2013-09-24

Uta Pippig gewann in den 90er Jahren jeweils dreimal den Berlin- und den Boston-Marathon. Darunter war wenige Tage vor der deutschen Wiedervereinigung der erste Marathon durch Ost und West. In Boston schaffte die Berlinerin einen Hattrick und gewann 1996 auch die 100. Auflage des Traditionsrennens. Dort lief Uta Pippig zudem 1994 mit 2:21:45 Stunden die zum damaligen Zeitpunkt drittbeste Zeit aller Zeiten. Heute lebt sie in Boulder (USA) und leitet ,Take The Magic Step’, ihr Unternehmen, das es sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen auch mit Hilfe des Laufsports zu einem gesünderen Lebensstil und zu einem größeren Wohlbefinden zu führen. ,Take The Magic Step’ engagiert sich zudem stark im karitativen Bereich, vor allem bei der Unterstützung von unterprivilegierten Kindern. Als Ehrengast kehrt Uta Pippig am kommenden Wochenende nach vielen Jahren zum 40. BMW Berlin-Marathon zurück. Im Vorfeld des Rennens gab die 48-Jährige das folgende Interview:

Vor 23 Jahren haben Sie den geschichtsträchtigen Berlin-Marathon gewonnen, der wenige Tage vor der Wiedervereinigung erstmals durch beide Teile der Stadt führte – welche Erinnerungen haben Sie an dieses Rennen?

Uta Pippig: Dieser Lauf war für so viele Menschen ein außergewöhnliches Erlebnis. Ich kann mich ganz besonders an die grenzenlose Freude der Menschen, aber auch an die Erleichterung und Freudentränen vieler erinnern, nun ohne die mitten durch die Stadt führende Mauer leben zu können. Wir konnten einfach durch laufen. Es war ein Marathon, bei dem ich eine Gänsehaut hatte, als ich drei Tage vor der Wiedervereinigung gemeinsam mit meinen Freunden und allen anderen Läufern durch das Brandenburger Tor rannte in eine gute und atemberaubende Zukunft. Für so viele Menschen war es eine bewegende Zeit, die uns geprägt und vereint hat.

Anfang der 90er Jahre folgte Ihr Aufstieg in die Marathon-Weltspitze mit Siegen in New York und Boston – welches war Ihr größtes Rennen und welches Ihr schönstes?

Uta Pippig: Der bewegende Berlin-Marathon 1990 und die 100. Auflage des Boston-Marathons 1996, das waren jeweils unglaublich schöne Rennen. Als ehemalige ostdeutsche Athletin 1990 durch das Brandenburger Tor laufen zu können und dann das Rennen auch noch zu gewinnen, war ein sehr emotionales und bewegendes Erlebnis. Davon hätte ich zwölf Monate vorher nicht einmal zu träumen gewagt. Aus leistungssportlicher Sicht ist es der Erfolg beim Boston-Marathon 1996. Damals, 1996, war ich so gut vorbereitet wie nie zuvor auf einen Marathon. Doch schon nach einigen Kilometern bekam ich Magenprobleme und etwas später sogar Durchfall. Ich hatte bereits einen großen Rückstand auf die Kenianerin Tegla Loroupe, aber nach einer langen Aufholjagd konnte ich doch noch gewinnen – ich habe sehr viele Erinnerungen an diesen Lauf.

In Berlin gewannen Sie noch zweimal – 1992 und 1995 – was war das Besondere für Sie am Berlin-Marathon – gibt es spezielle Erinnerungen an diese Läufe?

Uta Pippig: Ja, vor allem an die tolle Atmosphäre. Die Berliner Zuschauer sind einfach klasse. Ich schätze die Liebe der Menschen zu ihrem Marathon so sehr. Das weltweite Interesse an dem Rennen ist riesig und die Organisation einmalig. Damals führte die Strecke ja noch von der Straße des 17. Juni in Richtung Brandenburger Tor, dann ging es in einer Schleife durch den östlichen Teil der Stadt, später ganz in der Nähe meiner Wohnung in Steglitz vorbei, über den Wilden Eber mit seiner verrückten Stimmung und schließlich ins Ziel auf dem Kurfürstendamm. Der Berlin-Marathon hat damals wie heute eine wirklich geschichtsträchtige Strecke durch unsere wunderschöne Stadt. Sehr gut habe ich auch die vielen frohen Gesichter und die motivierenden Anfeuerungsrufe, die einen einfach ins Ziel getragen haben, in Erinnerung. 

Sie leben seit vielen Jahren in den USA – was machen Sie zurzeit?

