2016-05-10

Zur Person

Recorded Future

Christopher Ahlberg, 47, wurde in Schweden geboren. Er war dort Soldat in einer Eliteeinheit und zog dann mit seinem ersten Software-Unternehmen “Spotfire” in die USA. Nach dessen Verkauf gründete er “Recorded Future”. Das Unternehmen trifft auf der Grundlage im Netz verfügbarer Daten Vorhersagen – über bevorstehende Cyberattacken, Pläne von Wettbewerbern oder drohende politische Unruhen. Zu Ahlbergs Gesellschaftern gehört In-Q-Tel, der Investment-Arm der US-Geheimdienstcommunity.

SPIEGEL ONLINE: Sie nutzen das Netz als Kristallkugel, für Vorhersagen aller Art. Wie genau funktioniert das?

Ahlberg: Als wir anfingen, wollten wir jeden Informationsschnipsel im Netz finden, der Aussagen über die Zukunft macht. Wir wollten diese Informationen in jedem Winkel des Netzes finden und in jeder Sprache verstehen.

SPIEGEL ONLINE: Das klingt nach der Polizei-Software “Predictive Policing”, die Aussagen über die Wahrscheinlichkeit von Autoaufbrüchen in bestimmten Stadtvierteln macht.

Ahlberg: So ähnlich kann man sich unser Produkt vorstellen, nur eben für die Onlinewelt. Die Muster sind ähnlich. Was sind Gefahrenindikatoren in unserem Alltag? Wenn bei meinem Nachbarn eingebrochen wird, zum Beispiel. Oder bei Leuten, die das gleiche Schlosssystem nutzen – oder dieselben Putzkräfte oder Handwerker haben. Unsere Algorithmen suchen nach solchen Mustern in der Onlinewelt und liefern sie an unsere Kunden, so dass sie sich rechtzeitig vorbereiten können.

SPIEGEL ONLINE: Woher beziehen Sie Ihre Informationen? Hacker werden sich kaum offen über Ziele und Methoden austauschen, bevor sie ein Unternehmen angreifen.

Ahlberg: Wenn es sich um “Hacktivisten” handelt, tun sie das durchaus. Anonymous beispielsweise kündigt via Twitter an, an einem bestimmten Tag japanische Webseiten anzugreifen, als Protest gegen den Walfang. So etwas greifen unsere Systeme über Social-Media-Kanäle ab, das ist der einfache Teil. Wenn es um Onlinekriminelle aus Russland, der Ukraine oder Moldawien geht müssen wir schon in andere Ecken schauen, ins Darknet beispielsweise oder in Hackerforen. Wir nennen das den Unterleib des Netzes.

SPIEGEL ONLINE: Viele dieser Foren sind passwortgeschützt, in andere kommt man nur auf Empfehlung und es gab den Vorwurf, dass Sie sogar Informationen aus privaten Facebook-Chats abgreifen. Wie weit gehen Sie?

Ahlberg: Wir sammeln eine Menge Informationen aus vielen Quellen, aber wir hacken nichts und tun nichts Illegales. Insgesamt ziehen wir unsere Daten aus rund 750.000 Quellen, in sieben oder acht Sprachen – das reicht von chinesischen Foren über diejenigen von russischen Onlinekriminellen bis zu Seiten aus Israel. Wir versuchen, an alles Relevante heranzukommen – aber es sind alles offene Informationen, “Open Intelligence”. Wir knacken keine Facebook-Chats.

SPIEGEL ONLINE: Versteht Ihr System deutsch?

Ahlberg: Wir haben gerade angefangen, das hat etwas länger gedauert. Wir haben mit Sprachen wie Russisch, Arabisch, Farsi und Chinesisch angefangen – für mich sind das die Sprachen, in denen die wirklich schlechten Nachrichten passieren.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben aber bereits deutsche Geschäftspartner: Die Deutsche Bank hat Kunden darauf hingewiesen, dass sie mit Recorded Future zusammenarbeitet.

Ahlberg: Ich werde einzelne Kundennamen jetzt nicht bestätigen, das wäre nicht fair, aber ja, wir arbeiten für eine Reihe deutscher Unternehmen. International nutzen neben Banken unter anderem Firmen aus dem Gesundheits- und Pharmabereich unsere Dienste. Vier der größten fünf Technologiekonzerne sind dabei – und einige der weltbesten Geheimdienste.

