Ich bin heute als Adler über Paris geflogen, verfolgt von bösartigen Artgenossen, die mir meine Beute wegnehmen wollten. Ich habe aus einem fahrenden Auto mit einer Maschinenpistole auf vorbeirasende Motorräder und Autos geschossen, einige sind dabei explodiert. Ich habe als Eishockeytorwart blitzschnell vorbeifliegende Pucks aufgefangen und mich in eine Eishöhle abgeseilt, an deren Wänden riesige Insektenwesen herumkrabbelten. Am meisten beeindruckt hat mich aber das mit dem Tischtennis.
Wer mit Computerspielen groß geworden ist, dem kommt “ich habe” im Zusammenhang mit etwas, das man doch nur im Spiel getan hat, ziemlich leicht über die Lippen. Wenn man es mit Virtual-Reality-Technologie (VR) zu tun hat, wirkt das “ich” aber ungleich passender. Man ist ein “ich” in der Spielwelt, weil sie einen vollständig umgibt. Weil die Klänge und visuellen Eindrücke der virtuellen Welt die der realen um einen herum völlig verschwinden lassen. Und weil man darin oft selbst zu handeln scheint, nicht nur eine Spielfigur steuert.
Plötzlich begreift man: Da ist ja noch jemand
Fliegt man als Adler über Paris, wie das in einer Demonstration des Softwarherstellers Ubisoft möglich ist, dann denkt man nicht daran, wie es für Beobachter aussehen mag, was man da mit seinem Kopf für seltsame Bewegungen macht.
Sitzt man schießend im Auto, wie in einer VR-Demonstration für Sonys Morpheus-Brille, fragt man sich allenfalls zwischendurch, ob man bei seinen wilden Schwenks mit der virtuellen Waffe real in der Nähe stehenden Personen versehentlich einen Nasenstüber verpassen könnte. “Presence” nennen die Fachleute das: Man fühlt sich, als sei man dort, nicht hier.
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Die Gamescom in Bildern:
Mein Spiel, mein Trikot, mein Tie-Fighter
Noch intensiver wird dieses Erlebnis, wenn man dort nicht allein ist. In einer neuen Demonstration der VR-Firma Oculus, die heute Facebook gehört, wird das bei der Kölner Gamescom hinter verschlossenen Türen erfahrbar gemacht.
Der Tester wird in einen Raum geführt, der aussieht wie eine Rundfunk-Sprecherzelle, mit schallschluckenden Schaumstoffprofilen an der Wand. Auf dem Boden liegt eine dicke Gummimatte, die man möglichst nicht verlassen soll – eine einfache Methode, den Spieler am richtigen Ort zu halten, nur auf Basis des Tastsinns der Füße. In die Hand bekommt man den neuen Touch-Controller von Oculus, eigentlich zwei Controller, mit je einem Abzugsknopf für den Zeige- und den Mittelfinger (siehe Bilderstrecke).
“Hallo!”, sagt die Maske
Hat man die Brille auf, findet man sich vor einem breiten, unregelmäßig geformten Tisch wieder, auf dem diverse Objekte herumliegen, grob gestaltet, wie Platzhalter in einem Programm für 3D-Design. Würfel und andere geometrische Formen in unterschiedlichen Größen, Bälle, ein Spielzeugpanzer, eine Roboter-Gliederpuppe. Die eigenen Hände sieht man als körperlose, halbdurchsichtige Gitterzeichnungen vor sich, krümmt man den Mittelfinger, ballen sich die virtuellen Hände zu Fäusten.
Auf der anderen Seite des Tisches schwebt eine Maske, darunter noch zwei Hände. Die Maske winkt und sagt “Hallo!” und man winkt unwillkürlich zurück, obwohl man es ja vermutlich mit einer Simulation zu tun hat. Dann sagt die Maske, beziehungsweise die Stimme, die man über seine Kopfhörer hört: “Jetzt heb mal etwas hoch, einfach mit dem Mittelfinger greifen.” Das klappt hervorragend, die Objekte können vom virtuellen Tisch aufgehoben, gestapelt oder weggeworfen werden.
Diese VR-Brillen gibt es
Die Oculus Rift gilt als Vorreiter der Branche. 2012 wurde ein erster Prototyp gezeigt, aktuell ist die zweite Version des sogenannten Entwickler-Kits erhältlich. Im Juni 2015 wurde schließlich die Version für Endkunden angekündigt . Anfang 2016 soll sie in den Handel kommen, einen genauen Termin oder einen genauen Preis hat das Unternehmen noch nicht genannt, das aktuelle Entwickler-Set kostet 350 Dollar plus Versandkosten und Einfuhrumsatzsteuer.