Uta Pippig: Der Schwerpunkt meiner Tätigkeiten ist die Arbeit für meine Take The Magic Step-Stiftung. Hier geht es darum, verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen zu unterstützen, ganz besonders liegen uns dabei unterprivilegierte Kinder am Herzen. Im Rahmen dieser karitativen Tätigkeiten betreue ich darüber hinaus auch die Läufer der ,Hoyt Foundation’, wenn sie sich auf den Boston-Marathon vorbereiten. Und einige Teilnehmer des BMW Berlin-Marathons erhielten von mir Ratschläge für Ihr Training in Vorbereitung auf Berlin. Und sehr am Herzen liegt mir meine Vortragsserie: ,Running To Freedom – Laufend in die Freiheit’, die sich mit dem Wert von Freiheit und Wohlbefinden beschäftigt.  
Parallel zur Stiftung und „Running To Freedom“ arbeite ich am Take The Magic Step-Programm. Take The Magic Step steht für den Schritt aus der Tür, den ersten Schritt auf einem neuen Weg. Unser Konzept ist es, Menschen zu helfen, zu einem größeren Wohlbefinden zu gelangen – durch Inspiration, fundiertes Wissen und Veränderungen ihrer Lebensgewohnheiten wollen wir sie für die Idee von geistiger und körperlicher Fitness begeistern. Behutsam und bewusst, Schritt für Schritt. Natürlich spielt der Laufsport dabei eine besondere Rolle. Und die entsprechenden Inhalte publizieren wir auf meiner Webseite www.takethemagicstep.com .

Bei „Running To Freedom“ spielt Ihre eigene Geschichte eine Rolle.

Uta Pippig: Ja, ,Running To Freedom – Laufend in die Freiheit’ trifft auf verschiedene Hintergründe zu – auch auf meinen eigenen Weg aus der früheren DDR, der mich schließlich bis in die USA führte. Diese Zeit war für mich mit wertvollen Erfahrungen und tiefen Emotionen verbunden, die mein Leben fortan prägten. Ich möchte diese Erfahrungen gerne weitergeben. Deswegen habe ich diese Inhalte als eine der Grundlagen in meine Vortragsserie ,Running To Freedom’ integriert. Es geht dabei um eine erweiterte Reflektion darüber, welchen Wert unsere Freiheit sowohl für die Gesellschaft wie auch ganz persönlich für den Einzelnen hat - auch in Verbindung mit den heutigen Ereignissen und politischen Entwicklungen. Und im Weiteren geht es unter anderem um den Wunsch nach Veränderung, um das Streben nach Erfüllung und wie man die notwendige Inspiration finden kann, persönliche Ziele zu erreichen und so gut zu sein wie man es kann. Themen sind dabei auch Fitness und Stressbewältigung sowie der Wunsch nach einem gesunden und erfüllten Leben. Ich hatte vor kurzem in Amerika die Möglichkeit, mit der ehemaligen US-Außenministerin Madeleine Albright, die aus der früheren Tschechoslowakei stammt, über das ,Running To Freedom’-Programm zu sprechen. Ich konnte sie beim „Aspen Ideas Festival“ in Colorado treffen. Wir haben in diesem Zusammenhang auch an die tragischen Ereignisse beim Boston-Marathon in diesem Jahr gedacht. Ich bekam übrigens in Bezug auf ,Running To Freedom’ großen Zuspruch aus Deutschland und das berührt mich wirklich sehr. 

Welche weiteren Verbindungen nach Deutschland haben Sie?

Uta Pippig: Sehr liebevolle. Eine Kinderhilfsorganisation, die wir über unsere Stiftung unterstützen, liegt mir sehr am Herzen: Die Kinderhilfe in Petershagen-Eggersdorf, meinem Heimatort in der Nähe von Berlin, wo auch meine Eltern leben. Und mit großem Dank und tiefer Wertschätzung arbeite ich schon seit vielen Jahren mit meinem talentierten und liebevollen Take The Magic Step-Team zusammen, dessen Mitglieder nicht nur aus den USA sondern auch aus Berlin und der Pfalz kommen. Es sind Freunde, die mich bei meinen Ideen, Zielen und Projekten bezüglich der Stiftung sowie Take The Magic Step und damit auch ,Running To Freedom’ unterstützen. Ich bekomme von ihnen auch emotional viel Feedback – das macht einfach Spaß. Nach Hause habe ich zu meiner Familie und meinen Freunden immer eine ganz enge Verbindung. Ich bin gerne in Berlin und freue mich riesig, dass ich mit allen zusammen den 40. BMW Berlin-Marathon feiern kann!

Sie sind bei vielen großen US-Straßenläufen, zum Beispiel dem Boston-Marathon, vor Ort – wo sehen Sie Unterschiede zwischen den Rennen dort und in Deutschland?

