2016-12-09

von Dagmar Garlin

Auf Weltumsegelung mit ihrem Mann Jens von 2014 bis 2016 an Bord der GARLIX

Jeder Segler hat schon von einem Blitzeinschlag gehört. Ein Ereignis, welches wir keinem Segler wünschen, vor dem wir aber alle nicht sicher sind. Es ist die Schrecklichkeit, die Anderen passiert. Es ist das Ereignis, worauf man sich gerne vorbereiten möchte, es aber nicht richtig kann. Uns ist es passiert. Im November 2015 an der südafrikanischen Küste. In Durban. Vor Anker im Hafen!

16 Monate sind mein Mann Jens und ich unterwegs, seitdem wir im Juli 2014 in Heiligenhafen in Deutschland gestartet sind. 24.500 Seemeilen liegen hinter uns. Wir sind stolz auf unsere GARLIX, eine XP44 von X-Yachts in Dänemark gebaut, die uns sicher, heil und mit sehr wenig Schäden die letzten Monate über die Ozeane gebracht hat.

Segelyacht GARLIX von Dagmar und Jens Garlin – eine XP44 von X-Yachts.

Von der Insel La Reunion kommend sind wir südlich an Madagaskar vorbei, über Richards Bay, nach Durban in Südafrika gelaufen. Leider hat die Reservierung eines Liegeplatzes in der örtlichen Marina nicht geklappt und so ankern wir vor der Marina im inneren Becken des geschäftigen großen Hafens.

Tiefs mit Stürmen sind an dieser Küste keine Seltenheit. Sie kommen und gehen – gehören zur Tagesordnung. So auch am Abend des 20. November 2015. Das Barometer beginnt einen Sinkflug. Der Wind nimmt stetig zu und am nächsten Tag pfeifen Böen von 30-40 Knoten über unser Boot. Die Ungemütlichkeit lässt sich kaum steigern. Am Nachmittag hören wir in weiter Ferne ein Donnern und schalten vorsorglich alle Instrumente aus.

Am Ankerplatz zieht das Sturmtief durch. Kurz darauf schlägt der Blitz ein.

Die Windgeräusche nerven; immer wieder dieser ohrenbetäubende Lärm. Wir sind in der Kajüte und hoffen, dass die Wetterfront möglichst schnell durchzieht. Dann – völlig unerwartet und plötzlich – ein Knall, eher ein lauter Donner. Unser gemeinsamer erster Gedanke: „Das ist ein Bombeneinschlag“. Nur wenige Tage vorher war das Attentat in Paris. So denken wir zuerst daran, so traurig dieser Zusammenhang auch ist.

Wir gehen raus ins Cockpit, alles scheint in Ordnung zu sein. Zurück in der Kajüte riecht es etwas komisch – ganz leicht nach verschmorten Kabeln. Doch noch haben wir keine Zweifel. Lesend warten wir das Unwetter ab und als es sich nach ca. einer Stunde wieder beruhigt, schalten wir die Instrumente wieder ein. „An“ gehen sie, aber mehr als Licht und ein paar Striche sind auf den Displays nicht zu erkennen. Die Instrumente zeigen keine Daten.

Nach dem Blitzeinschlag zeigen die Instrumente keine Daten mehr an.

Jens wird schweigsam. Er versinkt in die Tiefen der Backskisten und kontrolliert alle „Switche“ und Verbindungen unseres Raymarine-Bus-Systems Seatalk. Dabei schaut er zunehmend besorgter und bei mir gehen alle Alarmglocken an. Noch niemals zuvor habe ich von ihm den Satz gehört „Ich weiß nicht mehr weiter. Hier ist echt der Wurm drin“. Uns wird klar, dass wir einen Blitzeinschlag hatten.

Wir erstellen eine Liste mit beschädigten Teilen. Folgendes Equipment ist bei uns kaputt:

Plotter

vier Daten-Anzeigegeräte

Sumlog

Echolot

Windmesser

GPS

AIS

Radar

Aktiver Radarreflektor

zwei(!) Autopiloten (als Reserve hatten wir einen zweiten Autopiloten. Beide Autopiloten waren im System angeschlossen. Ein Fehler, den wir danach nicht wiederholt haben.)

Kühlschrank

Sensor der elektrischen Bilgepumpe

Schaltpanel Motor

Batterie-Ladegerät und Anzeige

elektrische Winsch

UKW Antenne

Außenbeleuchtung

Der Blitz schlug offensichtlich über den Mast ein. Das machen wir daran fest, dass unsere Antenne vom UKW-Seefunkgerät verschwunden ist. Umso mehr überrascht sind wir, dass unsere beiden Funkgeräte (Kurzwelle und UKW) noch funktionieren. Wahrscheinlich liegt es daran, dass beide Geräte sowohl am Plus- als auch Minuspol abgesichert sind.

