Wieso gefallen dir denn „plötzlich“ weiße Sneakers? Oder Jeans mit Fransen-Saum? Weine aus der Region? Ist das alles nur reine Willkür der wankelmütigen Mode-Industrie? Nein.
„Und, was ist gerade so im Trend?“. Keine Frage hört man als Modejournalist wohl häufiger von Freunden oder beim ersten Small-Talk mit neuen Bekanntschaften. Gleichwohl werden die meisten Menschen direkt hinterherschieben, dass sie sich gar nicht für Trends interessieren und einfach anziehen, was Ihnen gefällt, um keinem Trend hinterherzulaufen“. Das ist, liebe Mode-Verachter, ein Irrtum!
Vom Catwalk auf den Wühltisch
Viele werden folgende berühmte Szene aus dem Kino-Erfolg „Der Teufel trägt Prada“ kennen: Die neue Assistentin Andy (Anne Hathaway) fremdelt noch mit der High Fashion Welt, sie schmunzelt darüber, dass zwei Redakteurinnen intensiv darüber grübeln, welchen Gürtel sie für einen Look auswählen – für Andy sehen die Gürtel nahezu identisch aus.
Miranda Priestly: Something funny?
Andy Sachs: No. No, no. Nothing’s… You know, it’s just that both those belts look exactly the same to me. You know, I’m still learning about all this stuff and, uh…
Miranda Priestly: ‚This… stuff‘? Oh. Okay. I see. You think this has nothing to do with you. You go to your closet and you select… I don’t know… that lumpy blue sweater, for instance because you’re trying to tell the world that you take yourself too seriously to care about what you put on your back. But what you don’t know is that that sweater is not just blue, it’s not turquoise. It’s not lapis. It’s actually cerulean. And you’re also blithely unaware of the fact that in 2002, Oscar de la Renta did a collection of cerulean gowns. And then I think it was Yves Saint Laurent… wasn’t it who showed cerulean military jackets? I think we need a jacket here. And then cerulean quickly showed up in the collections of eight different designers. And then it, uh, filtered down through the department stores and then trickled on down into some tragic Casual Corner where you, no doubt, fished it out of some clearance bin. However, that blue represents millions of dollars and countless jobs and it’s sort of comical how you think that you’ve made a choice that exempts you from the fashion industry when, in fact, you’re wearing the sweater that was selected for you by the people in this room from a pile of stuff.
Dieses launige Zitat sachlich formuliert: Trendagenturen oder Inhouse-Abteilungen bei großen Unternehmen versuchen in Styleguides möglichst genau den Zeitgeist einzufangen und daraus resultierende Bedürfnisse und Trends in Moodboards zusammenzufassen -> Designer, Stoffhersteller etc. arbeiten mit diesen Ergebnissen und setzten sie in ihre Ästhetik und Vision um -> Individualisten spiegeln diese Entwicklung im Straßenbild, Modemagazine/Blogger/Opinion Leader etc. greifen Stile auf, Anzeigen unterstützen die Verbreitung: der Look kommt im Mainstream, also der großen Masse, an. Trends müssen massentauglich sein, da sie sonst nur eine Randerscheinung bleiben werden (Microtrend, oft branchenspezifisch).
In dieser Szene aus „Der Teufel trägt Prada“ sind wir schon sehr nah mit der Lupe dran. Eine Trend-Farbe ist nur ein winziger Unterpunkt umfassender, gesellschaftlicher Bewegungen. Trends werden als oberflächliche, vergängliche Mode gesehen – auch weil mittlerweile nicht nur saisonal, sondern täglich neue Trend-Sneaker, It-Bags und Must-Haves proklamiert werden. Ein lachser Umgang mit dem Trend-Begriff, aber man muss ja die Seiten füllen / Klicks erreichen / Instagram füttern.
Matthias Horx vom Zukunftsinstitut, einer der geachtetsten Zukunftsforscher, beschreibt den Begriff so: „Ein Trend ist nichts anderes als eine Veränderungsbewegung oder ein Wandlungsprozess. Er ist grundsätzlich ein Gegenwartsphänomen und kann – entgegen eines verbreiteten Irrtums – nicht prognostiziert werden.“ Trendprognosen entstehen IMMER interdisziplinär und auf Basis der Gegenwart. Um die gesellschaftliche Dimension von Trends zu erkennen, hilft die Kenntnis der verschiedenen „Trend-Arten“. Horx beschreibt sie so:
Megatrend: Die Blockbuster unter den Trends
Megatrends sind Veränderungsprozesse, die langfristig, nachhaltig und komplex die gesamte Welt verändern, unter Einbeziehung der Metatrends (unveränderbare, übergeordnete Entwicklungen wie der Klimawandel). Sie unterscheiden sich von anderen Trendarten deutlich dadurch, dass sie nicht auf ein Segment, eine Branche, eine Region oder ein einzelnes Thema – oder einen simplen Markt – beschränkt sind. Megatrends durchdringen alle gesellschaftlichen Bereiche, verändern Politik, Lebenswelten und Wertesysteme. Man nennt sie auch: „Lawinen in Zeitlupe“.