Kurze Tests mit Vorabversionen entsprechend angepasster PC-Spiele sind beeindruckend. Das früher oft bemängelte Problem , dass sich beim Benutzen der Brille Übelkeit einstellt, fällt bei den meisten Nutzern weg. Über eine Kamera kann Oculus zudem die Bewegungen des Nutzers erkennen, und in die virtuelle Welt übertragen. Zur Spielsteuerung hat Oculus den VR-Controller Oculus Touch angekündigt.
Ein großes Plus, das der Rift den Erfolg leichter machen wird, ist, dass sie ohne komplizierte Software-Installation mit Windows 10 zusammenarbeiten soll. Damit ist sie für PC, aber theoretisch auch für die Xbox One geeignet, für die Ende des Jahres eine Windows-10-Version erschienen soll.
Anders als die Oculus Rift soll Sonys Project Morpheus genannte VR-Brille nicht mit PC, sondern mit der Playstation 4 und der Playstation Vita zusammenarbeiten wer eine dieser Konsolen besitzt, kann also sicher sein, dass die Brille bei ihm funktioniert.
Zur Steuerung von Spielen lassen sich die Move-Controller nutzen, die es bereits seit einiger Zeit für die Playstation gibt. Bei ersten Tests mit Prototypen stellte sich bei der Morpheus ein ähnliches Spielerlebnis ein wie mit der Rift. Genau wie Oculus will Sony seine VR-Brille Anfang 2016 auf den Markt bringen und schweigt ebenfalls darüber, zu welchem Preis das Gerät angeboten werden soll.
Nach Oculus und Sony hat auch der Handyhersteller HTC eine eigene VR-Brille vorgestellt. Das Vive genannte Gerät wird gemeinsam mit den Spielentwicklern von Valve konstruiert. Über den Online-Dienst Steam VR sollen VR-Games via PC mit der Brille gespielt werden können.
Die beiden eingebauten Bildschirme stellen Full-HD-Video bei 90 Hertz Bildwiederholfrequenz dar, was für eine gute Bildqualität ohne Ruckler sorgen sollte. Bemerkenswert ist vor allem die Technik, mit der die Bewegungen des Spielers in die VR-Welt übertragen werden: Zwei Laser messen dazu millimetergenau, wo man sich aufhält, wie man sich bewegt. Anders als die Konkurrenz will HTC die Vive rechtzeitig zum Weihnachtsfest 2015 im Handel anbieten, das Unternehmen hat aber ebenfalls noch keinen Preis verraten.
Das Project Cardboard haben bei Google zwei Entwickler in den 20 Prozent ihrer Arbeitszeit entworfen, die sie für eigene Projekte nutzen dürfen. Googles Chefs fanden daran Gefallen und ließen eine Abteilung bilden, die daraus eine kommerziell nutzbare Technik machte. Auf der Entwicklerkonferenz Google I/O 2014 wurde das Projekt offiziell vorgestellt, Pappbausätze wurden verteilt, mit denen sich die Teilnehmer eigene VR-Brillen basteln konnten.
Mittlerweile gibt es eine Reihe interessanter Apps für Handys, die man dann einfach in die Pappkonstruktion einsteckt. Im Juni 2015 präsentierte der Konzern zudem sein Project Jump: Es beinhaltet eine Software zur Erstellung von Virtual-Reality-Filmen, den Bauplan für einen Kamera-Aufbau zum Filmen solcher VR-Videos und außerdem den Vertriebskanal für VR-Inhalte, nämlich YouTube.
Mit der Gear VR hat Samsung Googles Project Cardboard zu einem kommerziellen Produkt gemacht. In unserem Test hat die 200-Euro-Brille einen guten Eindruck hinterlassen. Grafisch bietet sie sogar noch mehr als beispielsweise die Oculus Rift, weil ihr Bildschirm eine deutlich höhere Auflösung hat als der in der Oculus-Brille. Allerdings macht dieser Bildschirm die Gear VR auch zum teuren Spaß: Derzeit bietet braucht man für die Gear VR Smartphone vom Typ Galaxy Note 4 oder Galaxy S6. Laut Liste kosten diese beidem Handys zwischen 600 und 800 Euro.
Samsung-Konkurrent LG reagierte auf die Gear VR mit einer eigenen Version des Project Cardboard, der VR for G3. Wie der Name es vermuten lässt, nutzt dieses Modell das LG-Smartphone G3 als Antrieb. Im Gegensatz zur Gear VR hat die LG-Brille allerdings keinen Preis. Wer sie haben will, muss ein G3 kaufen und bekommt sie dann gratis dazu.
