2016-02-08



Jetzt wird alles anders. Vielleicht!

Burberry hat Ende vergangener Woche eine Fashion-Revolution eingeläutet: Die Londoner Firma überdenkt ihr gesamtes Geschäft und möchte ihre Mode völlig anders als bisher kommunizieren.



Christopher Bailey, der Fashion-Revoluzzer: Er will das Mode-System erneuern.

Die Fashion-Revolution à la Burberry

Ab dem kommenden September stehen diese Änderungen bei Burberry an:

Frauen- und Männer-Kollektionen werden zusammen gezeigt. Die Show bei der Menswear-Fashionweek wird aufgegeben.

Die Pre-Collections werden auch nicht mehr präsentiert, in die großen Shows integriert. Sie bestehen als Capsule-Kollektionen weiter, die etwas früher ausgeliefert werden als die Hauptkollektion.

Fashionshows wird es nur noch zweimal im Jahr geben und die Kollektionen sollen sofort zu kaufen sein: online und stationär. Entsprechend werden auch neue Werbe-Kampagnen gleich mit Show-Ende live geschaltet und die Schaufenster werden die neue Mode zeigen, die eben noch auf dem Laufsteg war.

Die Kollektionen werden saison-unabhängig sein: keine reine Sommer- oder Wintermode, sondern Mode für alle Jahreszeiten, bzw. für alle über die Welt verstreuten Konsumenten. In Folge will Burberry auch nicht mehr von Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter sprechen, sondern die Kollektionen einteilen in die beiden Showzeiten, also „Februar“ und „September“.

Alle Zweit- und Nebenkollektionen wie Prorsum, London und Brit werden unter dem Dach-Markennamen Burberry zusammengefasst.

Gibt es noch andere Fashion-Revolutionäre?

Steht Burberry mit dieser Umgestaltung seines Business alleine da? Nein, auch wenn die Londoner wohl am radikalsten denken. Vor rund zehn Tagen ließ die Pariser Firma Chloé verlauten, dass sie künftig über ihre Pré-Collections keine Informationen mehr vorab kommunizieren werde, damit der Verbraucher sie bei Lieferung im Laden entdecken kann. “Wir wollen, dass die Konsumenten die Kollektion dann entdecken,  wenn man sie auch kaufen kann”, erklärt Geoffroy de La Bourdonnaye, Präsident von Chloé.  Auch Bilder der Zwischenkollektion dürfen nicht vor dem 1. Mai, dem Liefertermin, veröffentlicht werden.

Auch Giles Deacon hat seine Ready-to-Wear aufgegeben, um mit einer Haute-Couture-Kollektion seine Kunden direkt nach der Schau, konkret drei Monate später beliefern zu können. Wir berichteten —> Deacon denke auch über eine Möglichkeit nach,  wie er zwischen den Schauen mit den Konsumenten interagieren könne.

Hedi Slimane hat – aus welchen Gründen auch immer – kurz vor der Männermodewoche seine Show abgesagt, um sie während der Grammy Music Awards zu zeigen. Wir berichteten —>

Auch Tom Ford hat sich von der normalen Fashionweek verabschiedet. Er zeigt seine Show auch mal nur als Dance-Video. Wir berichteten —> Diesmal will er aber in einem intimen Rahmen in New York zeigen. Auch er legte seine Männer- und Frauen-Kollektion zusammen.

Marios Schwab und Matthew Williamson haben ebenfalls die Londoner Fashionweek verlassen, die in dieser Saison einen wahren Aderlaß erlebt. Sie wollen ihre Kunden im Showroom treffen und angeblich auch Saison-nahe Lieferungen anpeilen.



In diese Richtung geht es: Weniger Shows, kürzere Lieferzeiten, weniger Kollektionen

Auch Diane von Furstenberg macht sich Gedanken. Die Vorsitzende des Council of Fashion Designers of America, erklärte gegenüber WWD:  “Designer, Händler, einfach alle beschweren sich über die Schauen. Irgendwas funktioniert nicht mehr wegen des Aufkommens von Social Media. Die Leute sind verwirrt. Wir haben ein paar Ideen. Jeder meint, dass Shows mehr am Konsumenten orientiert werden müssen, und dass dies eine gute Idee wäre.“

Warum ist das Saison-System am Ende?

Spektakuläre Burn-Outs von Designer, eine Übermacht der Social Medias, Live Stream Fashionshows und ein überhitztes Business, bei dem immer mehr Kollektionen auf den Markt geworfen werden, Online-Shopping als das neue Credo, fallende Umsätze aufgrund weltweiter Wirtschaftskrise – das war das Modebusiness 2015. Die Lage ist für viele Modemarken ernst geworden. Um zu überleben, müssen sie umdenken. Und näher an den Konsumenten ran.

Denn der hechelt angesichts dieses Systems mit der Zunge hinterher. Dank der Social-Media-Übermacht werden Verbraucher zeitnah mit der neuen Mode angeheizt. Doch die Modelle, die sie auf Blogs, Websites, Facebook und Instagram sehen und begehren, kommen erst ein halbes Jahr später in die Läden. Und dann meist zu einem Zeitpunkt, bei dem die Wetterlage den Produkten nicht entspricht: Mitten im Winter wird die Sommermode ausgeliefert, im Sommer die Wintermode.

Wir hatten euch vor Kurzem die Frage gestellt, ob Euch diese Lieferrhythmen noch passen. Die Mehrheit war für eine Änderung des Systems und eine Anpassung der Mode an die Jahreszeiten. Hier geht es zur Umfrage —>

No more Bikini mitten im Winter: Die Mode im Laden sollte die Wetterlage draußen wiederspiegeln.

