2017-01-30

Amerika | 27.01.2017, Makroskop

Von Jörg Bibow

Der Präsident und seine wirtschaftspolitischen Berater ziehen ein Resümee: In vielerlei Hinsicht wird eine Erfolgsbilanz präsentiert; es zeigt aber auch viele Baustellen und Defizite in der amerikanischen Wirtschafts- und Sozialpolitik auf.

Jedes Jahr im Januar legt der amerikanische Präsident der Öffentlichkeit seinen „Wirtschaftsbericht“ („Economic Report of the President“) vor. Der wird zusammen mit dem Jahresbericht des „Council of Economic Advisers“ (CEA) veröffentlicht. Das ist das offizielle wirtschaftspolitische Beratungsgremium des Präsidenten. Es besteht aus nur drei Mitgliedern, wird aber von rund 30 weiteren Ökonomen in seiner Arbeit unterstützt. Der diesjährige Bericht (s. hier) ist auch eine Art Schlussbilanz der Wirtschaftspolitik und -entwicklung der letzten acht Jahre, also der Obama Präsidentschaft, die mit dem Amtsantritt von Donald Trump letzte Woche zu Ende gegangen ist. Der Bericht präsentiert in vielerlei Hinsicht eine Erfolgsbilanz. Er zeigt aber auch viele Baustellen und Defizite in der amerikanischen Wirtschafts- und Sozialpolitik auf. Der mangelnde Erfolg auf einigen wichtigen Gebieten war sicher auch ein wichtiger Grund für den Wahlsieg des neuen Präsidenten, der die Welle des Populismus in Wildwest-Manier geritten ist, aber eine Volkswirtschaft in recht guter Lage erben wird. Es zeichnet sich ab, dass der neue Präsident nicht nur teilweise andere wirtschaftspolitische Ziele verfolgen, sondern auch andere Mittel und Strategien zu ihrer Erreichung einsetzen wird.

Themen und Struktur des CEA-Berichts zeigen, in welchen Bereichen der alte Präsident Akzente setzten wollte. Die Kernthemen umfassen: Ungleichheit, Reform des Gesundheitssystems, Investitionen in die Hochschulausbildung, Stärkung des Finanzsystems, und Angehen des Klimawandels.

Ob Donald Trump dieselben Themen zu seinen eigenen Prioritäten machen wird oder nicht, die daraus begründeten Herausforderungen werden auch dem neuen Präsidenten gewiss erhalten bleiben. Sie erwarten seine baldige Weichenstellung. Erste Bemühungen Donald Trumps konzentrierten sich darauf, die Obama Gesundheitsreform aufzuheben – wofür er allerdings sofortigen Ersatz wird schaffen müssen, da sonst viele seiner Anhänger negativ betroffen würden. Auch in Bezug auf Finanzregulierung und Klimawandel gibt es reaktionäre Vorstellungen; die Konsequenzen wären hier weniger sofort, aber daher umso verheerender längerfristig zu spüren. Die Erfolgsbilanz des alten Präsidenten wird also vielleicht schon bald zerschossen werden. Bevor es dazu kommt, wollen wir einen kleinen Rückblick unternehmen. Ich werde mich dabei nur auf einige wenige Aspekte der Wirtschaftsentwicklung der letzten acht Jahre und aktuell stark diskutierte Themen konzentrieren.

Obamas Wirtschaftpolitik war ein Erfolg

Ex-Präsident Obama erinnert in seinem Wirtschaftsbericht zunächst daran, dass seine Amtszeit im Januar 2009 in einem katastrophal schlechten wirtschaftlichen Umfeld begann. Die Investmentbank Lehman war im Herbst Pleite gegangen. Dem Finanzsystem drohte die Kernschmelze, Aktien- und Immobilienpreise befanden sich im Sinkflug. Amerikas Wirtschaft erlebte die tiefste Rezession seit der Großen Depression, schrumpfte mit einer Jahresrate von über 8 Prozent. 800 Tausend Arbeitsplätze gingen damals pro Monat verloren. Die Arbeitslosenrate verdoppelte sich rasant auf 10 Prozent. Viele Amerikaner verloren auch ihr Eigenheim. Amerikas Autoindustrie drohte zu kollabieren. Die Liste des Horrors ließe sich mehrseitig fortführen.

