2014-03-01

- Auszug GEAB N°76 (15. Juni 2013) -



[...] Dennoch ist ein großer Schock, vergleichbar mit dem Bankrott von Lehman Brothers im Jahr 2008, mit dem die Zerstörung um sich griff und die Finanzkrise in das Bewusstsein der großen Öffentlichkeit rückte, noch ausgeblieben. Bei genauer Betrachtung ist das keine gute Nachricht. Denn nun dürfte es nicht zu einem „Schock“ kommen, sondern zu einer wahrhaft zerstörerischen Explosion.

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DIE FOLGEN DER ZWEITEN KRISE

Die aktuelle Lage ist so labil, dass jeder Tropfen das Fass zum Überlaufen bringen wird. Oder um ein anderes Bild zu verwenden: Das Kartenhaus ist so wackelig, dass jede Erschütterung es zum Einsturz bringen wird. Es ist daher entscheidend, sich schon jetzt auf die Krise II vorzubereiten, die nun jeden Tag ausbrechen kann, spätestens bis Anfang 2014 ausgebrochen sein wird, wahrscheinlich aber deutlich früher. Wir wollen daran erinnern, dass eines der Ereignisse, das uns ermöglichte, die Monate März bis Juni als Zeitraum zu identifizieren, in dem es voraussichtlich zum erneuten Zusammenbruch kommen würde, die US- Schuldengrenze war, die eigentlich im Mai hätte erreicht werden sollen. Dieser Zeitpunkt wurde wunderbarerweise auf September oder Oktober hinausgeschoben, dank insbesondere einer Neubewertung der Immobilienbestände von Fannie Maie, wiederum dank der neuen Immobilienblase, die die Fed aufgeblasen hat und deren Platzen den erneuten Absturz noch verschärfen wird (13). Aber die Probleme werden immer nur hinausgeschoben, nie gelöst. Dass den Akteuren der Welt von Gestern die Vorstellungskraft fehlt, dass man die Krise mit neuen Methoden bekämpfen muss, insbesondere dank einer Reform des Systems der internationalen Governance, und dass ihre historische Rolle darin besteht, dafür den Weg frei zu machen, ist im Übrigen besonders niederschmetternd.



Die Historiker werden sicherlich die Krise von 2008 als eine Vorwarnung für die Krise von 2013 einstufen. Nicht alle Weltregionen werden in gleicher Weise von der Krise getroffen werden, aber alle werden darunter leiden. Nach Auffassung von LEAP/E2020 können die Etappen der zweiten Krise wie folgt zusammengefasst werden:

Ende 2013, finanzielle Folgen : Zusammenbruch der Finanzmärkte insbesondere in den USA und Japan, die Regierungen vermögen nicht mehr, die Banken zu retten, bail- ins werden organisiert;

Ende 2013 – 2014, die Krise erfasst die Realwirtschaft : Die Kreditklemme provoziert/offenbart eine tiefe globale Rezession und den Rückgang des globalen Handels;

2014, soziale Folgen : Die Wirtschaftskrise lässt die Arbeitslosenzahlen anschwellen, der Wertverlust des Dollars lässt in den USA den Lebensstandard einbrechen, überall brechen Unruhen aus ;

2014, politische Krise : Die Regierungen der von der Krise besonders betroffenen Länder geraten wegen ihres Krisenmanagements massiv unter Druck, es wird zu erzwungenen Rücktritten und vorgezogenen Wahlen kommen, vielleicht sogar zu Staatsstreichen;

2014- 2015, internationales Krisenmanagement: Euroland und BRICS setzen ein neues internationales Währungssystem durch und legen die Grundlagen für eine neue globale Governance ;

2015 : Die Regionen, die von der Krise am Wenigsten betroffen waren, haben die Krise endgültig überwunden;

2018 : Die USA, Großbritannien und Japan brauchen fünf Jahre, um die Folgen der Krise zu überwinden ; jedoch wird bis dahin der Lebensstandard massiv gesunken sein und die Länder werden viel von ihrem internationalen Einfluss verloren haben. Das werden sie sich aber selbst zuzuschreiben haben, da sie nicht bereit waren, daran mitzuwirken, die globale Governance neu zu gründen.

