2014-06-17

Die Finanzbranche ist dafür berüchtigt, ihren Nachwuchs zu verschleißen. Welcher andere Sektor heuert Tausende von Absolventen an, lässt diese 80 bis 100 Stunden in der Woche arbeiten und hinterlässt einige Jahre später nur ausgebrannte Versionen des eigenen Selbst?

Der Umgang der Banken mit dem eigenen Nachwuchs hat mittlerweile auch das Interesse von Wissenschaftlern und Schriftstellern geweckt. So arbeitet Alexandra Mitchel nach einigen Jahren im Investmentbanking als Assistenzprofessorin für Management und Organisation an der Universität von Kalifornien. Dort hat sie Jahre damit verbracht, junge Banker bei ihrer Karriere zu begleiten und dabei herausgefunden, dass Burn-out besonders vom vierten bis sechsten Berufsjahr droht, da Körper und Seele dann gegen die Belastungen zu rebellieren beginnen.

Auch der Schriftsteller und Journalist Kevin Rose hat acht junge Banker während ihrer ersten Jahre an der Wall Street begleitet und meint dabei herausgefunden zu haben, dass es sich bei denjenigen, die diese harte Schule überleben, entweder um Streber, Adrenalin-Junkies oder Menschen handelt, für die Geld den höchsten Lebenszweck darstellt. Dagegen sind die Jungbanker, die Branche verlassen, unsicher, ob das Banking das Richtige für sie ist.

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommt die Umfrage „Karrieretrends 2014“ beim Thema Burn-out. Dazu hat eFinancialCareers annähernd 9000 Finanzprofis rund um den Globus befragt. Demnach tritt das Burn-out vor allem in den mittleren Karrierejahren auf. Es handelt sich eher um ein Plateau als eine Spitze. Von Burn-out sind Asien und der Mittlere Osten stärker betroffen als die etablierten Finanzzentren in Frankfurt, London oder New York. Besonders erstaunlich ist indes, dass die Burn-out-Quote bei den europäischen Banken anscheinend höher als bei den US-Banken ausfällt, obgleich diese als vergleichsweise robust im Umgang mit ihren Mitarbeitern gelten. Überdies scheint auch die Private Equity-Branche zumindest in Großbritannien besonders von Stress geplagt zu sein. Damit scheint die Branche als Refugium für ausgebrannte Banker auszuscheiden.

Das Burn-out-Plateau

Nach der eFinancialCareers-Umfrage handelt es sich bei Burn-out nicht um ein plötzliches Ereignis. Vielmehr erreicht das Problem im Alter von 25 bis 44 Jahren seinen Höhepunkt. Anschließend sinkt die Burn-out-Quote der in der Branche verbliebenen Banker in einigen Ländern wieder ab. Dazu zählen etwa Großbritannien und Singapur. In den anderen Ländern wie den USA und Hongkong bleibt die Burn-out-Quote bis in die Altersgruppe der Mitfünfziger hoch.

Allerdings bezeichnet sich nur ein überraschend kleiner Anteil der Finanzprofis tatsächlich als „völlig ausgebrannt“. Dagegen fühlt sich ein Großteil der befragten Banker als „irgendwie ausgebrannt“. In den USA und Großbritannien zählten sich 60 bis 65 Prozent der Banker zwischen 25 und 44 zu diesen beiden Gruppen. Im Mittleren Osten sind es 73 bis 77 Prozent und in Hongkong sogar bis zu 80 Prozent.

Doch was führt zu diesem Burn-out-Plateau? Laut den Studien von Michel finden die jungen Banker ab Mitte 20 heraus, dass sie nicht damit fortfahren können, sich ständig unter Druck zu setzen. Die Banker würden einige sonderbare Ticks entwickeln wie an den Nägeln zu kauen, in der Nase zu bohren oder sich durch die Haare zu fahren. Allerdings scheinen die Dinge im Laufe der Jahre besser zu werden. Denn nach etwa sechs Jahren Berufserfahrung würden die Banker stärker auf ihre körperliche und mentale Gesundheit achten. Sie würden gewissermaßen eine Überlebensstrategie entwickeln.