Die Ungleichheit wurde einerseits steuerpolitisch zumindest leicht abgemildert. Andererseits lieferte insbesondere die Ausweitung des Krankenversicherungsschutzes in dieser Hinsicht einen wichtigen Beitrag. Dies war natürlich das Ergebnis des „Affordable Care Act“ (auch bekannt als: „Obamacare”), der den Kreis der Krankenversicherten um geschätzte 20 Millionen Erwachsene und drei Millionen Kinder erweitert hat. Noch dazu sind die Gesundheitskosten seit der Reform im Vergleich zur Entwicklung während der 50 Jahre davor außergewöhnlich schwach angestiegen. Im Bereich Hochschulwesen wurden z.B. die staatlichen Mittel für Studienstipendien deutlich aufgestockt. Maßnahmen zur Stärkung des Finanzsystems betrafen sowohl Banken, die auch zuvor reguliert worden waren, aber nunmehr strengeren Anforderungen unterliegen, als auch andere Finanzinstitutionen, die zuvor der Regulierung weitgehend entgangen waren. Die Obama Administration hat sich der Herausforderung des Klimawandels sowohl durch strengere Regulierungen als auch durch Investitionen in neue Energien gestellt. International hat sie etwa im Vorwege des Pariser UN-Klimaschutzabkommens gemeinsam mit China eine Vorreiterrolle gespielt.

Im Vergleich zum Ausgangspunkt war Obamas Wirtschaftspolitik ein großer Erfolg. Das erste Kapital des CEA-Jahresberichts trägt daher den Titel „Eight years of recovery and reinvestment“. Damit wird auch auf den offiziellen Titel des Obama Konjunkturprogramms angespielt: „The American Recovery and Reinvestment Act of 2009” (ARRA). Gemeinsam mit der experimentellen Geldpolitik der Federal Reserve und den Maßnahmen des US-Schatzamts zur Bankenrettung lieferte der „Obama stimulus“ einen entscheidenden Beitrag zur seit 2009 anhaltenden Wirtschaftserholung Amerikas. Man darf sich hier auch durchaus daran erinnern, dass diese Maßnahmen damals von vielen Republikanern im amerikanischen Kongress abgelehnt und heftig kritisiert worden waren. Wie die Entwicklung Amerikas und der Welt ohne diese Maßnahmen verlaufen wäre, kann man natürlich nur erahnen. Möchte man aber vielleicht lieber auch nicht so genau wissen.

Abbildung 1: Veränderung der sozialversicherten Beschäftigten der privaten Wirtschaft



Anmerkung: alle hier verwendeten Abbildungen stammen aus dem CEA-Bericht

Der wohl wichtigste wirtschaftspolitische Erfolg Obamas betrifft die Beschäftigungsentwicklung. Nachdem in der Krise zunächst fast neun Millionen Arbeitsplätze verloren gegangen waren, begann Anfang 2010 der historisch längste Beschäftigungsaufschwung Amerikas, der mittlerweile 74 Monate lang anhält und insgesamt 15,6 Millionen Arbeitsplätze in der privaten Wirtschaft (ohne Landwirtschaft) geschaffen hat. Die Arbeitslosenrate liegt heute wieder unter 5 Prozent. In den letzten Jahren sind dabei auch die Reallöhne der nichtleitenden Arbeitnehmer wieder leicht gestiegen, was ebenfalls einer positiven Entwicklung gegenüber der Stagnation im Gesamtverlauf seit dem Anfang der achtziger Jahre entspricht. Im letzten Jahr ist sogar der Median der Haushaltseinkommen nach langer Durststrecke wieder einmal kräftig gestiegen.

Dennoch war der Erfolg an dieser Front offenbar nicht groß genug, weswegen das ein wichtiges Wahlkampfthema war. Denn die Anzahl der Erwerbstätigen als Anteil an der zivilen Bevölkerung im Alter von 16 Jahren und älter – die Erwerbstätigenquote – ist in der Krise stark eingebrochen und hat sich seither nur langsam und teilweise erholt. Ein historisch niedriger Anteil der Amerikaner nimmt heute am Erwerbsleben teil. In weiten, insbesondere ländlichen Regionen Amerikas ist die Einkommensentwicklung vieler Familien unbefriedigend geblieben.

