2015-12-14

Aber wie komme ich darüber hinweg?

Eine der häufigsten Fragen, die wir gestellt bekommen, und die
tatsächlich am schwierigsten zu beantworten ist, ist die generellste von allen.

“Wie komme ich darüber hinweg?”

Es gibt viele verschiedene Wege zur Heilung, aber
ich wollte einen Post über eine Methode schreiben, die ich persönlich am
effektivsten finde. Obwohl Schritt Eins immer Schritt Eins sein wird, die
Reihenfolge, in der du die Schritte danach unternimmst, bleibt dir überlassen.
Es können sogar mehrere Schritte gleichzeitig unternommen werden, obwohl ich
dazu rate, dich gerade am Anfang zuerst und höchstens an Selbstfürsorge und
Symptommanagement zu halten.

SCHRITT EINS: gliedere es auf.

Werde dir darüber klar, dass Heilung oder
“darüber hinwegkommen” nicht eine einzige Sache ist. SCaR unterstützt
eine dreigleisige Herangehensweise.

Verarbeitung. Selbstfürsorge. Symptommanagement.

An verschiedenen Punkten im Verlauf wirst du mehr
von dem einen und weniger von dem anderen benötigen, aber generell schlägt SCaR
vor, mit Symptommanagement zu beginnen.

Einer der Gründe, wieso es so wichtig ist, das
Problem aufzugliedern ist, dass du dich sonst weiterhin überwältigt fühlst und
es dir vorkommt, als könntest du nichts tun, um eine Veränderung
herbeizuführen.

Vor allem anderen glaubt SCaR an unsere
Fähigkeit, uns selbst zu helfen. Das heißt nicht, dass wir nicht bestimmte
Methoden benutzen können und dass wir nicht zeitweilig auf andere angewiesen
sind, sondern vielmehr, dass wir von SCaR es für besser halten, die Kontrolle
in den Händen des Überlebenden zu lassen. Andere können uns nicht retten, sie
können uns helfen, aber sie können uns nicht retten.

SCHRITT ZWEI: Symptommanagement - grenze dein
Problem ab.

Öffne ein Worddokument, schnapp dir ein Blatt
Papier - irgendetwas. Nun schreibe deine Symptome auf.

Vielleicht bist du überwachsam. Vielleicht
dissoziierst du. Vielleicht tust du dich mit Essen schwer.  Schreib die verschiedenen aktuellen Symptome
in deinem Leben auf.

Dann wähle eines aus, höchstens zwei. Nicht drei.
Nein.

SCHRITT DREI: Symptommanagement - Recherche.

Nun hast du also eine Liste deiner Symptome, und
noch wichtiger, hast du eines, vielleicht zwei, ausgewählt, um dich darauf zu
konzentrieren.

Jetzt wirst du recherchieren. Vielleicht wirst du
andere Überlebende kontaktieren und sie fragen, wie sie mit Dissoziation fertig
werden. Vielleicht wirst du in eine Bücherei gehen und dir ein Buch ausleihen.
Vielleicht wirst du auch einfach im Internet danach suchen.

Auf alle Fälle wirst du danach recherchieren, und
all die verschiedenen erwähnten Bewältigungsstrategien aufschreiben, über die
du dich nicht gleich lustig machen möchtest.

Das bedeutet nicht, dass sie nicht helfen würden,
selbst wenn du dich über sie lustig machst, aber es ist viel wahrscheinlicher,
dass du nicht wirklich versuchen wirst, diese in die Tat umzusetzen, und es
macht keinen Sinn etwas zu versuchen, bei dem du nicht daran glaubst, dass es
funktionieren wird.

SCHRITT VIER: Symptommanagement - Aktionsplan.

Nun hast du ein, vielleicht zwei Symptome
ausgesucht, auf die du dich konzentrieren wirst, und hoffentlich eine
ordentlich lange Liste mit Bewältigungsstrategien, die andere schon ausprobiert
haben.

Du wirst dir drei herauspicken.

Und du wirst diese eine Woche lang ernsthaft
ausprobieren. Ernsthaft. Wenn du einer Methode keine gerechte Chance gibst,
bemühe dich nicht. Wenn du wirklich glaubst, dass etwas nicht funktionieren
wird, selbst wenn es die hilfreichste Sache in der ganzen Welt wäre - wird sie
dennoch nicht helfen.