Uta Pippig: Das ist leicht zu beantworten. Es gibt keinen Unterschied mehr, die Begeisterung ist identisch. Denn gerade nach dem Anschlag in Boston sind wir noch enger zusammengewachsen. Hier wie auch dort lieben die Läufer ihre Rennen, die Organisatoren sorgen für einen optimalen Ablauf und es gibt sehr viele schöne und interessante Veranstaltungen. Müsste ich Boston und Berlin miteinander vergleichen – nun, dann kann ich aus voller Überzeugung sagen, dass beide Rennen zu meinen Lieblingsläufen gehören. Organisation, Zuschauerbegeisterung, Spitzen- und Breitensport sowie das gesamte Drumherum und die tolle Atmosphäre sind einfach mitreißend.

Wie oft und welche Strecken laufen Sie selbst noch?

Uta Pippig: Leider bin ich noch gehandicapt, weil ich mich im vergangenen Jahr einer Operation an der Oberschenkel-Muskulatur unterziehen musste. Zwei Jahre zuvor hatte ich einen schweren Radunfall von dem ich mich bis jetzt noch nicht vollständig erholt habe. Diese beiden Ereignisse erforderten eine lange Therapiezeit bis ich endlich die ersten Laufeinheiten ohne größere Probleme absolvieren konnte. Inzwischen habe ich wieder einen lockeren Laufrhythmus gefunden und bin sehr froh darüber. Jedoch muss ich mich mit weiteren Schritten der Heilung gedulden und brauche noch etwas Zeit, um die gesamte Muskulatur, auch die Sehnen und Bänder des Beines, sowie alle Strukturen des Rückens zu kräftigen. So kombiniere ich das lockere Laufen mit Schwimmen, Radfahren, Yoga und Stabilisationstraining. Mit viel Freude konnte ich nun schon einige lockere 10-km-Läufe absolvieren, jedoch ist alles noch sehr unbeständig.

Wie bewerten Sie die Entwicklung, die die Marathon-Weltspitze der Frauen in den vergangenen Jahren gemacht hat? Was erwarten Sie in den nächsten Jahren?

Uta Pippig: Die Frauen-Weltspitze hat in den vergangenen Jahren eine begeisternde Entwicklung genommen. Wir sehen jetzt eine enorme Breite in der Spitze, die es so noch nicht gegeben hat. Mehrere Läuferinnen sind in der Lage, Zeiten von 2:22 Stunden und schneller zu laufen. Ich rechne damit, dass diese Breite in der Spitze noch stärker werden wird, wenn weitere hochklassige 5- und 10.000-m-Läuferinnen zum Marathon wechseln werden. Bei einer solchen Quantität, folgt in der Regel auch eine Weiterentwicklung in der Qualität – sprich: Es wird noch schnellere Zeiten geben. Ich bin gespannt auf die nächsten Marathonrennen der Kenianerin Mary Keitany, der Olympiasiegerin Tiki Gelana und natürlich auf das Debüt der 10.000-m-Olympiasiegerin Tirunesh Dibaba. Vielleicht sehen wir bald vermehrt Zeiten im Bereich von 2:17 und 2:18 Stunden. Irgendwann wird dann auch der Weltrekord fallen. Aber ich glaube, das dauert noch eine Weile, denn die Leistung von Paula Radcliffe von 2:15:25 Stunden ist wirklich fantastisch.

Werden deutsche Läuferinnen in der Zukunft eine Chance haben, die Weltspitze zu erreichen?

Uta Pippig: Bestimmt, obwohl es ein herausfordernder Weg sein wird. Denn besonders die Läuferinnen aus Afrika und Asien werden immer wieder hervorragende Leistungen und schnelle Zeiten erreichen. Doch auch wir haben sehr talentierte und ambitionierte Läuferinnen mit Sabrina Mockenhaupt, Katharina Heinig, Anna Hahner und Lisa Hahner, die sich noch weiter etablieren können und ein großes Potenzial besitzen. Ich denke da beispielsweise an Irina Mikitenko, die gerade erfolgreich an den Master-Events teilnimmt und bewiesen hat, dass eine Zeit unter 2:20 möglich ist. Ich hoffe, es gibt genügend Unterstützung für die jungen Talente durch hilfreiche und erfahrene Menschen in ihrem Umfeld, einen weitsichtigen Trainer und dem nötigen Beistand der Eltern und Freunde, um sie auf ihrem Weg entsprechend zu fördern. Und natürlich werde ich sie kräftig anfeuern und ihnen ganz fest die Daumen drücken! Und wer weiß, vielleicht werde ich den ein oder anderen beim Berlin-Marathon treffen.

Text: race-news-service.com
Fotos: photorun.net (Boston-Marathon und Bellin Run)
Tim De Frisco (Portrait)

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