2016-07-21

18.07.2016

Von Martin Rothweiler, Makroskop

Die aufkeimende italienische Bankenkrise um den Wackelkandidat „Monte dei Paschi di Siena” kommt nicht unerwartet. Der Umgang mit ihr könnte jedoch für ein paar Überraschungen sorgen.

Die Anfangsjahre Europas ältester, noch aktiven Bank „Monte dei Paschi di Siena (MPS) vor knapp 600 Jahren begannen ähnlich turbulent und polarisierend, wie ihr gegenwärtiger Untergang verhindert werden soll.

Der Zins, das Geschäft und die Moral

Ausgangspunkt war der „Berg der Barmherzigkeit”, ein nicht gewinnorientiertes Pfandhaus des Franziskaner-Ordens aus den Jahren 1412-1472. In einer ausgesprochen gewalttätigen Epoche, geprägt von Konflikten zwischen Handelsdynastien, Königshäusern, dem heiligen Stuhl sowie moralischen Selbstfindungsversuchen um das Zinsverbot, positionierten sich die Franziskaner ideologisch gegen sogenannte „Wucherer”. Die Predigten von Franziskanern wie Matteo Strozzi deuteten unverhohlen abwertend in Richtung der Lombarden und der Jüdischen Banker (hier).

„Geld kann kein Geld schaffen“ (Nummus nummum parere non potest), hieß die verbreitete Normative bis zum späten Mittelalter. Die u.a. an Aristoteles angelehnte Zinskritik wurde wiederholt im Jahre 346 a.D. in der „Lex  Genuciae“ als Zinsverbot niedergeschrieben.

Spätestens seit dem Jahr 1580 wollte man dann doch nicht mehr nur zuschauen wie die Familien der Medici, Cosimo I. und andere handelsorientierte Dynastien florierten, gleichzeitig aber das eigene Geschäftsmodell mit den Armen, mehr schlecht als recht, vor sich hin darbte. Man überwand das im zweiten Konzil von Lyon 1274 zementierte Zinsverbot geschmeidig und elegant unter der Vision der wohltätigen, aber auch unternehmerischen, Regionalentwicklung.

Über die Jahrhunderte entwickelte sich die MPS zur viertgrößten italienischen Bank mit globalem Aktionsradius. Im Jahr 1995 folgte die Auftrennung in eine verwaltende wohltätige Stiftung für die Provinz Siena und eine operative privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft. Der Börsengang  im Jahr 1999 war zehnfach überzeichnet. Der Wohlstand und die Wirtschaft der kompletten Provinz Siena und darüber hinaus weltweit 30.000 Arbeitsplätze hängen direkt oder indirekt an dieser Bank.

Die Bruchlandung

In das Bewusstsein der breiten europäischen Öffentlichkeit fand die MPS spätestens wieder im Jahre 2013 mit David Rossis Sturz aus dem Bürofenster (hier). Statt das zu tun, was man vom Kommunikation-Chef der MPS per Definition erwarten würde, nämlich zu reden, entschied sich dieser für den Freitod, heißt es offiziell. Nicht schlecht gelaufen für die hinterbliebenen Seilschaften aus Finanzwesen und Politik.

Vorausgegangen waren diverse Dramen wie Aufkäufe von Pleitebanken im Bancopoli-Skandal (Banca Antonveneta über die spanische Banco Santander), sowie die üblichen Beihilfen mit dubiosen Derivaten aus dem Zauberkasten der Deutschen Bank und der Japanischen Nomura, um Löcher in der Bilanz der MPS zu verstecken (hier).

Im Jahr 2012 polsterte „Technokrat” Mario Monti die Bank mit 4 Milliarden aus der Staatskasse auf. Zum Ausgleich belohnte man den italienischen Staat mit einer 4 %-Beteiligung an der maroden Bank. Da sich die Zahlungsfähigkeit der Schuldner dank Austeritäts-Diktat „entgegen der Erwartungen“ (?) nicht verbesserte, müssen heute immer mehr Kredite abgeschrieben werden.

Bail-in, Bail-out, Bail-ando … ?

Die Suche nach einer Lösung gestaltet sich zum Tanz auf dem Drahtseil:

Beugt sich Ministerpräsident Renzi dem neuen europäischen Diktat, dem Bail-in, so wird er mit den heimischen Mistgabeln abrechnen müssen. Vom Pizzabäcker bis zur Professoren-Familie; der überwiegende Teil der ansässigen Bevölkerung hält hauseigene Aktien, Anleihen, Derivate oder anderes „geduldiges Papier”. Nachranganleihen und CDO´s an „Hund und Katz” als Altersvorsorge  zu verscherbeln gehörte zu einer der letzten Spezialitäten der Bank, ähnlich wie schon bei der Banca Etruria (hier).

Als wäre das nicht genug Ärger, hatte Renzi im Januar 2016 noch vollmundig für die Bank geworben: „Das System ist solide, wer MPS-Aktien kauft, macht ein gutes Geschäft”(hier). Seither ist der Kurs um mehr als 60% eingebrochen.

Versucht Matteo Renzi aber nun den alternativen Tanz des Bail-outs und ruft den Staat und die Zentralbanken auf den Plan, so steht zwangläufig eine Kollision mit der Europäischen Kommission, der Troika, und dem Duo Schäuble & Merkel bevor, das ihn schnell auf den Boden der Tatsachen zurückholen wird. Beide müssen innenpolitisch weiterhin den „Hardliner” spielen, aber auch die außenpolitischen Konsequenzen im Augen behalten. Irgendeine Form von versteckter Flexibilität wird es also geben.