Die USA im Zentrum des Problems werden natürlich von den Veränderungen am Stärksten betroffen sein, wie auch ihre unmittelbare Einflusszone (also vor allen Dingen Großbritannien und Japan). Euroland, das bereits wesentliche Fortschritte beim Prozess der notwendigen Veränderung, der Neuausrichtung der Wirtschaft auf die Realwirtschaft (14) und der Stärkung seiner Governance (gerade haben Hollande und Merkel gemeinsam vorgeschlagen, eine Regierung für die Eurozone einzurichten (15)) erzielt hat, aber dafür auch einen hohen Preis bezahlen muss, wird von dieser zweiten Krise weniger betroffen sein als andere Länder und Regionen. Dafür kommt die Eurozone durch die politische Krise, in der sie steckt, im sozialen Bereich sehr unter Druck.

Die Schwellenländer werden massiv unter der globalen Rezession zu leiden haben, aber sie haben bereits begonnen, wie wir auch im Kapitel Teleskop erläutern werden, ihre Wirtschaft zu diversifizieren, insbesondere auch durch Förderung der Binnennachfrage, und dürften daher in der Lage sein, die Krise schneller zu überwinden. Aber auch ihrer Strategie der verstärkten Neuausrichtung der Wirtschaft auf Befriedigung der Binnennachfrage wird unter dem Schock der zweiten Krise leiden; und die Sozialstrukturen des Landes sind weiterhin wenig solide.

Auf jeden Fall dürfen wir nicht aus den Augen verlieren, dass die westliche Hyperkonsumgesellschaft der letzten zwanzig Jahre am Ende ist. Der dort herrschende sehr hohe Lebensstandard konnte nur mit nicht nachhaltigen Mitteln erreicht werden und wird nun also sinken. Der Rückgang des Lebensstandards wird insbesondere in den USA massiv ausfallen, wenn der Dollar, nachdem er seine Funktion als Weltleit- und Reservewährung eingebüßt hat, massiv an Wert verlieren wird, um den wahren Wert der US- Wirtschaft zu verkörpern. Momentan ist die US- Wirtschaft um 20% überbewertet, weil insbesondere die unfassbaren Volumina an Scheinwerten bei der Berechnung der jährlichen Wirtschaftsleistung berücksichtigt werden.

Angesichts der Unvermeidbarkeit von sinkenden Lebensstandards der Menschen in den westlichen Staaten müssen unsere Gesellschaften sich darüber Klarheit verschaffen, welche sozialen Grundstandards sie bewahren wollen ; ansonsten werden die europäischen Sozialmodelle (bzw. das, was davon noch verblieben ist), in sich zusammenfallen. Eine Gesellschaft kann mit einem Rückgang ihrer Kaufkraft leben, wenn sie ansonsten auf eine öffentliche Daseinsvorsorge von hoher Qualität (insbs. Bildung, soziale Absicherung, Infrastrukturen usw.) zählen kann, die aber nur bezahlbar ist, wenn Steuern gerecht und effizient erhoben werden. Die gegenwärtigen Anstrengungen, Steuerflucht und – Hinterziehung besser zu bekämpfen, sind daher sehr zu begrüßen (16). Europa muss daher alles daran setzen, seine öffentlichen Dienste zu bewahren und - wenn sie in den letzten Jahrzehnten zu sehr an private Unternehmen abgegeben wurden - zu verstärken,; das ist das genaue Gegenteil von dem, was die griechische Regierung gemacht hat, als sie die unverständliche Entscheidung getroffen hat, von einem Tag auf den anderen das öffentliche Fernsehen einzustellen (17). Wir werden diese Überlegungen zum Bereich Bildung und Infrastruktur noch im Kapitel Teleskop vertiefen.

STRATEGIEN DER VERSCHIEDENEN AKTEURE

Angesichts des bevorstehenden Zusammenbruchs haben die großen Finanzakteure (Banken, Hedge fonds usw.) auf den Modus „Rette sich wer kann“, bzw. „Goldman und die anderen zuerst“, geschaltet und versuchen, ihre Anlagen an vertrauensselige Investoren zu verkaufen, bevor ihr Wert in den Keller rauscht. Daran kann man ablesen, dass der Schock unmittelbar bevorsteht. Der Mini- Crash am Goldmarkt im April, die steigenden Staatsanleihenzinsen, die Empfehlung von Goldman Sachs, US- Staatsanleihen abzustoßen, die Aktienmärkte, die an an bestimmten Tagen massiv einbrechen, all das zeigt, dass die großen Finanzakteure sich still und heimlich von den Finanzmärkten zurückziehen.

