2015-11-09



SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid: „Von einem modernen, sozialen Rechtsstaat erwartet man, Humanität zu leben.“ Foto: SPÖ / Max Stohanzl

Am Rande der SPÖ-GeschäftsführerInnen-Tagung im Osttiroler Lavant bei Lienz sprach „SPÖ aktuell“ mit SPÖ-Bundesgeschäftsführer Gerhard Schmid über die Programm- und Organisationsreform der SPÖ, über Mittel und Wege im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit und darüber, wie die Flüchtlingskrise zu bewältigen ist.

„SPÖ aktuell“: Beim Treffen der SPÖ-BezirksgeschäftsführerInnen aus ganz Österreich war die Reform der Parteiorganisation ein wichtiges Thema. Wie weit ist dieser Prozess bis jetzt gediehen?

Gerhard Schmid: Im Leitantrag zur Organisationsreform wurde am Bundesparteitag 2014 festgehalten, dass die SPÖ einen „grundlegenden Kulturwandel“ anstrebt, der weit über bloße Satzungs- und Statutenänderungen hinausgeht. Oberstes Ziel ist es, ein attraktives politisches Betätigungsfeld zu sein. Bei der Tagung in Lavant haben wir daher über aktuelle Projekte der Bundesgeschäftsstelle informiert – etwa über das Rote Telefon mit den SPÖ-VertrauensanwältInnen oder die neue Kommunikationsstrategie. Zum anderen haben wir uns intensiv mit der Frage beschäftigt, wie wir als sozialdemokratische Partei mit dem Wertewandel in der Gesellschaft und den veränderten Erwartungen an die Politik umgehen sollen. Kurzum: Wir starten in Sachen Organisationsreform neu durch und befinden uns mitten in einer intensiven Planungs- und Vorbereitungsphase für Reformprojekte.

Zum Thema Wertewandel war auch Jugend- Trendforscher Bernhard Heinzlmaier geladen.

Genau. Bernhard Heinzlmaier hat mit uns auf Basis empirischer Erkenntnisse zu Milieus und Lebensstilen über die veränderten Bedingungen für Parteiarbeit im 21. Jahrhundert diskutiert. Mir ist es wichtig, dass wir für die Organisationsreform auch Perspektiven „von außen“ berücksichtigen. Das hat bei unserer Tagung bereits sehr gut funktioniert und spannende Diskussionen in Gang gesetzt. Auf Basis dieser Diskussionen haben wir gemeinsam mit den Bezirks- und LandesgeschäftsführerInnen überlegt, welche Bereiche besonders wichtig für die Parteireform sind.

Zum Beispiel?

Wir haben nicht nur darüber berichtet, was wir bisher erarbeitet haben, sondern haben dort auch Inputs, Projektideen und Lösungsansätze in verschiedenen Workshops erfasst. Dabei ging es zum Beispiel ums Thema Mitglieder und wie wir sie betreuen, oder wie sie, aber auch Nichtmitglieder, mehr mitbestimmen können. Neue Formen der Zusammenarbeit und eine bessere Gestaltung der Parteiarbeit vor Ort waren auch Themen, mit denen wir uns auseinandergesetzt haben. Aber auch Fragen der besseren Vernetzung mit zivilgesellschaftlichen AkteurInnen, der parteiinternen Schulungs- und Ausbildungsangebote und viele andere mehr wurden von uns diskutiert und werden uns die nächsten Wochen und Monate sicherlich intensiv begleiten.

Welche Rolle spielt hier die Erstellung des neuen Grundsatzprogramms?

Der Programmprozess und der Organisationsreformprozess sind eng vernetzt. Die Herausforderungen unserer Zeit verlangen nach neuen Lösungen – und diese muss die Sozialdemokratie auch liefern können. Das neue Grundsatzprogramm soll dabei eine Orientierungshilfe sein. Es ist wichtig, laufend zu prüfen, was wir unter unseren Grundwerten genau verstehen und wie wir sie zeitgemäß umsetzen. Die Programmkoordinatoren Josef Cap und Karl Blecha arbeiten aktuell gemeinsam mit zehn inhaltlichen Programmarbeitsgruppen intensiv an einem ersten Textentwurf, der Anfang 2016 zu erwarten sein wird.

Wie geht es danach weiter?

Dieser erste Gesamtentwurf soll sowohl innerhalb der Partei als auch in der Öffentlichkeit debattiert werden. Die Rückmeldungen und Feedbacks werden danach eingearbeitet. Der überarbeitete Entwurf wird dann allen Mitgliedern der SPÖ im Zuge einer Befragung vorgelegt. Noch nie hat es in der SPÖ einen so breiten Beteiligungsprozess gegeben.

Welche Themen wurden bei der Konferenz noch erörtert?

