2015-10-24

Aufatmen ist angesagt: Die empörten Laien können ihren Blick wieder von den Biologen abwenden, die ohne triftigen Grund seltene Tiere töten:

Good news!
Mit etwas Suche in der englischen Wikipedia stieß ich auf einen ausführlichen Artikel, in dem beschrieben wird, wie man auf Guadalcanal im Bergland Verbreitung und Häufigkeit des "Mustached Kingfisher" ermittelt hat. Die Population dürfte bei 4.000 Individuen stabil sein. Der Vogel ist also nicht wirklich selten, sondern wurde nur selten beobachtet.
Kein Grund für die Empörung, die man unter Laien ausgelöst hat.
MfG,
Merkur

Quelle:
http://ameisenportal.eu/viewtopic.php?f ... b198#p9539

Puh, da haben wir doch noch einmal Glück gehabt, oder?

Natürlich nicht: Man hat den Vogel seit Dekaden nicht gesehen, ist sich nun aber plötzlich sicher, dass die Population bei 4.000 Individuen liegt. Die Quelle wird leider nicht genannt (sehr wissenschaftlich!). Also was soll's - ausgehend von einer vermuteten Populationsgröße kommt es dann ja auf einen mehr oder weniger nicht an. Wollen wir hoffen, dass nicht noch geschätzte 4.000 weitere Wissenschaftler so verantwortungslos denken.

(Edit: Mittlerweile wurde die Quelle angegeben: Es ist die Stellungnahme des Forschers, der den Vogel getötet hat. Da vertraue ich doch lieber der unabhängigen Quelle, die Barristan im Folgebreitrag angegeben hat!)

Auch wird weiterhin suggeriert, dass das Töten des Vogels nur bei Laien Empörung auslöste. Dass aber insbesondere auch Wissenschaftler heftige Kritik üben, wird einfach unterschlagen. (Was kümmern einen gestandenen Wissenschaftler aber auch schon diese paar Nestbeschmutzer!?)

Vor allem soll die Ermordung des armen Piepmatzes ja dem Naturschutz dienen. Menschen, insbesondere Wissenschaftler, handeln natürlich allgemein nur aus Edelmut heraus. Daher würden sie Begriffe wie "Naturschutz" und "Wissenschaft" niemals missbrauchen um ein rein selbstsüchtiges Handeln zu rechtfertigen.

Und selbst wenn wir unserem Wissenschaftler unterstellen, dass er wirklich daran glaubt, dass er im Sinne des Naturschutzes gehandelt hat, so müssten wir im dann wohl auch schonend beibringen, dass es den Weihnachtsmann und den Osterhasen nicht gibt. Wenn dem Guten die Natur nämlich wirklich so am Herzen liegt, dann hätte er die weite Reise erst gar nicht gemacht. (Die Forschung an einheimischen Vogelarten ist wohl zu langweilig und verspricht nicht genügen Ansehen?) Stattdessen hätte er das dadurch eingesparte Geld für Entwicklungshilfeprojekte spenden können - die einzig sinnvolle Methode um in Entwicklungsländern und auch sogenannten Schwellenländern nachhaltigen Natur- und Umweltschutz zu gewährleisten. Denn nur wenn Menschen nicht mehr aus purer Not heraus Wilderei, unkontrollierte Brandrodung usw. betreiben müssen, existiert eine wirkliche Chance Flora und Fauna zu erhalten und zu schützen!

Gleiches gilt übrigens auch für Personen, die viel Geld dafür ausgeben um Großwild oder andere Tiere jagen zu dürfen. Oftmals hört man dann ja, dass das Geld doch in den Naturschutz fließen würde. Sie setzten sich also für diesen ein. Wären sie wirklich (ausschließlich) am Naturschutz interessiert, spendeten sie das Geld ohne Gegenleistung. Auch hier ist der Naturschutz nur ein Vorwand um das eigene Handeln zu rechtfertigen und womöglich das eigene Gewissen zu beruhigen.

Ich jedenfalls lasse mich durch solche Scheinheiligkeit nicht blenden und frage lieber: Cui bono?