Konzentriere dich nur auf die Symptome, die du
ausgesucht hast. Einer der Gründe, wieso Leute überwältigt sind, ist, dass sie
versuchen, eine Methode zu finden, die bei allem hilft - und so funktioniert
das einfach nicht. Wenn du dich auf alle deine Symptome konzentrierst, wirst du
die kleinen Veränderungen bei jedem einzelnen nicht bemerken.

Es gibt nicht ein Heilmittel für die meisten
Symtpome, du wirst 3-5 verschiedene Bewältigungsstrategien finden wollen, die
du dann aufeinander aufbaust.

Sobald du die erste Woche hinter dir hast,
notiere, welche Methoden geholfen haben und welche es nicht taten - und dann
such dir eine neue Gruppe von Bewältigungsstrategien aus, die du ausprobierst.
Wiederhole das, bis du mindestens 3-5 gefunden hast, die wirken.

Sobald du findest, dass du angemessen sattelfest
bei den Bewältigungsstrategien für ein bestimmtes Symptom bist, schau dir
nochmal die Originalliste mit deinen Symptome an und suche dir ein anderes
heraus.

SCHRITT FÜNF: Selbstfürsorge - reaktive
Selbstfürsorge.

Reaktive Selbstfürsorge ist Selbstfürsorge, die
du in Reaktion auf ewas anwendest. Du fühlst dich also elend? Was wirst du tun?
Du bist also wütend? Was tust du dann? Du bist also traurig? Was wirst du
machen?

Viele von diesen Strategien fallen unter die
sogenannte Selbstberuhigung. Dies sind Dinge, die dich zur Ruhe kommen lassen,
und nicht zwingend glücklich machen. Die Idee dahinter ist, dir zu helfen, eine
neutralen Gemütszustand zu erreichen - nicht, dich von einem Ende des Spektrums
ins andere schwingen zu lassen.

Ganz ähnlich wie beim Symptommanagement wirst du
auch hier Listen anlegen. Es ist wahrscheinlich das Beste, sie entweder nach
Emotion oder nach Örtlichkeit zu gruppieren.

Zum Beispiel - wenn es mir in der Schule schlecht
geht, kann ich folgendes tun:

Wenn es mir zuhause schlecht geht, kann ich:

SCHRITT SECHS: präventive Selbstfürsorge.

Präventive Selbstfürsorge ist die Selbstfürsorge,
die du anwendest, um etwas Schlechtes zu verhindern. Es ist dein “Ich
weiß, dass ich eine wirklich schwere Woche vor mir habe, also werde ich
folgendes tun.”, dein “Ich werde mich dieses Wochenende ausruhen, so
dass ich nicht mit Erschöpfung und __________ kämpfen muss.”

Eine gute Idee für präventive Selbstfürsorge ist
es eine “Oh Scheiße”-Schachtel oder eine “Nur für alle Fälle”-Kiste
zu basteln. Darin wirst du alle Dinge aufbewahren, die du im Falle eines
Notfalls verwenden kannst, um diesen zu bewältigen.

Wenn du weißt, dass du eine schwierige Zeit vor
dir hast, ist es ebenso eine gute Idee, so viel als Möglich vor dieser zu
erledigen. Dinge wie dir Outfits bereitzulegen und Mahlzeiten vorzubereiten
können viel dazu beitragen, Zusammenbrüche leichter zu durchstehen.

SCHRITT SIEBEN: Selbstfürsorge zur
Aufrechterhaltung.

Während sowohl präventive als auch reaktive
Selbstfürsorge ihren Platz haben, ist eines der Dinge, das wir unternehmen
können, um unsere Lebensqualität zu steigern, Selbstfürsorge zur
Aufrechterhaltung. Das ist weder ein “etwas Schreckliches ist passiert,
was mache ich jetzt” noch ein “Ich sehe schon etwas Schreckliches auf
mich zukommen”, sondern bloß ein “Ich gebe auf mich acht, weil ich
ein Mensch bin und es mir hilft zu funktionieren.”