Eine Edel-Variante des Project Cardboard hat die Optikfirma Zeiss entwickelt. Ein Unterschied zu den Produkten der Handyhersteller: Mit entsprechenden Adaptern lässt sich die Zeiss-Brille mit verschiedenen Smartphones nutzen. Derzeit sind Adapter für das iPhone 6 sowie Samsungs Galaxy S5 und S6 verfügbar.
Eine Besonderheit sind die von Zeiss entwickelten Speziallinsen. Sie sind auch für Brillenträger geeignet und derart gestaltet, dass man damit immer ein scharfes Bild sehen soll, ohne vorher den Abstand zu den Augen einstellen zu müssen. Das Gadget kostet 129 Euro.
Dann sagt die Maske: “Fang auf!” und wirft mir einen Ball zu, ich hebe die Hand, greife reflexhaft zu und fange. Und begreife, dass die Maske nicht vorprogrammierter Teil einer Simulation ist, sondern der freundliche Herr, der eben in einem anderen Raum verschwunden ist.
Jetzt ist er, seinerseits mit VR-Brille und Controller ausgestattet, am gleichen virtuellen Ort wie ich, obwohl wir real durch eine schaumstoffgepolsterte Wand voneinander getrennt sind. Längst habe ich aufgehört, mir über die Auflösung des Bildschirms Gedanken zu machen, die höher ist als bei den Entwicklerversionen der Brille, über Bildwiederholungsraten und Latenzen. Ich bin jetzt hier, im Dort, vollauf beschäftigt mit Wahrnehmen und Unsinn anstellen. Gemeinsam bauen wir erst einen Bauklötzchenturm. Die virtuelle Umwelt weckt kindliche Impulse. Wir kichern, beide.
Einer hält die Schleuder, der andere spannt das Gummiband
Irgendwann drückt mir die Maske einen Tischtennisschläger in die Hand, gemeinsam räumen wir den ganzen Unrat vom Tisch, und dann wird Pingpong gespielt. Der kleine Ball klackert ganz so, wie man es von ihm erwartet, über die Tischplatte, er hüpft, prallt ab, trifft den eigenen Schläger, fliegt ins Aus. Ein Match mit Slice und Topspin wäre vermutlich nicht drin, aber für ein bisschen hin und her reicht es.
Als ich mit einem gezielten Klötzchen-Wurf eine der großen Glaskugeln im Hintergrund zerbreche, zerbirst plötzlich die virtuelle Blase um uns herum, und Sterne und Planeten werden sichtbar. Die Schwerkraft verschwindet, Würfel und Spielzeuge, die eben noch auf dem Tisch lagen, schweben langsam nach oben, wir stehen auf einer runden Plattform im Nichts. Die Maske lacht und sagt: “Sieht aus, als seien wir jetzt im Weltraum.” Kurz darauf kehrt die Blase zurück, und damit auch die Schwerkraft, was irgendwie beruhigend ist.
Dann wird mit einer Steinschleuder auf ein Rummeplatz-Rad geschossen. Ich darf Bumerangs durch die Luft werfen und kann sie nach ein bisschen Übung auch wieder auffangen, kann mit Laserpistolen auf riesige Gartenzwerge schießen, die klirrend zerbersten. Die Zwille lässt sich auch kooperativ bedienen: Einer hält die Schleuder, der andere spannt das Gummiband.
Plötzlich ist die Maske riesengroß und ich bin ein Zwerg
Mit einer weiteren Sci-Fi-Waffe lasse ich die Maske und ihre schwebenden Hände auf Miniaturgröße schrumpfen. Sie revanchiert sich und schrumpft mich selbst. Plötzlich erscheint alles um mich herum riesengroß, die Maske schwebt bedrohlich-gigantisch über mir und spricht plötzlich mit viel tieferer, verzerrter Stimme, verwandelt mich dann aber schnell wieder zurück. Alles ein bisschen wie bei Alice im Wunderland.
Als das Ganze vorbei ist, höchstens eine Viertelstunde nach Beginn, ist mir zugegebenermaßen ein bisschen flau im Magen und die reale Welt fühlt sich etwas wackelig an.
Dennoch zeigt diese Hinterzimmer-Demonstration der Oculus-Brille, was eine mögliche Killerapplikation für diese Technik sein könnte: Der gemeinsame Aufenthalt in einem virtuellen Zauberreich, reale Interaktion im Irrealen. Nähe, unabhängig von der wirklichen Distanz, geteilte Räume im Nirgendwo. In William Gibsons Cyberspace.
Bleibt zu hoffen, dass die Spielebranche sich beim Gestalten dieser Interaktionen am Ende nicht auf das beschränkt, was sie schon vor vielen Jahren zur Standardinteraktion in Onlinespielen gekürt hat: aufeinander zu schießen.
Im Video: Die virtuelle Welt auf der Gamescom
REUTERS
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