Christopher Bailey, Burberry Designer und Management-Chef, ist sich dieses Dilemmas durchaus bewusst: „Die neuen Änderungen erlauben uns, eine enge Verbindung aufzubauen zwischen dem Erlebnis der Runways-Shows und dem Moment, in dem die Konsumenten selbst physisch die Kollektion entdecken können. Man kann die Konsumenten nicht erst stimulieren und sie dann sechs Monate hinhalten. In der Mode geht es um die Frage: Was ist richtig in diesem Moment?“

Ist das Modell der Saisons also überholt? Scheinbar. Rund 50 Jahre hat es funktioniert. Kehren wir nun zurück zum System vor dem Entstehen der Ready-to-Wear? Damals, zur Zeit der Haute Couture, konnte zeitnah geliefert werden. Doch damals beschäftigten Modehäuser auch rund 300 Näherinnnen und die Mode war einer Elite vorbehalten. Die Situation einst: Viele Mitarbeiter, wenig Kunden. Heute gibt es jedoch viele Kunden und in Europa kaum noch Hände, die Kleider nähen können.

Ist ein sofortiges Kauferlebnis nach der Show überhaupt realisierbar?

Die Frage ist: Ist das alles nur eine schöne neue Modewelt-Vision oder auch organisatorisch realisierbar? Kann die Produktion in der erforderlichen Stückzahl überhaupt gesichert werden? Wann bekommt wer was zu sehen? Wann werden die Händler eingeschaltet? Wann die Presse und Modekritiker? Wer entscheidet, welche Keypieces in die Produktion gehen? Und in welcher Stückzahl?

Der Fashion-Revolutionär aus London hat leider noch lange nicht alle Antworten parat. Das System Pre-Order, das bisher praktiziert wurde, funktioniert in der Masse nicht. Bailey sagte dem Webmagazin Business of Fashion (BoF), dass er über eine flexiblere Produktionskette nachdenke. Beim Beginn des kreativen Prozesses müssten sofort Stoffe bestellt werden, Konfektionszeiten vorab reserviert werden, etcetera. Reicht das?

Acne Showrrom während der Pariser Modewoche im Oktober 2015

Was ist mit externen Händlern, die normalerweise erst nach der Show ordern und dann beliefert werden? Können diese zeitnah mit den Flagships beliefert werden? Kaum denkbar. Sie einfach mit Ware zu beliefern, macht keinen Sinn. Denn: Wo bleibt dann ihre Konsumenten-ausgerichetete Selektion einer Kollektion? Flagships werden mit der Gesamtkollektion beliefert, aber externe Händler wollen auswählen, denn sie wissen, was ihre Kunden wünschen. Können Sie das künftig noch?

Was ist mit dem Kampagnenshooting? Hier und da nimmt Christopher Bailey das Wort „Embargo“ in den Mund. Man hält Bilder zurück, untersagt die Veröffentlichung? Funktioniert so eine zeitliche Zensur in unserer Social-Media-durchfluteteten Zeit überhaupt noch? Wohl kaum.

Nein, die Tasche zeige ich Dir nicht! Können Bilder-Embargos die Fashion-Industrie retten?

Ist es nicht Zeit, auch in der Kommunikation umzudenken: Brauchen wir künftig noch Kampagnen, wenn es eh um ein sofortiges Kauferlebnis gehen soll? Kampagnen werden vor allem für Printmedien gemacht, die einen Vorlauf von zwei bis drei Monaten haben. Social-Media-Kanäle dagegen liefern sofort. Diese Websites brauchen auch keinen Starfotografen und kein Mannequin, um Mode medienwirksam zu präsentieren. Instagram-Girls könnten also künftig die Rolle der Kampagnenmodels übernehmen. Ob wir das nun gut finden oder nicht. Es könnte die Zukunft sein.

Chiara statt Karlie: Instagram-Stars könnten die echten Models als Werbe-Rolemodels ablösen.

Folgen gäbe es auch für die Vertikalen (H&M, Zara, Mango, Primark, Forever21), die bis dato die Trends der Schauen dank ihrer perfekt organisierten Produktionskette früher als die Trendgeber selbst in die Läden bringen konnten. Wenn sich Beileys Vision durchsetzt, dann werden bei Zara & Co. die Trends der großen Designernamen erst nach den Originalen zu kaufen sein.

Die Revolution der Mode schon im September 2016?

Beginnt die Zukunft der Mode im kommenden September, so wie es Burberry prophezeit? Fraglich. Zu viele Fragen sind noch offen, zu viele Probleme zu lösen. Man darf nicht vergessen: Eine Fashionshow zeigt nur das kleine Ende der textilen Kette, bestehend aus Kreation und Konfektion. Davor steht der lange Vorbau, der aus Farbbestimmung, Rohstoffbeschaffung, Garn-Spinnerei und Stoffe-Weben besteht. Diese ganze Kette zu revolutionieren, dauert Jahre, wenn nicht Jahrzehnte. Ich denke, die Lösung liegt irgendwo in der Mitte. Mir würde reichen, wenn eine Modekollektion wenige Monate nach der Schau und passend zum aktuellen Wetter in die Läden kommen würde. Das könnte durchaus zu realisieren sein. Und zwar schon im nächsten September.

Der Beitrag Erleben wir eine Fashion-Revolution? erschien zuerst auf Modepilot.

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