2013-07-04

Im Frühjahr habe ich für zwei Monate an einem Projekt der Swisscom, SBB und Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW) teilgenommen. Auch Mirella war dabei und hat darüber berichtet. Das Projekt untersuchte, ob es durch flexibles Arbeiten (d.h. teilweise von Zuhause und unterwegs) möglich ist, ausserhalb der überlasteten Hauptverkehrszeiten zu reisen und welche Effekte dies auf Produktivität und Zufriedenheit hat.

Jede/r Teilnehmende erhielt ihre/seine persönliche Auswertung. So waren 83.6% meiner Fahrten ausserhalb der Hauptverkehrszeiten. Zur Hälfte war jedoch entweder die Hin- oder die Rückreise in den Stosszeiten. Ursachen waren wohl Sitzungstermine oder auch mein Bedürfnis, gleich den ganzen Tag am selben Ort zu arbeiten. An 20% meiner Arbeitstage habe ich komplett zuhause gearbeitet. Im Vergleich zum allgemeinen Durchschnitt fuhr ich häufiger ausserhalb der Hauptverkehrszeiten (Durchschnitt 66%) und war häufiger im Home Office (Durchschnitt 17%).


Heute wurden die Resultate und Empfehlungen veröffentlicht. Die Website und Broschüre bietet dabei einen guten Überblick. Ich habe mich vorgängig mit dem Projektleiter Johann Weichbrodt von der FHNW Olten ausgetauscht. Johann Weichbrodt ist Organisationspsychologe und Forscher an der Hochschule für Angewandte Psychologie FHNW. Ich konnte ihm ein paar Fragen stellen, welche nicht in der Ergebnisbroschüre behandelt werden:

Was war aus deiner Sicht das überraschendste Ergebnis? Was hättest Du nicht erwartet?

In unserer bisherigen Forschung zum Thema gingen wir meist von ganzen Tagen aus, die man im Home Office arbeitet. Neu war an der Studie der Gedanke, Arbeit zeitlich und örtlich noch flexibler aufzufassen und auch Modelle zu untersuchen, wo man während eines Tages an mehreren unterschiedlichen Orten arbeitet. Das entspricht auch durchaus der Realität der sogenannten “Arbeitsnomaden” – ich selbst arbeite auch öfters so. Überraschend war nun, dass diese “Zerstückelung” des Arbeitstages keine negativen Auswirkungen bei den Studienteilnehmenden hatte. Im Gegenteil: Sie konnten es gut einrichten, durch flexibles Arbeiten die Hauptverkehrszeiten zu meiden und berichteten überwiegend positiv über die neue Arbeitsweise; sie waren laut Selbsteinschätzung produktiver und zufriedener.

Aus meiner Sicht war für dieses positive Ergebnis der entscheidende Faktor die Flexibilität und individuelle Freiheit: Jede/r konnte ihre oder seine persönliche Arbeitsweise finden. Manche arbeiteten wenig zuhause, manche viel. Manche eher ganze Tage, manche eher morgens ein paar Stunden und dann im Büro. Manche arbeiteten unterwegs, andere machten unterwegs lieber Pause. Dass die Freiheit dennoch Grenzen hat, weil man ja schliesslich mit anderen in einem Unternehmen zusammen arbeitet und daher auch öfters mal Termine “aufgedrückt” bekommt, ist klar. Aber offensichtlich blieb den Teilnehmenden immer noch genug Freiraum, um sich darin bestmöglich einzurichten. Dass es so gut klappt, hätte ich nicht erwartet. Das freut mich auch als Arbeits- und Organisationspsychologe, weil wir wissen, dass Menschen besser und ausgeglichener arbeiten können, wenn sie Freiraum haben und diesen auch für sich nutzen können.

Ich selber arbeite 80%. Meine Frage an dich: Gabe es Unterschiede zwischen Teilzeitmitarbeitenden und Vollzeitmitarbeitenden? Was empfiehlst du Teilzeitmitarbeitenden?

Nur sehr wenige Swisscom-Teilnehmende haben Teilzeit gearbeitet, daher sind die Ergebnisse nicht sehr aussagekräftigt. Bei den SBB war es ca. ein Viertel der Teilnehmenden, die 80% oder 90% gearbeitet haben. Die Teilzeitmitarbeitenden haben sich im Grossen und Ganzen nicht unterschieden von den Vollzeitmitarbeitenden. Ein Effekt aber war interessant: Die Life-Balance unser Teilnehmenden war schon vor dem Versuch gut, bei Teilzeitmitarbeitenden aber noch etwas besser als bei Vollzeitmitarbeitenden. Nach dem Versuch hat sich die Life-Balance der Vollzeitmitarbeitenden allerdings verbessert, so dass sie sich beinahe anglichen. Das sind alles nur kleine Effekte, aber sie zeigen doch etwas Grosses auf: Mehr Freiheitsgrade bei der Arbeit (durch Teilzeitanstellung, durch zeitliche und örtliche Flexibilität, oder durch beides zusammen) führen zu einer besseren Life-Balance.