Abbildung 2: zivile Beschäftigung in der Großen Depression und Großen Rezession



Für die Beschäftigungsentwicklung fällt auch der historische Vergleich zur Großen Depression durchaus günstig aus. Dabei war insbesondere der Einbruch in der Großen Rezession viel kürzer und weniger tief. Die nachfolgende Erholung verlief dagegen weniger rasant als in den dreißiger Jahren.

Abbildung 3: Pro-Kopf BIP (preisbereinigt), 2007-2016



Der Bericht erwähnt daneben auch, dass die Wirtschaftsentwicklung in Amerika im Vergleich zu anderen reichen Ländern günstig verlief. Der Vergleich zur Eurozone sticht hier natürlich besonders hervor, die gerade erst den Vorkrisenstand wieder erreicht hat; zumindest im Durchschnitt, denn die Krisenländer bleiben hiervon bis heute sehr weit entfernt.

Abbildung 4: Produktion und Beschäftigung im Verarbeitenden Gewerbe

Wenn in einem Sektor die Produktion steigt, obwohl die Beschäftigung sinkt, dann muss dieser Sektor entsprechend hohe Produktivitätsgewinne erzielen. Das trifft seit den siebziger Jahren insbesondere für das Verarbeitende Gewerbe zu. Und speziell die Beschäftigungslage im Verarbeitenden Gewerbe spielte im Präsidentschaftswahlkampf eine hervorgehobene Rolle. Heute gibt es hier in Amerika nur noch gut 12 Millionen Beschäftigte. Anfang der achtziger Jahre waren es noch gut 18 Millionen. Ein Drittel der Arbeitsplätze wurde also mittlerweile eingespart, während sich der Indexwert der Produktion verdoppelt hat. Der Beschäftigungseinbruch war nach der Rezession in den frühen Zweitausendern allerdings noch größer als im Zuge der Großen Rezession, und die Beschäftigung sank dann auch im weiteren Verlauf bis zur Großen Rezession sogar noch weiter. In den Obama-Jahren ist sie dagegen zumindest wieder leicht angestiegen. Gemessen an der öffentlichen Diskussion war dies also durchaus ein Erfolg – der allerdings wiederum nicht groß genug war. Der neue Präsident hat auf diesem Gebiet wahre Wunder versprochen. Das Land wartet jetzt gespannt auf seine Wundermittel.

Verbleibende Baustellen

Letztlich eher gescheitert ist Obamas Wirtschaftspolitik desweiteren auch an zwei im CEA-Bericht als strukturelle Herausforderungen genannten Themen: der Verlangsamung des Produktivitätswachstums und der steigenden Ungleichheit. Produktivitätswachstum ist die Quelle steigender Einkommen. Unterstellt man Nachhaltigkeit des Wachstums im Sinne von Nichtzerstörung der Umwelt, so sind Produktivitätswachstum und steigende Einkommen als zunehmende Wohlfahrt begrüßenswert. Es bleibt allerdings die Frage der Verteilung der Einkommen: nehmen alle daran teil oder nur wenige?

Abbildung 5: Produktivität des Unternehmenssektors (ohne Landwirtschaft)

Abbildung 5 veranschaulicht hierzu den dauerhaften Einbruch des Produktivitätswachstums der Unternehmen (ohne Landwirtschaft) seit 2010. Es gab also nur relativ wenig zusätzliches Einkommen zu verteilen. Die Ursache hierfür ist meines Erachtens insbesondere in der anhaltenden Investitionsschwäche zu sehen, worauf ich hier heute allerdings nicht weiter eingehen will.

Diese Entwicklung hat andere reiche Länder übrigens ganz ähnlich befallen (s. Abbildung 6). Amerika liegt hier auch für die Zeit ab 2005 sogar noch vorn. Aber der Einbruch von knapp 2,5 Prozent auf unter 1 Prozent ist drastisch und stellt die Wirtschaftspolitik vor eine große Herausforderung. Für den neuen Präsidenten bietet sich hier eine große Chance, etwa durch die im Wahlkampf versprochenen Infrastrukturinvestitionen eine Trendwende zu erreichen.

