2015-04-07

Schüler bekommt Verweis wegen »linksorientierter Gesinnung« nach Protesten gegen Bundeswehr.

Bayern, Bildung und die Bundeswehr:
Ende

Januar

kam ein Jugendoffizier an Ihre Schule. Friedensorganisationen haben vor
dem Schulgelände mit einem Stand protestiert. Doch dann wurde die
Polizei gerufen. Wie kam es zu der Eskalation?

Der Werbeoffizier kommt seit mehreren Jahren im Rahmen eines
Berufswahlseminars, das für die 9. und 10. Klassen verpflichtend ist.
Den Vortrag habe auch ich besucht, bin danach allerdings kurz zu unserem
Stand vor der Schule gegangen und habe mich mit Freunden unterhalten.
Zusammen mit anderen Organisationen haben wir als VVN-BdA einen
Infostand organisiert, um den Schülern auch eine andere Perspektive auf
die Bundeswehr zu zeigen. Als ich wieder zurückkommen wollte, wurde ich
von drei Hausmeistern aufgehalten. Einer von ihnen stand mit
Springerstiefeln und Armeehose da. Der hatte im vorletzten Jahr das
Schultor schon als »Reichsgrenze« bezeichnet. Ich sollte ihnen meinen
Rucksack öffnen, und sie wollten sogar eine Leibesvisitation machen. Das
habe ich natürlich abgelehnt. Auf Nachfrage sagte man mir dann, ich
stünde im Verdacht, Aufkleber anzubringen – also eine Straftat zu
begehen. Und dann rief man die Polizei.

Die ist ergebnislos wieder abgezogen. Trotzdem hatte die Geschichte für Sie noch ein Nachspiel.

Ich wurde am Folgetag in das Zimmer des Rektors zitiert. Da musste
ich mich im Beisein meines Vaters und eines Vertrauenslehrers sowie
meiner Klassenleiterin gegenüber dem Direktor und seinem Stellvertreter
sowie anschließend auch noch vor den Hausmeistern rechtfertigen. Nämlich
dafür, dass ich meine Meinung »derart beharrlich« vertreten habe. Und
dann folgte ein verschärfter Verweis. Der zählt als Androhung auf
Entlassung von der Schule. Ich könnte mich noch glücklich schätzen, hat
man mir gesagt, dass ich nicht vor den Disziplinarausschuss zitiert
wurde. Das habe man nur meiner Mutter zuliebe gemacht, die hier ehemals
Schülerin war.

In dem Verweis steht auch, dass Sie für »einen erfolgreichen
Abschluss« an Ihrer Schule darauf zu achten hätten, Äußerungen bezüglich
Ihrer »extremistischen politischen Meinung zu unterlassen«. Ein
Maulkorb für Sie?

Ich soll wohl mundtot gemacht werden. Meine Klassenleiterin hat mir
nun ein Redeverbot erteilt, und das nicht nur während des Unterrichts,
sondern auch im Privaten. Sie würde mit allen Mitteln verhindern, so
ihre Worte, dass ich meine Mitschüler von meiner Meinung überzeugen. Die
würde ich angeblich »rhetorisch überfahren«.

Gab es an der Schule denn je die Möglichkeit, sich kritisch mit der Bundeswehr auseinanderzusetzen?

Friedensinitiativen wurden nicht eingeladen. Und die
Bundeswehrsoldaten sind praktisch nicht auf die Nachfragen eingegangen.
Als ich etwa den Werbeoffizier gefragt habe, wie er zum Bombardement von
Oberst Klein in Afghanistan mit über 140 Toten steht, meinte der nur:
»Naja, man muss eben abwägen, ob man seine eigenen Jungs riskieren will
oder die halt.« Dann hat man uns erzählt, wie man sich einen
pflichtbewussten Deutschen vorstellen muss und wie schön es bei der
Bundeswehr ist. Das fand ich schon sehr dreist.

Und dazu hat Ihr Rektor, Martin Mattausch, kein Wort verloren?

Der kam während des Vortrags noch herein und hat uns aufgefordert, mit den Werbeoffizieren zu posieren und Fotos zu machen.

Schriftlich wird Ihnen eine »zweifelhaft linksorientierte
Gesinnung« vorgeworfen, mit der Sie die Lehrkräfte bedrängen. Wie
schafft man das?

Das ist nun das erste Mal gewesen, dass man mir das gesagt hat. Ich
hatte mich mit Lehrern schon kritisch unterhalten, wenn ich nicht mit
ihnen der gleichen Meinung war. Das war aber nie negativ aufgefasst
worden. Aber jetzt wird mir vor den Latz geknallt, dass ich meine Lehrer
rhetorisch in eine Ecke dränge. Und ich werde nun oft zu
Einzelgesprächen mit den Lehrern gerufen. Kurz vor dem Zwischenzeugnis
ist dann auch auf einmal meine Sportnote von einer zwei auf eine vier
gefallen. Aber mit diesem Zeugnis muss ich mich bewerben!

Trotz dieser Einschüchterungsversuche trauen Sie sich nun an die Öffentlichkeit.

Ich habe absolut nicht vor, mir das gefallen zu lassen. Auch die
VVN-BdA-Jugendgruppe sieht in diesem Fall einen wirklichen Skandal und
einen Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Dagegen braucht es eine
Öffentlichkeit, denn solche Schikanen gegen Schüler darf es einfach
nicht geben. Herr Mattausch muss diesen Verweis zurücknehmen.

https://www.jungewelt.de/2015/02-23/043.php

[Reposted from verschwoerer via Carridwen]

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