Nach dem Blitzeinschlag ist die UKW-Seefunkantenne verschwunden.

Eingeschlagen ist der Blitz also über die Antenne, doch wo kam er wieder raus? Besorgt schauen wir unter die Bodenbretter und zum Echolot. Alles ist trocken. Wir wissen bis heute nicht, welchen Weg der Blitz genommen hat.

Wir überlegen uns an einen Liegeplatz in der Marina von Durban zu verholen. Das wäre gut, aber es ist nichts frei. Davon abgesehen ist die Marina bedenklich flach. Ohne Echolot können wir dort nicht anlegen. Also bleiben wir am Ankerplatz.

Ankerplatz im großen Hafen von Durban.

Der Einschlag ist ein Tiefpunkt. Gerade war noch alles gut und es braucht nur eine Sekunde für diese jetzt gefühlte Hilflosigkeit. Wie kommen wir aus diesem Schlamassel wieder raus? Wir sind mehr als froh, dass wir nicht allein sind. In nur jeweils 70 Meter Abstand liegen die Blauwasseryachten TULASI aus der Schweiz und AYAMA aus Schweden. Gemeinsam wollen wir eigentlich in den nächsten Tagen nach Kapstadt segeln. Dort wollen wir zu Weihnachten unsere Kinder und Eltern treffen. Ein Jahr haben wir sie nicht gesehen…

Bei diversen Instrumenten sind die Bauelemente auf den Platinen verschmort.

Nachdem wir den Umfang des Schadens begriffen haben, informieren wir über Telefon und E-Mail die Versicherung (Pantaenius), die uns empfiehlt, einen örtlichen Yachtservice aufzusuchen und dann den Gesamtschaden zu melden.

Gesagt – getan. Wir suchen den örtlichen Raymarine-Händler auf und haben Hoffnung, dass er schnell helfen kann. Als wir allerdings seinen Laden sehen, stellen wir fest, dass wir in dieser Unordnung kein Vertrauen aufbauen können.

Besuch bei einem lokalen Händler. Kann er uns helfen?

Und so suchen wir weiter. Einen ganzen Tag lang. Dann geben wir es auf. Selbst auf einen Autopiloten sollen wir mindestens zwei Wochen warten, da das Lager von Raymarine in Kapstadt ist und er von dort bestellt werden muss.

In der Folge entschließen wir uns, die restlichen 800 Meilen nach Kapstadt per Hand und ohne Instrumente zu segeln. Begleitet werden wir von TULASI und AYAMA. Darüber sind wir erfreut, da uns sorgt, dass wir für den Schiffsverkehr ein Stück weit unsichtbar sind. Zwar funktioniert unsere Beleuchtung, doch unser passiver Radarreflektor zeigt auf dem Radar von TULASI kein ausreichendes Signal. Der aktive Radarreflektor und das AIS wurden ja durch den Blitzeinschlag zerstört. Sollten wir einander verlieren, können wir zumindest mit unseren Tablet-Computern und der dort installierten Navigations-App die Position bestimmen.

Zusammen mit der Segelyacht TULASI auf dem Weg nach Kapstadt.

Wir informieren die Versicherung über unseren Plan, erhalten die Zustimmung und starteten nur zwei Tage nach dem Blitzeinschlag in aller Frühe mit dem Zwischenziel Port Elizabeth (420 Seemeilen). Dabei fühlen wir uns nicht wie auf der Barfußroute. Der Agulhasstrom an der Küste bringt Kälte und da immer einer am Steuer stehen muss, wird es äußerst ungemütlich.

Ungemütlich! Der Agulhasstrom bringt Kälte und wir müssen von Hand steuern.

Die Erleichterung über unsere Begleiter können wir kaum beschreiben. TUALASI – eine Amel 64 – schaltet in der Dunkelheit die Mastbeleuchtung ein und wir müssen „nur“ noch diesem beleuchteten Tannenbaum hinterher segeln. Befindet sich ein Großschiff auf Kollisionskurs, „räumen“ unsere Mitfahrer per Funk den Weg frei. Eine ungeheure Erleichterung.

Die Crew der Segelyacht TULASI führt uns durch die Nacht nach Kapstadt.

Jens bastelt einen „manuellen“ Autopiloten mit Gummistropp am Steuer, womit wir wenigsten für einen kurzen Augenblick den Kurs halten können, ansonsten stehen wir ununterbrochen am Steuer. Dieser provisorische Behelf ist allerdings nur bei der Fahrt unter Motor gut. Unter Segel ist er nicht ausreichend.

Provisorischer Autopilot: Ein Gummistropp hält das Rad.

Als wir in Kapstadt ankommen, erleben wir trotz all des kaputten Equipments einen Glücksmoment. Wir sind einfach nur happy es geschafft zu haben.