Abbildung 6: Wachstum der Arbeitsproduktivität, G7 Länder

<img data-attachment-id="21828" data-permalink="https://fbkfinanzwirtschaft.wordpress.com/2013/07/12/europes-financial-system-is-in-a-terrible-state-and-nothing-much-is-being-done-about-it/" data-orig-file="" data-orig-size="" data-comments-opened="1" data-image-meta="[]" data-image-title="Europe’s financial system is in a terrible state, and nothing much is being done about it" data-image-description='<p>Date: 11-07-2013<br />
Source: The Economist<br />
Subject: Europe’s zombie banks: Blight of the living dead</p>
<p>“PROBABLY the most successful monetary-policy measure undertaken in recent times.”</p>
<p>That is Mario Draghi’s self-effacing judgment on the outright monetary transactions <strong><span style="color:#ff0000;">(OMT)</span></strong> programme, the promise made by the European Central Bank (ECB) last summer to buy the bonds of struggling euro-area governments. The ECB’s president deserves credit for bringing calm to bond markets. But in reality the situation is still awful, and Europe’s banks are at the heart of the problem.</p>
<p>The euro-zone economy has contracted for six consecutive quarters. The IMF this week revised its 2013 forecast down again: it expects the euro zone to shrink by 0.6% this year. (Just to rub things in, the fund adjusted its forecasts for Britain upwards.) The outlook in the core euro-zone economies has worsened, thanks in part to a slowdown in China: in May German exports suffered their sharpest fall for two years. But the brunt of the pain is being borne by the peripheral economies.</p>
<p><strong><span style="color:#ff0000;">Greece is in its sixth straight year of recession; Spain’s unemployment rate stands at almost 27%; Italy’s credit rating was downgraded this week.</span> </strong>Benoît Coeuré, an ECB board member, got it right on July 10th when he said that the euro zone “is still engulfed in a severe crisis”. The OMT programme may keep the financial speculators at bay, but pressure can build on the streets as well as in bond yields. Years of joblessness, economic hardship and edicts from creditor countries are straining the political fabric in Portugal and Greece.<!--more--></p>
<p>Credit corpses<br />
<strong><span style="color:#ff0000;">Banks are central to Europe’s prospects. The fear, especially in peripheral economies, is a repeat of Japan’s experience in the 1990s, when “zombie” banks staggered along for years, neither healthy enough to lend to firms nor weak enough to collapse.</span></strong> There are the same unvital signs in Europe. The average price-to-book ratio for European banks remains below one, suggesting that investors think lenders are worth more dead than alive. In America, where banks were recapitalised quickly, the ratio exceeds one. Italy’s two big lenders, UniCredit and Intesa Sanpaolo, have ratios of 0.34 and 0.42 respectively.</p>
<p>The suspicion of European lenders is well-founded. The amount of shaky loans keeps climbing: worryingly, there are more non-performing loans in the Italian banking system than there is core “Tier-1” capital. Lots of peripheral banks have been loading up on their own governments’ bonds: Portugal’s three biggest banks increased their holdings of Portuguese sovereign debt by 16% in the first quarter of the year. Mortgages account for even more bank assets’ and house prices keep falling—at the fastest pace on record in Spain in the first quarter.</p>
<p><strong><span style="color:#ff0000;">Weren’t the Europeans supposed to be cleaning up their balance-sheets?</span> </strong>Private-equity firms that have raised billions to buy up distressed assets from European banks are kicking their heels while they wait for deals to arrive. Regulators worry that banks, rather than writing off or selling bad loans, have been fiddling with the models that dictate how much capital they need to hold. Danske Bank, a big Danish lender, was abruptly ordered by its supervisor to change its calculations last month, lowering its capital ratio. Denmark is outside the euro, but even German politicians joke about the nasty surprises in their banks’ balance-sheets.</p>
<p><strong><span style="color:#ff0000;">None of this presages a full-scale collapse: European banks have more capital than they did before the start of the crisis. But lending is being throttled.</span> </strong>As far as the periphery is concerned, the ECB’s attempts to kickstart growth with ultra-low interest rates is one of the least successful central-bank policies of recent times. Loans to non-financial firms contracted in May by 4.1% in Italy, 5.0% in Portugal and 9.7% in Spain. Some of that is caused by the impact of recession. But it also reflects financial fragmentation. Banks in strong countries are lending less across borders. Lenders in weak countries pay more to borrow than banks in strong ones. This divergence ripples through to customers: the difference in the cost of borrowing between German and Spanish firms rose from a mere six basis points in summer 2011 to 149 basis points earlier this year.<

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