Neben der Parteireform ging es auch um ein anderes zentrales Thema – unsere Kommunikation. Auch die wollen wir, wie das Parteiprogramm, neu aufstellen. Daher richtete sich unsere Konferenz nicht nur an die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Bezirks- und auch Landesorganisationen, sondern auch an ihre Presse- und Social Media-MitarbeiterInnen. Wir wollen unseren Fokus in der Kommunikation stärker auf soziale und digitale Medien legen und uns in Zukunft stärker vernetzen. Landes-, Bezirksorganisationen, aber auch Teil- und befreundete Organisationen sollen noch enger zusammenarbeiten.

Apropos zusammenarbeiten: Vergangene Woche haben einander Regierung und Sozialpartner zum Arbeitsmarktgipfel getroffen – stimmen die Ergebnisse zuversichtlich?

Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, sind seit jeher Kernthemen der Sozialdemokratie – ja, Beschäftigung und ArbeitnehmerInnenschutz sind das Herzstück unserer Bewegung. Wir haben die Finanzkrise zwar besser gemeistert als die meisten anderen Länder und liegen auch bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit im EU-Vergleich weit vorne, aber jeder Arbeitslose ist einer zu viel. Der Arbeitsmarktgipfel setzt jetzt viele wichtige Impulse – so wurden arbeitsmarktpolitische Initiativen genauso beschlossen wie konjunktursteigernde Maßnahmen wie die Wohnbauoffensive. Wir haben ja schon 2009, am Höhepunkt der Krise, gesehen, dass Konjunkturpakete wirken. Und noch etwas wird die Konjunktur durch mehr Kaufkraft ankurbeln: Die Steuerreform 2016, durch die für ein Monatsbrutto von 2.100 Euro ein jährliches Plus von 900 Euro herausschauen wird. Zudem hat die SPÖ das Bonus-Malus-System für Betriebe durchgesetzt und es wird viel mehr Geld für ältere Arbeitslose und Langzeitarbeitslose in die Hand genommen. Es ist am effektivsten, an mehreren Hebeln anzusetzen. Alles in allem erwarten wir durch das Paket rund 60.000 neue Jobs. Die Ergebnisse des Gipfels stimmen mich also sehr zuversichtlich, ja.

Ein anderes aktuelles Thema ist die Flüchtlingskrise. Wie ist der Spagat zwischen Humanität und Ordnung zu schaffen?

Für die Sozialdemokratie steht in dieser Frage ganz klar Humanität und die Wahrung der Menschenrechte – einschließlich des Rechtes auf Asyl – an erster Stelle. Das ist auch so in unserem Parteiprogramm festgehalten. Gerade jetzt, wo die Winterzeit beginnt, müssen wir schauen, dass die Menschen ein Quartier haben und nicht mitten in Europa erfrieren, nachdem sie schon eine so lange, gefährliche Reise auf der Flucht vor Krieg und Folter überlebt haben. Von einem modernen, sozialen und aufgeklärten Rechtsstaat erwartet man, Humanität zu leben. Parallel dazu müssen wir aber auch dafür sorgen, dass die Ein- und Durchreise der Flüchtlinge geordnet passiert, dass wir die Menschen registrieren, die da in unser Land kommen, und dass wir auch wissen, wie viele es überhaupt sind. Österreich gehört zu den am stärksten frequentierten Ländern, Fakt ist aber auch, dass 95 Prozent auf der Durchreise sind und sich nur kurz in Österreich aufhalten. Klar ist, wenn ich von geordneter Einreise spreche, dass es dabei nicht darum geht, Österreich zu umzäunen. Das würde, nebenbei bemerkt, doppelt so viel kosten wie unser Bildungsbudget, nämlich 13,5 Mrd. Euro. Sondern es geht uns um Eintrittsportale bei den Grenzübergängen. Wichtig ist, den Menschen die Angst zu nehmen und gefährliche Situationen zu entschärfen.

Die Flüchtlingskrise kann aber nicht von Österreich alleine bewältigt werden – was tut die EU?

Die ganze EU steht vor einer riesigen Herausforderung und ist hier in höchstem Maße gefordert, denn es gibt leider viele Länder, die sich der Dramatik der Situation nicht bewusst sind. Klar ist, dass die Sicherung der Außengrenzen samt Hotspots zur Registrierung der Menschen vor Eintritt in die EU und damit zusammenhängend ein Quotensystem zur gerechten Verteilung notwendig sind. Dort muss schon entschieden werden, ob die Menschen eine Chance auf Asyl haben. Darüber hinaus ist es am wichtigsten, dass die Ursache für die Fluchtbewegung wegfällt, dass die Menschen in der Region, etwa um Syrien, bleiben und dort menschenwürdig leben können. Hier muss die EU, müssen aber auch die USA und die Golfstaaten Verantwortung übernehmen. Unser Parteivorsitzender, Kanzler Werner Faymann ist bei der Lösung der Flüchtlingskrise sehr aktiv. Er hat zwei Sondergipfel dazu initiiert und ist permanent mit der deutschen Kanzlerin Merkel im Gespräch, um die Bewegung zwischen Österreich und Deutschland zu regeln.

Der Artikel „Herausforderungen unserer Zeit verlangen nach neuen Lösungen“ erschien unter dieser Adresse SPÖ Aktuell.

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