Allerdings dauerte Michels-Studie neun Jahre und ist bereits sieben Jahre alt. Doch seit der Finanzkrise dürfte sich der Arbeitsalltag deutlich gewandelt haben. Die Banker sind mit Personalabbau und geringeren Aufstiegschancen konfrontiert. Immer weniger Banker müssen immer mehr Arbeit bewältigen. So beobachtet Michel, dass selbst Finanzprofis, die bereits früher in ihrer Karriere ausgebrannt waren, sich wieder selbst stark antreiben. Hierin mag auch ein Grund bestehen, wieso sich das Burn-out-Plateau bis in die Altersgruppe der Mittfünfziger ausgedehnt hat.

Ausbrennen in Asien, herunterkommen in Frankfurt

Doch wieso fällt die Problematik in den aufstrebenden Finanzzentren gravierender aus als in den etablierten Zentren in Frankfurt, London oder New York? Die Unzufriedenheit der Banker im Mittleren Osten ist gut dokumentiert – besonders unzufrieden zeigen sich die Finanzprofis hier mit ihren Boni. Ein Banker aus den Vereinigten Arabischen Emiraten hat hierfür eine erstaunliche Erklärung parat: „Die Leute arbeiten hier gar nicht so lang. Aber es gibt eine große Zahl an heftigen Partys“,  erzählte der Banker. „Da hilft es auch nicht, dass die Leute am Ende deutlich weniger Geld verdienen als sie es erwartet haben. Es fällt leicht, hier viel Geld zu verdienen und es auch wieder auszugeben und die Leute sind frustriert, wie schwierig es hier ist, Geschäfte zu machen.“

Eine gewisse Außenseiterrolle spielt Frankfurt. Während zwei Drittel bzw. 60 Prozent der Banker in London und New York im Alter zwischen 35 bis 44 Jahren  mit Burn-out zu kämpfen haben, sind es in Frankfurt lediglich 56 Prozent. Doch wie kommt es zum guten Abschneiden Deutschlands. „Wenn Sie für die Deutsche oder die Commerzbank arbeiten, dann arbeiten Sie sich immer noch den Hintern ab“, erzählt ein deutscher Banker. „Wenn Sie aber für eine Filial- oder Landesbank arbeiten, dann haben Sie ein weitaus leichteres Leben.“



Frauen scheinen stärker als Männer betroffen zu sein

In allen befragten Finanzzentren scheinen Frauen von der Problematik heftiger als ihre männlichen Kollegen betroffen zu sein. In den Vereinigten Staaten geben 20 Prozent der Bankerinnen und nur 12 Prozent der männlichen Mitarbeiter an, „völlig ausgebrannt zu sein“. In Frankreich belaufen sich diese Werte sogar auf 28 versus 15 Prozent.

Es braucht nicht viel Fantasie, um die Gründe hierfür zu benennen. Denn lange Arbeitszeiten stellen so lange kein Problem dar, wie man sich eine aufwändige Kinderbetreuung leisten kann. Andernfalls kann ein Job im Banking schnell zu einer Zerreißprobe werden. Daher schaffen es wohl auch nur vergleichsweise wenige Frauen in Spitzenpositionen.

„Banken scheinen gewissenhafter zu sein und es eher allen Leuten rechtmachen zu wollen“, sagt Karrierecoach Sarah Sparks, die früher bei Goldman Sachs gearbeitet hat. „Meistens kann man 80 Prozent der Arbeit mit 20 Prozent Aufwand bewältigen. Die Männer machen bei 80 Prozent halt, während die Frauen alles erledigen wollen.“

„Frauen scheuen auch eher davor zurück, sich in den Mittelpunkt zu rücken“, meint Sparks. „Das macht es für sie schwieriger voranzukommen. Dies führt dazu, dass sie härter arbeiten wollen.“