Weiterhin wäre es natürlich interessant zu wissen, was mit dem Präparat des Vogels geschehen ist: Nahm der Forscher es mit zurück in die Vereinigten Staaten, oder besaß der Mann jedenfalls noch so viel Anstand (wie es einem Gast gebührte) es im Land (Salomonen) zu belassen? So könnte unser geflügelte Freund nach seinem erzwungenen Ableben wenigsten einheimischen Forschern dienlich sein.

Denn hier zeigt sich ja ein weiteres Problem: Forscher (verschiedenster Disziplinen) aus reichen (Industrie-)Staaten betrachten Entwicklungsländer oftmals als ihre Spielwiesen und legen ein Verhalten an den Tag, dass man viel zu oft als neo-kolonialistisch bezeichnen muss. Vielfach wird hierbei einfach die Notlage dieser Staaten ausgenutzt um die nötigen Genehmigungen zu erhalten. Mit ein paar Dollar schmiert sich fast jedes Getriebe wunderbar gelingt das ohne Probleme. Auch hier wären die jeweiligen Gelder besser in Bildungsprojekte investiert, die gewährleisten, dass Einheimische nicht nur als billige Hilfskräfte der externen Forscher fungieren, sondern selbst eine faire und gleichberechtigte Chance auf wissenschaftliche Bildung erhalten.

(Edit: Man stelle sich vor, was los gewesen wäre, wenn ein Forscher aus einem Entwicklungsland in den Vereinigten Staaten oder Deutschland einen so seltenen Vogel getötet hätte!)

Natürlich ist das sehr idealistisch gedacht und der Großteil der Wissenschaftler verfolgt keine grundsetzlich bösen Absichten. Oftmals handelt man vermutlich im Glauben etwas Gutes zu tun und hinterfragt sein Handeln gar nicht, da es einfach alltäglich und allseits anerkannt ist. Allgemein betrachtet macht das jeder von uns: Wir demonstrieren gegen ein Bauvorhaben, weil dadurch fünf Feldhamster ihr angestammtes Habitat verlieren würden; aber anschließend kauft man importierte Waren, bei deren Herstellung in einem Entwicklungsland die Umwelt in unvorstellbarem Maße geschädigt wurde. (Von den menschlichen Schicksalen wie Kinderarbeit usw. möchte ich gar nicht erst anfangen.) Auch hier fällt eine moralische Bewertung schwer. Denn der Großteil der Menschen verfolgt gute Absichten, macht sich aber zumindest indirekt schuldig. In gewisser Weise sicherlich ein Dilemma...

Umso wichtiger ist es, dass man Dinge - wie hier das Töten des Vogels - nicht einfach hinnimmt, sondern immer auch kritisch hinterfragt. Niemand kann alleine die Welt retten und alles Unheil ausmerzen. Aber mit etwas Verstand und etwas gutem Willen kann jeder einen kleinen Teil zu einer besseren Welt beitragen. So kann man z. B. bewusster mit Lebensmittel umgehen und diese nicht verschwenden. Von dem eingesparten Geld kauft man dann eben öfters mal fair gehandelte Produkte - ein sinnvoller und nachhaltiger Beitrag!

Oder, um es mit den Worten der Band "Die Ärzte" zu sagen:

Es ist nicht deine Schuld, dass die Welt ist, wie sie ist. Es wär' nur deine Schuld, wenn sie so bleibt!

Abschließend: Es geht nicht darum Chris Filardi für sein Handeln zu dämonisieren! Wenn die Diskussion über sein Tun aber nur eine handvoll Menschen dazu gebracht hat tradiertes wissenschaftliches Verhalten zu hinterfragen, so war sie es mehr als wert.

Ich halte das Töten des Vogels auch weiterhin für einen großen Fehler, doch geht es mir auch um die damit verbundene Heuchelei. (Ich verabscheue Heuchelei!) Daher möchte ich hier auch keinesfalls moralische Maßstäbe an andere anlegen, denen ich selbst niemals gerecht werden könnte. (Immerhin halte ich ja auch diese brandgefährlichen exotischen Ameisen ) So habe ich zwar keine Chance auf den Titel "Weltverbesserer", aber dafür muss ich auch nicht täglich aufs Neue heucheln und mich selbst belügen.

Statistik: Verfasst von Diffeomorphismus — Sa 24. Okt 2015, 13:58

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