2013-07-19

von Martin Dowideit, Handelsblatt.com

19.07.2013, 16:07 Uhr

Über 100.000 Gläubiger warten auf Geld der Stadt Detroit. Nach der Pleite müssen vor allem städtische Angestellte um ihre Gesundheitsversorgung und Pensionen bangen. Doch auch eine deutsche Bad Bank hängt mit drin.

Düsseldorf. Die Pleite Detroits ist kein bloßes Gespinst des Finanzmarkts: Der Niedergang der Stadt ist überall spürbar. Der Notfall-Finanzmanager Kevyn Orr hat das in Präsentationen immer wieder zusammengetragen. Durchschnittlich 58 Minuten braucht die Polizei der Stadt mittlerweile, um nach einem Anruf vor Ort zu sein – im vergangenen Jahr waren es noch 30 Minuten. Etwa vier von zehn Straßenlaternen funktionieren nicht, immer schafft die Stadt es noch die Beschwerden darüber zu zählen: 3.300 waren es vor wenigen Monaten.

Am Donnerstag hat die Stadt kapituliert und Gläubigerschutz beantragt. Schätzungsweise 18,5 Milliarden Dollar an Schulden stehen aus und es stellt sich die Frage, wer die Zeche zahlt. Die Stadt zählt mehr als 100.000 Gläubiger, 3.000 Seiten umfasst das Dokument, in dem sie aufgelistet sind. Allen voran stehen die bislang ungedeckten Ansprüche des Rentensystems für die Mitarbeiter der Stadt. Etwa zwei Milliarden Dollar sind dort offen. Auf weitere 1,4 Milliarden Dollar werden die Ansprüche des Pensionsfonds der Polizisten und Feuerwehrleute der Stadt geschätzt. Auch die Gesundheitsverpflichtungen gegenüber den Pensionären sind groß.

Im Kampf gegen ihren gewaltigen Schuldenberg kann Detroit nicht auf Unterstützung von der US-Regierung hoffen. Die Schwierigkeiten müssten vor Ort gelöst werden, sagte eine Sprecherin von US-Präsident Barack Obama. Das Weiße Haus beobachte aber die Lage sehr genau und halte an der „engen Partnerschaft mit Detroit“ fest. Damit lässt das Weiße Haus die Auto-Metropole im US-Staat Michigan auf ihrem gewaltigen Schuldenberg sitzen.

Die beiden Pensionsfonds der Stadt hatten aus Angst auf Einbußen Klage gegen einen Plan eingereicht, den Sanierer Orr im Juni vorgestellt hatte. Der Finanzexperte hatte mit Gläubigern verhandelt und auf einen Verzicht von Forderungen gepocht. Künftig wird nach dem Chapter-9-Verfahren des Konkursrechts nun ein Insolvenzrichter entscheiden, welche Gläubiger der Stadt bevorzugt behandelt werden und wer vernachlässigt wird.

Erst nach den beiden Rentenkassen finden sich Anleihegläubiger der Stadt auf der Liste der 20 größten Gläubiger. Die Papiere sind in Treuhandgesellschaften der US Bank NA zusammengefasst, sodass die letztlich dahinterstehenden Investoren nicht aufgeschlüsselt sind. Zuletzt hatten namentlich die Schweizer Großbank UBS und eine Tochter der Bank of America (Merrill Lynch Capital Services) mit der Stadt über Forderungsverzichte verhandelt.

Zu einem Gläubigertreffen im Juni waren neben den Mitarbeiterorganisationen der Stadt und Gewerkschaften vor allem auch Anleiheversicherer geladen. Denn die meisten städtischen Anleihen sind durch Firmen wie MBIA, Financial Guarantee Insurance (mit Rückendeckung der Warren-Buffett-Holding Berkshire Hathaway) oder Syncora abgesichert.

Auch die Bad Bank der in der Finanzkrise kollabierten Hypo Real Estate mit Sitz in München ist von der Pleite Detroits betroffen. Die FMS Wertmanagement hält Anleihen der Stadt Detroit in Höhe von 200 Millionen Dollar, teilte ein Sprecher auf Anfrage von Handelsblatt Online mit. Die Wertpapiere gehörten zum Portfolio „Structured Products“ und seien bereits zuvor wertberichtigt gewesen. Mögliche weitere „Konsequenzen des Geschehens in Detroit werden aktuell detailliert analysiert“, hieß es weiter.