Der „Sündenfall“

„Verzeihen, aber nicht vergessen“, dürfte nämlich im Moment Renzis Verteidigungsstrategie am Besten zu beschreiben sein. Von der Hypo-Real Estate über die Commerzbank bis zur West LB hat die deutsche Bundesregierung mit dem Soffin seit 2008 circa 30 Milliarden an Kapitalspritzen verteilt , sowie 168 Milliarden Euro an Garantien unterschrieben (hier). Das sind Präzedenzfälle an die sich Verhandlungspartner bei strategischer Notwendigkeit natürlich erinnern und die italienische Presse schießt schon längst aus allen Lagern in genau diese Richtung. Dass die Deutsche Bank als „gefährlichste Bank“ der Welt deklariert wird (hier), wird dort genauso lebendig diskutiert, wie der nächste Dominostein der Bremer Landesbank oder die dubiose Verfilzung und Struktur der deutschen Landesbanken (hier). Schäuble hat zwar formal Recht, wenn er sagt, die Regeln seien „nun mal jetzt andere“, er kann es sich aber, wie oben beschrieben, kaum leisten Renzi innenpolitisch zum Abschuss freizugeben. Denn dann sitzt ihm nächstes Mal nicht Renzi gegenüber, sondern ein „Clown“ der „Fünf-Sterne-Bewegung“. Das wäre für Italien – mit größter Wahrscheinlichkeit – der Ausstieg aus dem Euro.

Zurück zur Frage der Moral

Genau genommen sehe ich wenig Sinn darin, sich auf die konkrete Höhe der notleidenden Kredite zu fokussieren. Wen es dennoch interessiert, wird (hier) beim IMF fündig oder (hier). Man spricht von circa 360 Milliarden Non-Perfoming-Loans für ganz Italien, circa 45 Milliarden für die MPS.

In einer Zeit, in der alle für alle (und doch keinen) haften, man den Bock zum Gärtner kürt, negative Vorzeichen in der Zinspolitik auftauchen und EZB-Stresstests in Volkwagen-Manier auf das gewünschte Analyse-Ergebnis angepasst werden (hier), da sind Zahlen sowieso zur inhaltslosen Definitionsmenge verkümmert. Alles weiter klärt Signore „Believe me, it will be enough“.

Brennend interessiert allerdings umso mehr die Frage nach der Qualität und Mittelverwendung der vergebenen Kredite: Für wen wurden sie geschöpft? Wer definierte die Normen und wer wachte über deren Einhaltung? Aber genau hier wird es leider am wenigsten Aufklärung geben.

Der Geldautomat der Partei

Einige Hinweise liefern die Spitznamen der Bank: Monte dei Fiaschi (Plural von Fiasko) und auch der „Geldautomat der Sozialdemokraten“ nennt sie Elio Lannuti, Präsident des bankenspezifischen Verbraucherschutzes. Führungskräfte aus Stiftung und Stadtverwaltungen haben dem Staatsanwalt zu Protokoll gegeben, dass Nominierungen des Personals ausnahmslos von Funktionären aus der Parteispitze gesteuert wurden.

Circa 70 % der faulen Kredite bestehen aus Großkrediten mit Beträgen über 500.000 Euro. Befreundete, parteibuchtreue Unternehmer? Unseriöse, utopische, vorgetäuschte Geschäftsmodelle? Bei genauerer Betrachtung sind wohl nicht wenige Kredite gleich doppelt faul, so der Anwalt Emilio Falaschi aus der Provinz Siena. Einige Spuren führen über Denis Verdini und Marcello Dell´Utri auch zu Silvio Berlusconi, der im Falle MPS verdächtig die Füße still hält. Bankenskandale sind ja sonst die Gelegenheit schlechthin, um den politischen Opponenten zu torpedieren.

Weder Gewerkschaften, Wirtschaftsprüfer, Börsenaufsicht, Bankenaufsicht noch Rating-Agenturen haben dem jahrelangen betrügerischen Treiben um CDO´s (Credit Default Obligations), vorsätzlich falschen Bilanzierungen und dubioser Kreditvergabe an „Famliy& Friends“ Einhalt geboten. Die Liste der beteiligten Mizaru, Kikazaru, und Iwazaru (nichts sagen, hören, sehen) ist lang.

Fazit

Die politische Orientierung, sei sie nun „links“ oder „rechts“, ist irrelevant. Vielmehr interessiert die systemisch-analytische Ursachendiagnose und das ist de facto Aufgabe der Bankenaufsicht. Damaliger verantwortlicher Chef der italienischen Notenbank und Bankenkontrolleur war Mario Draghi, heute Chef der EZB. Sein Vorgänger, Antonio Fazio, hat sich über mehrere Instanzen in die Verjährung gerettet. Der ehemalige MPS-Chef Mussari, zu seiner Zeit auch Chef der Bankenvereinigung ABI, wird voraussichtlich im härtesten Fall mit einem Vergleich davon kommen. Wer hier nur quantitative Lösungen per Liquiditätspolster propagiert, hat gar nichts gelöst, sich vielleicht sogar eher zum Komplizen gemacht. Wäre eine Insolvenz nicht vielleicht eine Chance auf eine befreiende Bereinigung? Oder sind Bankenrettungen auf Kosten Dritter gesellschaftspolitisch wirklich alternativlos?

Auch früher war leider nicht alles besser: Schon im Jahre 1629 wurde der Kämmerer Armenio di Alessandro Melari wegen Veruntreuung von Geldern der MPS zum Tode verurteilt. Aber auch er konnte flüchten und Unterschlupf finden: Bei den Franziskanern, so vermutet man.

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