Schon am nächsten Tag kommt der örtliche Elektroniker (Steve Searle | retechcom@mweb.co.za), den wir vorher per E-Mail unser Problem erläutert haben, an Bord. Steve braucht mehrere Tage, um den Schaden aufzunehmen und zu bewerten. Die lange Liste senden wir zur Versicherung. Die wiederum benötigt fast eine Woche, um festzustellen, dass die Schadenssumme zu hoch ist, um es ohne Gutachter zu entscheiden.

Lagebesprechung mit Elektroniker Steve im Cockpit.

Weihnachten naht und uns steckt zunehmend die Zeit im Nacken. Wie überall auf der Welt ist auch in Südafrika zwischen den Weihnachtsfeiertagen Pause. Doch wir können ohne vorherige Zustimmung der Versicherung nicht den Auftrag zur Reparatur auslösen.

Wir nutzen die Wartezeit bis zur Zusage, um unser Boot aus dem Wasser zu nehmen. Hatten wir vor dem Blitzeinschlag eher „aus der Ferne“ von solchen Ereignissen gehört, so vermehren sich jetzt die Leser-Zuschriften über unseren Online-Blog mit Hinweisen auf mögliche weitere verdeckte Schäden. Am eindringlichsten wirken die Fotos von einem Blogleser, der Ähnliches in Südafrika 2011 erlebt hat. Erst nachdem sein Boot mit einem Dampfreiniger abgestrahlt wurde, wurden insgesamt 70 Löcher im Rumpf entdeckt. Bei uns werden glücklicherweise keine Rumpfschäden entdeckt.

Foto von einem Blogleser. Zu sehen sind die Löcher in seinem Rumpf nach einem Blitzeinschlag.

Am Ende kommt der Gutachter recht schnell an Bord und akzeptiert ohne Einwände den Schadensumfang. Zuvor muss er jedoch erst prüfen, ob unser Boot schuldenfrei ist… Dafür benötigten wir zum ersten und einzigen Mal den Eigentumsnachweis im Schiffsregister.

Im Rahmen der Reparaturen wird vorab ein Installationsplan für die neuen Geräte erstellt, so dass mit dem Eintreffen der Instrumente sofort mit dem Einbau gestartet werden kann. Sämtliche Geräte inklusive der Kabel werden ausgetauscht. Einige Geräte, wie etwa die Außenbeleuchtung und der aktive Radarreflektor sind in Kapstadt nicht zu bekommen, daher werden diese direkt aus Deutschland zu uns gesendet. Unser Dank gilt hier insbesondere Yachtausrüster Treulieb aus Rostock und X-Yachts für die unkomplizierte Hilfe.

Ein bisschen wie Weihnachten. Die neuen Instrumente sind da.

Vorsorglich lassen wir bei der Neuinstallation alle Geräte doppelt absichern – an Plus und Minus. Der zweite Autopilot wird diesmal nicht im Netz angeschlossen. Es bedarf aber nur weniger Handgriffe, um es im Notfall nachzuholen.

Zu Schluss lassen wir noch von einem zertifizierten Raymarine-Service das System abnehmen, was insbesondere für die dreijährige Garantie äußerst wichtig ist. Dazu gehört auch, dass wir alle Geräte online registrieren, um uns diese Garantieverlängerung zu sichern.

Weihnachten verbringen wir wie geplant mit der Familie. Anfang Januar ist unsere GARLIX repariert und wir starteten von Kapstadt über St. Helena nach Brasilien. Es wird eine unserer schönsten und ruhigsten Passagen der Weltumsegelung und das versöhnt für den Ärger vor Ort.

Wieder glücklich auf See. Kurs St. Helena…

Besonders dankbar sind wir über die Hilfsbereitschaft, die wir von anderen Seglern erfahren haben. Durch sie haben wir diesen Tiefpunkt unserer Reise letztlich gut überstanden. Dazu beigetragen hat auch die unbürokratische Bearbeitung durch die Versicherung. Der Blitzschlag war unser erster Versicherungsschaden. Waren wir vorher unsicher, ob der teure „weltweite“ Versicherungsschutz unbedingt notwendig ist, so wissen wir es nun besser. Denn schlussendlich hat die Versicherung die komplette Schadenssumme übernommen – in diesem Fall sogar ohne Selbstbeteiligung. Selbst erst später erkannte Schäden – wie der defekte aktive Radarreflektor – wurden im Nachhinein reguliert. Vorteilhaft war auch, dass wir hohe Rechnungen direkt an die Versicherung weiterleiten konnten und dort die Bezahlung veranlasst wurde.

Am Ende bleibt die Frage, wie man sich vor solchen Ereignissen schützen kann. Eine zuverlässige Lösung haben wir dafür nicht gefunden. Im Zweifel hilft nur „Thor“ – der Donnergott <img src="https://s.w.org/images/core/emoji/2/72x72/1f642.png" alt="

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