Auch das Back Office ist nicht vor Burn-out gefeit

Wer glaubt, dass er im Back oder Middle Office von der Gefahr verschont bleibe, dürfte so manche traurige Überraschung erleben. Unsere Umfrage ergibt vielmehr, dass die Mitarbeiter in Bereichen wie Risikomanagement, Compliance und Operations von der Burn-out-Problematik ähnlich wie die Beschäftigten im Front Office betroffen sind – also in Jobs wie Sales, Trading, Research oder M&A. An der Wall Street scheint Burn-out sogar eher ein Problem des Back als des Front Office zu sein. Laut Recruitern hänge diese Entwicklung mit dem steigenden Druck aufgrund wachsender Regulierung zusammen. „Banken möchten gerne zeigen, wie sie die Regulierung pro-aktiv vorantreiben und es herrscht ein Druck auf das Middle Office, die Deadlines einzuhalten“, sagt Headhunter Holly Hatton von Michael Page in Singapur.

Besonders Trader scheinen mit dem Stress gut zurechtzukommen, weil sie hoffen in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen und sich daher frühzeitig in den Ruhestand zu verabschieden, meint Headhunter Nicholas Wells von Webber Chase. „Sie sind bereit, dieses Leben zu leben, weil sie wissen, dass es nur fünf bis zehn Jahre dauert.“

Überraschenderweise scheint die Burn-out-Problematik bei europäischen Banken ähnlich hoch wie bei US-Banken auszufallen, die für ihren harten Umgang mit den Beschäftigten berüchtigt sind. Dies gilt besonders für die Wall Street, wo 77 Prozent der Mitarbeiter kontinentaleuropäischer Banken angeben „irgendwie“ ausgebrannt zu sein. Bei den US-Banken geben dies gerade einmal 66 Prozent der Mitarbeiter an. Ein Banker aus Europa, der für beide Bankentypen gearbeitet hat vermutet: „Die europäischen Banken stellen viele berufserfahrende Mitarbeiter ein, die einen letzten Karriereschritt vor ihrem Ruhestand unternehmen. Die sind schon ausgebrannt, bevor sie da überhaupt erst anfangen.“



Welche Arbeitgeber Sie meiden sollten

Den weltweit höchsten Wert für „völlig ausgebrannt“ findet sich bei Hedgefonds in Singapur. Hier gaben 33 Prozent der Umfrageteilnehmer an, vollständig ausgebrannt zu sein. Dabei beläuft sich der Hedgefondsmarkt laut dem Datenanbieter Eurekahedge auf 288 Unternehmen mit Kundenvermögen von 15,3 Mrd. US-Dollar.

Doch was sorgt für all den Stress? Die wachsende Regulierung scheint kaum als Begründung auszureichen. Gleiches gilt für die Folgen der Finanzkrise, als einige hundert Hedgefonds allein in Singapur dichtmachen mussten. Vielleicht mag ein Grund sein, dass es sich bei den Beschäftigten oft um Ausländer handelt, die nicht über genügend familiären Rückhalt verfügen.

Laut Professor Melvyn Teo, der in Singapur forscht, leide die Performance eines Hedgefonds unter emotionalem Stress und Eheproblemen. Daraus entwickle sich bei der Arbeit und daheim ein Teufelskreis, der den Stress antreibe.

In die gleiche Kategorie fallen 70 Prozent der Mitarbeiter von Private Equity-Gesellschaften in London. „Private Equity kann ungemein stressreich sein, wenn Sie für einen Fonds arbeiten, der Geld verliert“, erläutert Headhunter Gail McManus von Private Equity Recruitment (PER). „Es handelt sich um eine andere Form von Stress als im Banking“, sagt die Personalvermittlerin. „Es handelt sich auch um Frustration. Sie können Jahre an einem Deal arbeiten, ohne ihn jemals abzuschließen.“

An der Wall Street scheint Burn-out bei sämtlichen Banken ein Problem darzustellen. Es gibt also keinen Geheimtipp, um dem Stress zu entfliehen. Immerhin 19 Prozent sämtlicher Banker aus New York bezeichnen sich als völlig ausgebrannt. „Mein Leben gehört mir nicht mehr“, erzählt etwa ein Wall Street-Banker gegenüber Roose. „Ein Managing Director will einen Balken- anstatt eines Linien-Charts auf Seite sechs in einer Präsentation und es ist 3 Uhr morgens? Ein guter Analyst springt dann aus dem Bett und beginnt mit der Arbeit.“



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