2015-04-06

Kanamara Matsuri - ein Erlebnis der besonderen Art - Kawasaki, Japan

Kawasaki, Japan

Vor zwei Tagen habe ich noch aus reichlicher Distanz und sehr theoretisch darüber geschrieben, dass japanische Matsuri-Feste manchmal ziemlich bizarr sein können. Ab heute wissen wir hingegen aus ganz konkreter Praxis-Erfahrung, was bizarr in diesem Zusammenhang wirklich bedeutet!!! Wir hatten nämlich bereits die erste Gelegenheit, ein Matsuri-Festival zu besuchen, und zwar das Kanamara Masturi (かなまらత 5;) in Kawasaki.

Das Kanamara Masturi bzw. "Festival des stählernen Phallus" ist eine Tradition, die ihren Ursprung im 17. Jahrhundert hat. Damals, in der Edo-Periode, als Kawasaki als Rotlicht-Millieu bekannt war, kamen Prostituierte regelmässig zu einem Schrein der Penis-Verehrung, um für gute Geschäfte und den Schutz vor Krankheiten zu beten. Zum Höhepunkt dieses jährlichen Frühjahrsfestes werden seither von diesem Schrein aus in einer Prozession 3 überdimensionierte Penisse durch die Strassen getragen, ein schwarzer von Männern, ein riesiger rosafarbener von Frauen (und ich glaube auch Transsexuellen) und ein etwas kleinerer aus Stein. Rund um diese Prozession dreht sich an diesem Tag in Kawasaki auch sonst alles, aber auch wirklich alles um Phallussymbole. So gibt es Souvenirs und sogar Esswaren bzw. vor allem Süssigkeiten in Penisform zu kaufen, und es kommt offenbar niemandem komisch vor, in aller Oeffentlichkeit daran herum zu kauen und zu schlecken. Neben der Fruchtbarkeit steht heute vor allem die AIDS-Prävention im Fokus, und es wird Geld für Projekte der AIDS-Hilfe gesammelt. Spendet man etwas, wird man danach shintoistisch mit einem Blätterzweig gesegnet. Auch sonst ist bei weitem nicht alles einfach Sex-Klamauk, wie es vielleicht auf den ersten Blick wirken könnte. An der Prozession werden auch viele traditionelle Figuren dargestellt, und es nehmen Kinder und auch hohe shintoistische Würdenträger teil. Die Grenze zum Ordinären wird aber durchaus auch immer wieder überschritten, und neben der eigentlichen Prozession sind doch einige ziemlich seltsame Kostüme unterwegs... Tatsächlich zieht das Ganze einen Riesenhaufen Leute - und mittlerweile auch viele ausländische Touristen - an, aber das Sicherheits- und Organisationsdispositiv ist - typisch japansich - trotzdem völlig übertrieben. Dutzende von Polizisten und zivilen Helfern, alle ganz in Weiss gekleidet, rufen ihre Anweisungen mit Megaphonen in die Menge und dirigieren die Menschenmassen mit roten Leuchtstäben herum. Das witzigste war dann eigentlich auch, als sich plötzlich ein ziemlich seltsames Wesen mit Langhaarperücke und einem Katzenkostüm mit buschigem Schwanz, mitten unter diese Funktionäre gemischt hat und ebenfalls mit einem roten Leuchtstab die Verkehrs- und Menschenströme geregelt hat. Bei den Zuschauern löste der Typ wohlwollende Belustigung aus, und auch die Funktionäre liessen ihn - leicht irritiert zwar - einfach gewähren; ein schönes Beispiel, wie Situationen zwischen der Polizei und etwas, naja sagen wir mal auffälligeren Mitmenschen, völlig friedlich verlaufen können.

Mit seiner ungewöhnlichen und ungewohnten Vermischung von religiöser Prozession, lustigem Familienfest, wilder Queer-Party und obszessiver Geschlechtsteilhuldigung ist das Kanamara Matsuri - zumindest für uns Nichtjapaner - vermutlich das bizarrste aller bizarren Matsuri! Ich hoffe, die Fotogalerie kann dieses Erlebnis wenigstens annähernd eindrücklich untermalen ;-)

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