2015-06-03

Comic-Besprechung - Die geheimnisvollen Städte: Die Mauern von Samaris

Geschichten:

Die Mauern von Samaris:

Autor: Benoît Peeters, Zeichner: François Schuiten. Übersetzung: Resel Rebiersch

Die Geheimnisse von Pahry:

Autor: Benoît Peeters, Zeichner: François Schuiten. Übersetzung: Resel Rebiersch

Story:

Der junge Offizier Franz erhält eine wichtige Mission: Er soll in das ferne Samaris aufbrechen und dort nach dem Rechten sehen. Doch als er am Ziel ist, findet er etwas vor, das sein Leben für immer verändern wird.



Meinung:

Seit 1983 ist in Frankreich die Reihe “Die geheimnisvollen Städte” bereits publiziert worden. Dort umfasst sie inzwischen 18 Comics sowie einen Film, der lose auf der Serie basiert. Hierzulande wurde sie von vielen verschiedenen Verlagen herausgebracht. Ursprünglich hielt der Rainer-Feest-Verlag die Lizenz, ehe er 1991 von Egmont aufgekauft wurde, die die Publikation fortsetzen. Seit ungefähr 2004 bringt jetzt der Verlag Schreiber & Leser die Geschichten auf Deutsch heraus.

Wer dabei den Anbeginn der Reihe verpasste, für den hat der Verlag jetzt etwas Feines parat. Denn mit “Die geheimnisvollen Städte: Die Mauern von Samaris” sind seit April die allererste Geschichte, die zuletzt 2007 von Feest herausgebracht worden ist, und weitere Erzählungen der Serie erneut erhältlich. Und zwar zusammen in einem einzigen Band!

Doch was ist “Die geheimnisvollen Städte”? Es handelt sich hierbei um eine Reihe an Stories, die jede für sich alleine steht. Einzige Gemeinsamkeit ist, dass sie auf einer fremden, erdähnlichen Welt stattfinden, die von vielen autarken Stadtstaaten bevölkert ist.

Erdacht und erschaffen werden diese Hefte von dem Kreativteam François Schuiten und Benoît Peeters.

Der 1956 in Brüssel geborene Zeichner Schuiten entstammt aus einer Familie an Architekten. Neben seinen Comiczeichnungen erschuf er selber auch bereits diverse Gebäude, wie zum Beispiel den »Themenpark der Utopien« bei der Expo 2000 in Hannover oder die »Porte de Hal« in Brüssel. Gemeinsam mit seinem Bruder Luc entwickelte er den “Zyklus der Hohlen Erde”.

Das Szenario stammt von Benoît Peeters, der 1956 in Paris geboren worden ist. Nachdem er zwei Romane veröffentlichte, wandte er sich anderen Bereichen des Schreibens zu, wie zum Beispiel Biografien, Fernsehen und natürlich auch Comics. Er ist Experte für Hergès Werk und hat außerdem unter anderem einige Kurzfilme erdacht und realisiert.

In der titelgebenden Geschichte “Die Mauern von Samaris” wird der junge Offizier Franz ins ferne Samaris geschickt. Etwas geht dort vor, dass in seiner Heimatstadt Xhystos für Unruhe sorgt. Und er soll nachgucken, was passiert. Was er vorfindet, ist eine mysteriöse Stadt, in der vieles wiederholt zur gleichen Zeit stattfindet. Und als er hinter das Geheimnis kommt, verändert sich sein Leben für immer.

Es ist ein erster Eindruck, den man von dieser Geschichte erhält. Zum ersten Mal entführen Schuiten und Benoît einen in diese fremde Welt und setzen gleichzeitig einen Standard für nachfolgende Erzählungen. Denn es geht hierbei fast immer um Menschen, die teilweise aus unterschiedlichen Gründen die Kontrolle über ihr eigenes Schicksal verlieren.

Bei Franz zeigt sich das besonders nachdrücklich. Die ersten fünf Seiten seiner Geschichte zeigen ihn schweigend. Er kommentiert zwar das Geschehen über Textboxen, doch greift er nicht aktiv in den Fortlauf der Handlung ein. Ohne Gegenwehr wird er dazu gedrängt, nach Samaris zu reisen, weil er laut Rat der qualifizierteste sei. Eine Behauptung und einen Befehl, die er widerstandslos akzeptiert. Deutlicher hätte des Kreativteam seine Hilflosigkeit nicht zeigen können.

Und auch danach werden die Ereignisse nicht unbedingt besser. Gemeinsam mit Franz begibt man sich auf eine lange Reise, nur am Ende in einer Stadt anzukommen, die viele Fragen aufwirft. Man hört mit ihm merkwürdige Geräusche und begegnet Menschen, die tagein und tagaus einem bestimmten Rhythmus folgen.