Eine Umfrage von Handelsblatt Online unter deutschen Großbanken und Versicherern hat kein endgültiges Bild ergeben, ob die Pleite Detroits weitere Auswirkungen hierzulande haben könnte. Die Commerzbank kommentiere mögliche einzelne Kreditnehmer grundsätzlich nicht, die Allianz steckt in der Schweigephase („Quiet Period“) vor der Verkündung der Quartalszahlen am 2. August. Die hessisch-thüringische Landesbank schloss einen Schaden für die Bank aus, es gebe keinerlei Positionen. Der Niedergang Detroits sei schon lange absehbar gewesen. Die Erste Abwicklungsanstalt, Bad Bank der ehemaligen Westdeutschen Landesbank, hat ebenfalls kein Engagement in Detroit.

Die Insolvenz Detroits ist die größte in den USA

Nur ein Bruchteil ihrer Schulden hat die Stadt in Form sogenannter spezieller Anleihen („General Obligation Debt“) gemacht (etwa 500 Millionen Dollar), die eigentlich durch Steuereinnahmen gedeckt sind. Doch die Pleite der in den 1950er-Jahren zweitgrößten Stadt der USA lässt Anleger zweifeln, ob diesen Deckungen zu trauen ist. Denn Orr hatte den Eigner in Verhandlungen vor der Insolvenz lediglich 20 Prozent ihrer Forderungen geboten.

Das Problem: In den gesamten USA macht der Markt dieser Papiere 900 Milliarden Dollar aus. „Investoren und Analysten werden die Zusagen dieser Papiere neu bewerten und was sie wirklich bedeuten, wenn ein Schuldner unter finanziellem Druck steht“, so Ben Watkins, der für die Anleihen des Bundesstaats Florida verantwortlich ist, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. Ganz wie die Finanzmisere in Griechenland erst die Zinsen griechischer Staatsanleihe und dann in einen Domino-Effekt auch andere Länder erfasste, könnte es auch den US-Kommunalpapieren ergehen.

Doch Detroit steckt natürlich auch in einer außergewöhnlichen Lage im Vergleich zu anderen US-Kommunen. Die Ausgaben für den Betrieb der städtischen Dienste haben seit 2008 die Einnahmen jährlich um rund 100 Millionen Dollar überstiegen. Zudem zehren Zinszahlungen für langfristige Verbindlichkeiten fast 20 Prozent des Haushalts auf. Darüber hinaus belasten milliardenschwere Pensions- und Gesundheitsverpflichtungen die Stadtkasse.

Lange schon dauert das Elend Detroits, jetzt hat der Gouverneur von Michigan die Notbremse gezogen: Die einst blühende Auto-Metropole hat Bankrott erklärt. Es ist die größte Pleite einer Stadt in der US-Geschichte. 

Während das Verfahren nach Kapitel Neun des US-Insolvenzrechts läuft, kann Detroit den Schuldendienst auf einige Verbindlichkeiten einstellen. Zudem ist die Stadt vorübergehend gegen die meisten Gerichtsklagen geschützt und kann einen Richter auffordern, Verträge einschließlich Tarifabkommen mit Gewerkschaften zu kündigen. Der erste Schritt im Verfahren wird wahrscheinlich ein Rechtsstreit darüber sein, ob die Stadt ein Recht auf Gläubigerschutz im Rahmen der Insolvenz hatte. Dabei würde gefragt, ob die Stadt tatsächlich insolvent ist und keine Alternative zum Insolvenzantrag hat.

Ein Vorteil des Verfahrens für Detroit: „Die Stadt kann ihren eigenen Bedürfnissen Vorrang geben, nicht denen der Gläubiger’“, sagt Mark Schwartz. Der früher auf Anleihen spezialisierte Anwalt hatte erfolglos versucht, die Stadt Harrisburg in Pennsylvania bei der Umstrukturierung von Schulden zu unterstützen. Der Insolvenzantrag wurde damals vom Gericht abgelehnt.

Die Insolvenz Detroits ist die größte in den USA. Danach kommen der kalifornische Bezirk Orange County, der in den 1990er Jahren Insolvenz beantragte, und Jefferson County im Jahr 2011. Im Fall von Orange County wurden die Forderungen der Gläubiger schlussendlich – nach Abschluss des Insolvenzverfahrens und jahrelangen Rechtsstreitigkeiten – vollständig beglichen. Jefferson County bemüht sich darum, den Gläubigern höhere Verluste aufzubürden als in irgendeinem kommunalen Insolvenzverfahren bisher. Dieser Rekord ist in Gefahr: Orr hat noch höhere Abschläge auf die Verbindlichkeiten vorgeschlagen als in Jefferson County angesetzt wurden.

Mit Material von Bloomberg.

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