Um nicht in die Isolation zu geraten, versuchen die USA Europa in ihrem Einflussbereich zu halten, indem sie noch rasch ein transatlantisches Freihandelsabkommen abschließen wollen, das ihnen insbesondere die Möglichkeit eröffnen soll, amerikanisches Schiefergas nach Europa zu exportieren und damit die traditionellen Gaslieferbeziehungen zwischen Europa und Russland zu hintertreiben. Aber zum Einen bleiben wir davon überzeugt, dass es nicht zum Abschluss dieses Abkommens kommen wird bzw., wenn doch, dass es sich dabei nur um eine substanzlose Hülle ohne wesentlichen Anwendungsbereich handeln wird, wie wir in vorhergehenden Ausgaben des GEAB dargelegt haben; zum anderen befindet sich Europa unter Führung Frankreichs (18) und Deutschlands (19) vor dem Hintergrund einer beeindruckenden Reihe von Skandalen, vom Abhörprogramm der NSA (20) zu Prostituiertenskandale im Außenministerium (21), gerade in einer endgültigen Absatzbewegung von den USA.

China, das maßgeblich dazu beigetragen hat, die USA vor der Zahlungsunfähigkeit zu bewahren, indem es amerikanische Staatsanleihen so lange kaufte, bis seine Emanzipation vom Dollar weit gediehen und seine Exportabhängigkeit reduziert war, hat seine Exposition gegenüber dem Weltproblem Nr. 1, dem Dollar, weitgehend verringert, indem es immer mehr Swap- Abkommen mit seinen Handelspartnern abschloss, und damit heimlich und allmählich die Grundfesten des Dollars untergraben. Für seine Handelsbedürfnisse hat es auf regionaler Ebene den Weg für die Schaffung einer Korbwährung aus nationalen Währungen geschaffen, die ohne den Dollar auskommen wird. China hat die letzten fünf Jahre genutzt, um sich besser aufzustellen und vor allen Dingen in Asien zur wirtschaftlichen Führungsmacht aufzusteigen, während es gleichzeitig ein beruhigendes Polster an Währungsreserven zu bewahren vermochte. Dennoch blieb auch China nicht vollkommen von der Schwellenlandblase verschont.



Euroland beginnt zögernd, sich den BRICS anzunähern, wie man an der europäischen Zulassung der Ratingagentur Dagong (22) sehen kann, und sich von den USA und Großbritannien abzusetzen, was sich an den Versuchen, die Libor- Fixierung nach Paris zu holen (23), ablesen lässt. Die Absatzbewegung von den USA verstärkt sich, und selbst der ehemalig so treue Verbündete Deutschland wahrt immer größere Distanz zu Washington. Bezeichnendes neuestes Beispiel dafür und bis vor kurzem unvorstellbar ist die schonungslose Qualifizierung des NSA- Überwachungsprogramms durch hochrangige deutsche Politiker als „Stasimethoden“ (24).

Die Annäherung Euroland – BRICS, die den beiden Regionen ermöglichen wird, gegenseitig von ihren jeweiligen Vorzügen zu profitieren, wird beide Regionen in die Lage versetzen, wirksamer gegen die Folgen der kommenden Krise vorzugehen.

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Noten:

13 Es wäre schon ein Treppenwitz der Volkswirtschaft, wenn erneut eine Rettung von Fannie Mae erforderlich wäre, von der es doch gerade hieß, sie sie wie Phoenix aus der Asche aufgestanden.

14 Eine der wenigen guten Nachrichten weltweit kommt in der Tat aus der Eurozone: Surprise Growth In Eurozone Industrial Output Adds To Recovery Hopes, RTT News, 12/06/2013.

15 Quelle: FAZ, 30/05/2013.

16 Vgl. die vorhergehenden Ausgaben des GEAB zur Bekämpfung der Steuerflucht.

17 Quelle: PressEurop, 12/06/2013.

18 Quelle: CNBC, 13/06/2013.

19 Quelle: Reuters, 11/06/2013.

20 Quelle: Washington Times, 13/06/2013.

21 Quelle: Le Point, 12/06/2013.

22 Was die Europäer nicht schafften, leistet nun China für sie! Quelle: Challenges, 07/06/2013.

23 Quelle: Deutsche Welle, 06/06/2013. L in Libor steht ja für London…

24 Quelle: Reuters, 11/06/2013.

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