welt wird sie anwehen . . . . . denn das Ende ihrer Welt ist nahe. Ich aber werd’ es nur mehr von fern erleben . . . . . man wird es uns draußen erzählen, Léocadie, viele Tage später, als es geschehen . . . . . Aber sie werden schaudern, sag’ ich Dir. Und Du selbst wirst sagen: So gut hat Henri nie gespielt.

Wirth. Was wirst Du spielen? Was? Weißt Du’s, Léocadie?

Léocadie. Ich weiß ja nie etwas.

Henri. Ahnt denn irgend Einer, was für ein Künstler in mir steckt?

Wirth. Gewiß ahnt man es, drum sag’ ich ja, daß man sich mit einem solchen Talent nicht auf’s Land vergräbt. Was für ein Unrecht an Dir! An der Kunst!

Henri. Ich pfeife auf die Kunst. Ich will Ruhe. Du begreifst das nicht, Prospère, Du hast nie geliebt.

Wirth. Oh! –

Henri. Wie ich liebe. – Ich will mit ihr allein sein – das ist es . . . . . Léocadie, nur so können wir alles vergessen. Aber dann werden wir so glücklich sein, wie nie Menschen gewesen sind. Wir werden Kinder haben, Du wirst eine gute Mutter werden, Léocadie, und ein braves Weib. Alles, alles wird ausgelöscht sein.

Große Pause.

Léocadie. Es wird spät, Henri, ich muß in’s Theater. Leb’ wohl, Prospère, ich freue mich, endlich einmal Deine berühmte Bude gesehen zu haben, wo Henri solche Triumphe feiert.

Wirth. Warum bist Du denn nie hergekommen?

Léocadie. Henri hat’s nicht haben wollen – na, weißt Du, wegen der jungen Leute, mit denen ich da sitzen müßte.

Henri ist nach rückwärts gegangen. Gieb mir einen Schluck, Scaevola. Er trinkt.

Wirth zu Léocadie, da ihn Henri nicht hört. Ein rechter Narr, der Henri – wenn Du nur immer mit ihnen gesessen wärst.

Léocadie. Du, solche Bemerkungen verbitt’ ich mir.

Wirth. Ich rathe Dir, gieb Acht, Du blöde Canaille. Er wird Dich einmal umbringen.

Léocadie. Was giebt’s denn?

Wirth. Schon gestern hat man Dich wieder mit einem Deiner Kerle gesehen.

Léocadie. Das war kein Kerl, Du Dummkopf, das war . . . . .

Henri wendet sich rasch. Was habt Ihr? Keine Späße, wenn’s beliebt. Aus mit dem Flüstern. Es giebt keine Geheimnisse mehr. Sie ist meine Frau.

Wirth. Was hast Du ihr denn zum Hochzeitsgeschenk gemacht?

Léocadie. Ach Gott, an solche Dinge denkt er nicht.

Henri. Nun, Du sollst es noch heute bekommen.

Léocadie. Was denn?

Scaevola. Jules. Was giebst Du ihr?

Henri ganz ernst. Wenn Du mit Deiner Scene zu Ende bist, darfst Du hierherkommen und mich spielen sehen.

Man lacht.

Henri. Nie hat eine Frau ein prächtigeres Hochzeitsgeschenk bekommen. Komm, Léocadie; auf Wiedersehen, Prospère, ich bin bald wieder zurück.

Henri und Léocadie ab.

Es treten zugleich ein: François Vicomte von Nogeant, Albin Chevalier de la Tremouille.

Scaevola. Was für ein erbärmlicher Aufschneider.

Wirth. Guten Abend, Ihr Schweine.

Albin schreckt zurück.

François ohne darauf zu achten. War das nicht die kleine Léocadie von der Porte St. Martin, die da mit Henri wegging?

Wirth. Freilich war sie’s. Was? – Die könnte am Ende sogar Dich erinnern, das Du noch so ‘was wie ein Mann bist, wenn sie sich große Mühe gäbe.

François lachend. Es wäre nicht unmöglich. Wir kommen heute etwas früh, wie mir scheint?

Wirth. Du kannst Dir ja unterdeß mit Deinem Lustknaben die Zeit vertreiben.

Albin will auffahren.

François. So laß doch. Ich hab’ Dir ja gesagt, wie’s hier zugeht. Bring’ uns Wein.