Man fragt sich, was ist da los? Was ist der Grund für all diese Geheimnisse? Es gibt eine Aufklärung dazu, allerdings eine, die am Ende mehr Fragen aufwirft, als sie zu beantworten. Doch darum geht es auch nicht.

Vielmehr versucht das Kreativteam, die Hilflosigkeit von Franz, einem einfachen Menschen, gegenüber den Ereignissen, die außerhalb seiner Kontrolle liegen, auszudrücken. Was ihnen eindrucksvoll gelingt. Man hat Mitleid mit ihm und fragt sich insgeheim, ob er den Verstand verliert, den Sinn für die Realität. Es deutet vieles darauf hin, wodurch die Story eine dramatische Note erhält.

Ein weiteres Schmankerl für den interessierten Leser sind die Bonusgeschichten “Die Geheimnisse von Pahry”. Die ersten drei Geschichten handeln von einem Flüchtling, der sich durch den Untergrund der gleichnamigen Stadt seinen Weg bahnt und dabei vieles beobachtet. Diese Erzählungen sollte ursprünglich Teil eines einzigen, eigenen Albums werden, allerdings wurde daraus nichts.

Anders als Franz ist der namenlose Protagonist durchaus in der Kontrolle seines Schicksals. Doch es sein Leben ist dadurch nicht unbedingt besser. Denn er ist ständig unterwegs und versucht, nicht entdeckt zu werden. Dabei hört und sieht er Dinge, die er sich nicht erklären kann, und die an seinem Verständnis von Realität rütteln.

Geschichte IV hört auf den Namen “Der seltsame Fall des Dr. Abraham”. Der Titelprotagonist ist nach Pahry, eine Anspielung auf Paris, gekommen um bei einem renommierten Wissenschaftler zu lernen. Doch dann plagen ihn merkwürdige Kopfschmerzen und er hat Visionen von etwas, das den Untergrund der Stadt durchzieht.

Das Besondere an dieser Story ist die Wahrnehmung von Realität. Josef, so der Name des Protagonisten, nimmt Dinge wahr, die die sein Weltbild erschüttern. Doch auch andere Charaktere scheinen das wahrzunehmen, oder? Hier spielt das Kreativteam mit dem Leser. Es gibt viele Szenen, die dies bezüglich zweideutig sind. Es ist eine geniale Story!

Bislang wurde kein einziges Wort über die Grafik verloren. Wieso? Weil sie schlecht ist?

Im Gegenteil: Was François Schuiten in diesem Band präsentiert, ist eine phantastische und unvergleichbare Leistung. Er zeigt dabei ein vielfältiges Können, das man nur bei wenig anderen Comic-Künstlern vorfindet.

Da ist zunächst einmal die Darstellung der Städte. Man merkt Schuiten an, dass er Architekt ist. Seine Gebäude könnten auch so in der Realität stehen, so glaubwürdig sehen sie aus. Gleichzeitig gibt er jeder Stadt ihr eigenes, markantes Aussehen. Xhystos ist durch Kurven und gebrochene Kreise dominiert, während Samaris Architektur durch hoch aufragende Geraden geprägt ist.

Doch auch die sonstigen Zeichnungen sind unvergleichlich. Während die der ersten Geschichte an Möbius erinnern, sind die Schwarz/Weiß-Illustrationen der ersten drei “Die Geheimnisse von Pahry”-Erzählungen durch starke Schraffierungen geprägt. “Der seltsame Fall des Dr. Abraham” erinnert anschließend an den “Ligne Claire”-Stil,dem Stil von Hergè.

Es ist einfach diese enorme Vielfalt, die einen fasziniert und dazu bringt, diesen Band wiederholt zu lesen. Der Comic ist deshalb ein “Klassiker” und verdient den “Splashhit”.



Fazit:

»Die geheimnisvollen Städte: Die Mauern von Samaris« ist für jeden interessierten Comicleser die Chance, endlich den Auftakt dieser Reihe zu lesen. Fünf Geschichten warten auf einen, die jede für sich genommen schon lesenswert ist. Die erste Story ist die von Franz, in der auch gleich die Atmosphäre, das Thema gesetzt wird: Es geht um die Kontrolle des eigenen Schicksals, in allen Variationen. Die erste Story hat dabei eine dramatische Note, während die darauffolgenden drei durch ihr Mitleid mit dem Namenlosen Protagonisten überzeugen. Und in der Letzten spielt das Kreativteam von von François Schuiten und Benoît Peeters mit der Wahrnehmung des Lesers. Dabei sind die vielfältigen Illustrationen von Schuiten ein weiteres Highlight, dieses an Highlights nicht armen Bands.



Grandiose Geschichten

Super Illustrationen

Spiel mit der Wahrnehmung

Original article by Götz Piesbergen, published at May 29, 2015.

Read the whole story at Splashcomics

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