Forsche genau nach, was Selbstfürsorge bedeutet.
Es gibt einige Dinge auf der Hauptliste, die die verschiedenen Teile davon
abdecken - was aber wichtig ist zu erkennen, ist dass Selbstfürsorge ein sehr
weitgefasster Begriff ist. Es gibt physische Selbstfürsorge, emotionale
Selbstfürsorge, spirituelle Selbstfürsorge. Es ist wichtig dass, wenn du die
Energie hast, in diese Dinge zu investieren, du es auch tust. Das kann dich
anfangs zunächst mehr Energie kosten, aber oftmals ist der Ertrag größer und
viel einfacher aufrechtzuerhalten, sobald du das erste Stück des Wegs erst
einmal bewältigt hast.

SCHRITT ACHT: Verarbeitung - deine Geschichte.

Ich erwähne Verarbeitung immer zuerst, aber sage,
dass du das zuletzt angehen sollst. Du wirst die Fähigkeiten brauchen, die du
beim Symptommanagement gelernt hast, und den Puffer, den dir Selbstfürsorge
verschafft, um auf eine gesunde Art und Weise zu verarbeiten.

Es gibt verschiedene Arten von Verarbeitung, aber
die, auf die sich Leute meist konzentrieren ist es, ihre Geschichte zu
erzählen.

Über Trauma zu reden kann helfen, aber zwing dich
nicht dazu, es zu früh zu tun. Es kann am Ende genauso traumatisierend sein,
wenn du dich bloß dazu zwingst es zu tun, weil du denkst, dass du es musst.
Unternimm einen Schritt nach dem anderen, wenn es darum geht, darüber zu reden.

Eines der Dinge, das ich als hilfreicher
empfunden habe ist, zuerst darüber zu reden, welchen Effekt es auf dich hatte.
Den Schmerz anzuerkennen, den Trauma in deinem Leben verursacht hat, und dein
Recht, diesen Schmerz zu empfinden.

SCHRITT NEUN: Verarbeitung - generelle
Trends/Gemeinschaft.

Ein weiterer Teil von Verarbeitung dreht sich
weniger um deine eigene Geschichte, sondern darum, wie deine Geschichte mit der
anderer interagiert. Wenn du mit anderen Überlebenden in Kontakt trittst und
redest, oder in deinen Interaktionen mit Medien und anderen alltäglichen
Lebensereignissen.

Verarbeitung ist eines der Dinge, die
kontinuierlich stattfinden, es ist etwas, dass du für den Rest deines Lebens
tun wirst. Es ist etwas, dass du in Therapie angehen kannst, dass du tun
kannst, wenn du zu Poesie-Lesungen gehst, wenn du dich in Selbsthilfegruppen
engagierst, wenn du mit Freunden redest, dich künstlerisch betätigst, wenn du
Dinge zurückeroberst, die dich einst getriggert haben. Alles, was dich entweder
dem Trauma, oder den Folgeerscheinungen von Trauma aussetzt, ist eine
Gelegenheit zu verarbeiten, was passiert ist.

Abschließende Gedanken:

Es ist wichtig daran zu denken, dass Heilung eine
unglaublich persönliche Reise ist. Niemand kann dir den genau richtigen Weg für
dich aufzeigen. Eines der absolut wichtigsten Dinge, die du tun kannst, ist es,
dich vielen verschiedenen Möglichkeiten auszusetzen, vielen verschiedenen
Wegen, und dir die Stückchen und Teile herauszupicken, die dir vorkommen, als
würden sie für dich am besten funkionieren.

Schäme dich nicht dafür, dass du nicht da bist, wo
denkst, dass du sein müsstest. Dich zu schämen oder schuldig zu fühlen
bewerkstelligt nichts. Jeder hat sein eigenes Tempo, jeder hat einen anderen
Pfad, und das beste, das du tun kannst ist, ist es, nach vorn zu sehen und zu
tun, was am besten für dich ist.

Es wird besser werden. Aber es erfordert Arbeit,
und die richtigen Ressourcen, und auch einen guten Anteil Glück. Aber es ist
möglich, versprochen.

Gib heute gut auf dich acht, okay?

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