Ihre Merkmale: Sie haben eine Lebensdauer von mindestens 25 Jahren, müssen in allen Lebensbereichen eine Rolle spielen und Auswirkungen zeigen (Politik, Alltag, Ökonomie). Außerdem sind sie global, auch wenn sie nicht weltweit gleich stark ausgeprägt sind.
Ein Beispiel ist der Megatrend: „Gender Shift“ oder „Female Shift“. Simpel ausgedrückt: Die Zukunft ist weiblich. In der Modwelt reden wir vom „Gender Bender“. Der Hintergrund: Die Geschlechterverhältnisse ändern sich: Mehr Frauen sind erwerbstätig, auch in den Schwellen- und Armutsländern hat sich die Frauenbildung in den vergangenen Jahrzehnten erhöht. Männer übernehmen klassische Frauen-Rollen (Elternzeit Männer 2005: 3,2%, 2010: 15%) und dadurch werden auch sie gezwungen, ihr Selbstbild neu zu definieren, daraus entsteht ein Gegentrend.
„Kein Trend ohne Gegentrend“
Nach den Gesetzen der Trend-Dynamik erzeugt jeder Trend einen Gegentrend. Was wir aus dem Biologie-Unterricht als Osmose kennen, passiert auch in der Gesellschaft: Der Megatrend „Gender Shift“ führt zu einem Widerstand der Männer, die ihre Machtposition nicht aufgeben wollen. Eine Erscheinungsform dieses Trend kennen wir alle aus dem Straßenbild: Der Bart, eindeutig ein Männlichkeits-Attribut, das so populär ist, wie lange nicht. Warum? Zum Beispiel weil er zu den wenigen Dingen gehört, die wir Frauen den Männern nicht wegnehmen können. Noch ein Beispiel gefällig? Die Welt ist globalisiert, wie reisen viel, lernen fremde Sprachen. Der Gegentrend? „Heimat“: Sehnsucht nacht lokalem Verbundenheitsgefühl, Vertrautem unmd Gemeinschaft. Daraus entsehen dann kleinere Konsum- und Modewellen wie der Trachtenboom oder Küche aus regionalem Anbau.
Sezieren wir das einmal an dem gewaltigen Sportwear-Trend. Zurück also zur Frage vom Anfang.
Warum ist Sportwear so angesagt? Warum tragen wir heute selbstverständlich Sneaker zum Kleid?
Streetstyle aus Paris
Laut Zukunftinstitut gehören diese zwei Entwicklungen zu den 10 großen Megatrends: New Work/Gesundheit. Kurz gefasst: Die Arbeitswelt verändert sich rasant, wird immer komplexer (Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft) und die Grenzen zwischen Berufs-und Privatleben verschwimmen. Sport ist die neue Arbeit: Während wir im Arbeitsleben immer mehr Wert auf persönliche Faktoren legen („Mein Job soll Spaß machen“, Teamwork statt Ellenbogenmentalität) wird Sport von der Freizeitbeschäftigung zum leistungsorientierten Pflichtprogramm, weil wir gesund leben wollen – oder zumindest denken, wir sollten es.
Dass sich Sportkleidung also in die herkömmliche Alltagskleidung integriert, und als „Modetrend“ in Erscheinung tritt, ist das Ergebnis umfangreicher gesellschaftlicher Veränderungsprozesse und kein Zufall.
Trends werden immer schnelIlebiger. Früher (z.B. 80er) jonglierte die Mode mit einem Dutzend Trends, heute gibt es allein in jeder Saison fünfzig. Die momentan hitzig geführte Debatte über den Zustand der Modwelt (zu viele Kollektionen, kreatives Burn-Out, veraltete Systeme) ist nicht nur das Ergebniss Umsatz-gieriger Konzerne, sondern auch ein Spiegelbild des Zeitgeists: Unsere Welt wird immer komplexer (Digitalisierung, Globalisierung etc.) und das Individium ist damit zunehmend überfordert: Man hat ein „Burn out“, muss ein Sabbat-Jahr einlegen. Da geht die Mode, wie immer, mit der Zeit.
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