SPIEGEL ONLINE: Der Venture-Arm der US-Dienste, In-Q-Tel, ist ja sogar Gesellschafter bei Ihnen…

Ahlberg: …So wie Google Ventures, ja. Wir waren das zweite Investment, das die Google-Leute getätigt haben – aber wir halten von beiden Investoren eine Armlänge Abstand. Wir sind ein amerikanisches Unternehmen mit einem breiten Gesellschafterkreis und unterliegen keinen besonderen Verpflichtungen. Geheimdienste brauchen spezielle Quellen und spezielle Zugänge, das ist ein komplett anderes Geschäftsmodell. Auch Google hat keine besonderen Zugänge in unser System oder umgekehrt, sie verraten uns auch nicht ihre Geschäftsgeheimnisse. Das ist manchmal ein bisschen deprimierend, aber so ist es.

SPIEGEL ONLINE: Einer ihrer Kunden ist Levi’s. Wozu braucht ein Jeanshersteller ihre Vorhersagedienste?

Ahlberg: Cybersicherheit ist mittlerweile bei allen Unternehmen, die ich kenne, ein Vorstandsthema, für viele rangiert es sogar unter den Wichtigsten. Niemand will das nächste betroffene Unternehmen sein…

SPIEGEL ONLINE: …so wie Sony oder die Supermarktkette Target, deren Chefs über Datenabflüsse stürzten.

Ahlberg: Alle müssen ihren Laden sauber halten. Es macht einen Riesenunterschied, ob Sie vorab wissen, dass eine Angriffswelle mit einem bestimmten Schadprogramm auf Sie zurollt. Manchmal kann es dann schon reichen, ein Update auf die neueste Softwareversion zu machen. Modehersteller legen auch großen Wert darauf, ihr geistiges Eigentum zu schützen. Das Letzte, was sie gebrauchen können, ist doch, dass ihr neuestes Jeans-Modell vorab schon von einem chinesischen Hersteller verkauft wird. Für unsere Tech-Kunden arbeiten wir zudem an dem Problem, wie sie verhindern können, dass Terroristen ihre Plattformen nutzen.

SPIEGEL ONLINE: Ihre Vorhersagemaschine kann offenbar auch politische Unruhen erahnen. Schon 2010 sagten sie Chaos in Jemen voraus – das bald darauf eintrat.

Ahlberg: Wir befassen uns immer noch mit derlei Fragen. Für Unternehmenskunden geht es dabei vor allem um Reisewarnungen oder Risiken für die Lieferkette. Einige Nichtregierungsorganisationen, die in Krisenregionen wie Afghanistan oder Pakistan unterwegs sind, beziehen diese Informationen auch. Wirklich interessant ist ein Zusammenhang, den wir zunehmend sehen – zwischen dem Aufruhr im Netz und dem, was auf den Straßen passiert. Bei den Protesten auf dem Taksim-Platz in Istanbul traten im Netz schon bald Gruppen wie Anonymous und die Syrian Electronic Army massiv gegen Erdogan auf, kurz danach wurden sie wiederum von türkischen Cybergangs attackiert, die Pro-Erdogan waren.

SPIEGEL ONLINE: Recorded Future verrät Unternehmen auch Details über Vorhaben ihrer Wettbewerber, sie nennen das “Competitive Intelligence” – es geht um Pläne für neue Produkte und sogar deren Namen.

Ahlberg: Das machen wir nur noch für wenige Kunden. Aber ein deutsches Unternehmen, das sich Sorgen macht wegen eines chinesischen Wettbewerbers, will doch wissen, was die vorhaben und welche Technologien sie einsetzen.

SPIEGEL ONLINE: Ihr Geschäft wirft einige ethische Fragen auf. Würden sie beispielsweise auch für chinesische Behörden arbeiten?

Ahlberg: Die chinesische Regierung? Nein, auf keinen Fall. Aber ein chinesisches Bau-Unternehmen – damit hätte ich kein Problem.

Source link

The post Recorded Future: Christopher Ahlberg über Zukunftsprognosen appeared first on 23on.com.

Show more