Wirth. Ja, das will ich. Es wird schon die Zeit kommen, wo Ihr mit Seinewasser sehr zufrieden sein werdet.

François. Gewiß, gewiß . . . . . aber für heute möchte ich um Wein gebeten haben, und zwar um den besten.

Wirth zum Schanktisch.

Albin. Das ist ja ein schauerlicher Kerl.

François. Denk’ doch, daß alles Spaß ist. Und dabei giebt es Orte, wo Du ganz ähnliche Dinge im Ernst hören kannst.

Albin. Ist es denn nicht verboten?

François lacht. Man merkt, daß Du aus der Provinz kommst.

Albin. Ah, bei uns geht’s auch recht nett zu in der letzten Zeit. Die Bauern werden in einer Weise frech . . . . . man weiß nicht mehr, wie man sich helfen soll.

François. Was willst Du? Die armen Teufel sind hungrig; das ist das Geheimnis.

Albin. Was kann denn ich dafür? Was kann denn mein Großonkel dafür?

François. Wie kommst Du auf Deinen Großonkel?

Albin. Ja, ich komme darauf, weil sie nämlich in unserem Dorf eine Versammlung abgehalten haben – ganz öffentlich – und da haben sie meinen Großonkel, den Grafen von Tremouille, ganz einfach einen Kornwucherer genannt.

François. Das ist alles . . .?

Albin. Na, ich bitte Dich!

François. Wir wollen morgen einmal in’s Palais Royal, da sollst Du hören, was die Kerle für lasterhafte Reden führen. Aber wir lassen sie reden; es ist das beste, was man thun kann; im Grunde sind es gute Leute, man muß sie auf diese Weise austoben lassen.

Albin auf Scaevola &c. deutend. Was sind das für verdächtige Subjecte? Sieh nur, wie sie Einen anschauen. Er greift nach seinem Degen.

François zieht ihm die Hand weg. Mach’ Dich nicht lächerlich! Zu den Dreien. Ihr braucht noch nicht anzufangen, wartet, bis mehr Publikum da ist. Zu Albin. Es sind die anständigsten Leute von der Welt, Schauspieler. Ich garantire Dir, daß Du schon mit ärgeren Gaunern an einem Tisch gesessen bist.

Albin. Aber sie waren besser angezogen.

Wirth bringt Wein.

Michette und Flipotte kommen.

François. Grüß Euch Gott, Kinder, kommt, setzt Euch da zu uns.

Michette. Da sind wir schon. Komm nur, Flipotte. Sie ist noch etwas schüchtern.

Flipotte. Guten Abend, junger Herr!

Albin. Guten Abend, meine Damen!

Michette. Der Kleine ist lieb. Sie setzt sich auf den Schoß Albins.

Albin. Also bitte, erkläre mir, François, sind das anständige Frauen?

Michette. Was sagt er?

François. Nein, so ist das nicht, die Damen, die hierher kommen – Gott, bist Du dumm, Albin!

Wirth. Was darf ich den Herzoginen bringen?

Michette. Bring’ mir einen recht süßen Wein.

François auf Flipotte deutend. Eine Freundin?

Michette. Wir wohnen zusammen. Ja, wir haben zusammen nur ein Bett!

Flipotte erröthend. Wird Dir das sehr unangenehm sein, wenn Du zu ihr kommst? Setzt sich auf François Schoß.

Albin. Die ist ja garnicht schüchtern.

Scaevola steht auf, düster, zu dem Tisch der jungen Leute. Hab’ ich Dich endlich wieder! Zu Albin. Und Du miserabler Verführer, wirst Du schaun, daß Du . . . . . Sie ist mein!

Wirth sieht zu.

François zu Albin. Spaß, Spaß . . . .

Albin. Sie ist nicht sein –?

Michette. Geh, laß mich doch sitzen, wo’s mir beliebt.

Scaevola steht mit geballten Fäusten da.

Wirth hinter ihm. Nun, nun!

Scaevola. Ha, ha!

Wirth faßt ihn beim Kragen. Ha, ha! Bei Seite zu ihm. Sonst fällt Dir nichts ein! Nicht für einen Groschen Talent hast Du. Brüllen! Das ist das einzige, was du kannst.

Michette zu François. Er hat es neulich besser gemacht –

Scaevola zum Wirth. Ich bin noch nicht in Stimmung. Ich mach’ es später noch einmal, wenn mehr Leute da sind; Du sollst sehen, Prospère; ich brauch’ Publikum.

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