Gleichzeitig erfordert mehr Freiheit auch eine bessere individuelle Abgrenzung. Das scheint mir für Teilzeitangestellte besonders schwierig zu sein, denn theoretisch kann man ja immer und überall arbeiten und die Gefahr ist gross, dass man letztlich doch zum Vollzeitmitarbeitenden wird. Da braucht es gute Absprachen mit Vorgesetzten und Kolleginnen und Kollegen, und man muss gut darin sein, auf sein Pensum zu bestehen und “nein” zu sagen.

Die Studie hat Partner aus der Wissenschaft und der Industrie. Wie ist es, Forschung für und mit einem Unternehmen wie Swisscom oder SBB zu machen? Welche Einblicke hast du bekommen?

Ich habe es als sehr angenehm empfunden, einen (oder besser: zwei) Auftraggeber mit klaren Zielen zu haben. Das lag sicher auch daran, dass die Kommunikation mit den Projektpartner/innen aus beiden Unternehmen sehr gut lief. Dabei hat uns übrigens auch die Kommunikationstechnologie untersützt, denn ganz nach dem Motto “work anywhere” haben wir wöchentlich von unterschiedlichen Orten aus an einer Telefonkonferenz teilgenommen. Das war wichtig, weil die Koordination mit so vielen Beteiligten und der Aufbau von Vertrauen nicht per Email funktioniert.

Für mich neu war vor allem der Aspekt der Zweckmässigkeit der Forschung: Die ganze Studie war keine “Forschung im freien Raum”, sondern sollte eine konkrete Frage beantworten und spezifische Interessen der beiden Auftraggeber bedienen. Dementsprechend werden die Ergebnisse jetzt von beiden Unternehmen für ihre Ziele eingesetzt. Ich als Forscher kann damit aber sehr gut leben. Denn zum einen sind die Ergebnisse ja auch aus Sicht der Arbeits- und Organisationspsychologie sehr positiv und eine Förderung des flexiblen Arbeitens unterstützenswert. Zum anderen müssen wir in der angewandten Forschung immer Kompromisse eingehen, sonst bekämen wir nie solch einen guten Zugang zu Unternehmen und Mitarbeitenden und wüssten gar nicht, wie es ausserhalb unserer Labore in der Welt eigentlich zugeht.

Aus meiner Zeit in der Forschung erinnere ich mich, dass mit einer Studie zwar Fragen beantwortet werden, aber auch immer neue Fragen auftauchen. Welchen neuen, spannenden Fragen würde es sich lohnen nachzugehen?

Dass die flexible Arbeitsweise wirklich zu mehr Produktivität und Zufriedenheit führt, ist nicht selbstverständlich. In der Studie hat es unter anderem auch deshalb so gut funktioniert, weil die Teilnehmenden schon recht viel Erfahrung mit flexiblem Arbeiten hatten. Daher würde mich interessieren, wie man flexibles Arbeiten fördern kann in Unternehmen oder in Abteilungen, wo es bisher nur wenig Erfahrung damit gibt. Besonders wichtig scheint mir hier das Thema Führung zu sein. Führungskräfte haben eine Schlüsselfunktion: Wenn sie die neuen Arbeitsformen unterstützen, stehen die Chancen gut, dass es ein Erfolg wird. Andererseits kommen auf Führungskräfte mit der neuen Arbeitsweise auch ganz neue Herausforderungen zu, weswegen es unter ihnen auch Vorbehalte gibt. In unserer Studie zum Beispiel nannten die Vorgesetzten als wichtigste Erfolgsfaktoren die Punkte Vertrauen und Eigenverantwortung. Ich würde gerne besser darüber Bescheid wissen, wie man Führungskräfte unterstützen kann und Vertrauen und Eigenverantwortung in Unternehmen fördern kann, damit die neuen Arbeitsweisen bessere Chancen auf Erfolg haben.

Vielen Dank für das Gespräch. Wer mehr erfahren will dem ist die Website und Broschüre zu empfehlen.

Wer möchte kann auch an einem Wettbewerb teilnehmen und ein Foto seines aktuellen Arbeitsortes einreichen.

Wie sind eure Erfahrungen mit dem Pendeln ausserhalb der Hauptverkehrszeiten? Tut ihr das auch oder würdet ihr es gerne tun?

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