Wie ein Wasserball treibt die deutsche Wirtschaft auf den unruhigen Wellen der Globalisierung. Die Aktienbrsen prsentieren das gerade eindrucksvoll.
Chinas Finanzmrkte schmieren ab – und der Leitindex Dax verliert soviel wie kaum ein anderer westlicher Markt. Amerikas Notenbanker uern Zweifel an der erwarteten Zinserhhung im September – und deutsche Aktien schieen hektisch in die Hhe. Was passiert kommenden Dienstag, wenn neue Zahlen zur Stimmung bei Chinas Managern verffentlicht werden? Gut mglich, dass es dann wieder abwrts geht.
Die heraufziehende Krise der Schwellenlnder zeigt, wie direkt Deutschland mit den Weltmrkten schwankt. Was der Wirtschaft fehlt, ist eine stabile Heimatbasis.
Frher stellte Europa dieses Fundament dar: Fast die Hlfte der Exporte gingen bei Grndung der Whrungsunion in die brige Eurozone. Seither ist dieser Anteil auf nur noch ein Drittel geschrumpft. Angesichts stagnierender Wirtschaft und politischer Unsicherheit orientierte sich die Industrie anderweitig – zunchst ein groer Vorteil, nun aber zeigt sich die Kehrseite.
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Brsenchart in Shanghai: Kehrseite der Orientierung nach bersee zeigt sich
Inzwischen ist Deutschland extrem vom berseebusiness abhngig. Keine andere groe Volkswirtschaft fhrt seit Jahren so hohe berschsse im Auslandsgeschft ein, insbesondere durch den Absatz in den groen Schwellenlndern und in den USA. Viele Konzerne machen dort einen Groteil ihrer Gewinne. Eine berragende Rolle spielt das China-Geschft. Entsprechend wre Deutschland von einem heftigen Konjunktureinbruch dort sprbar hrter getroffen als die Eurozone insgesamt oder die USA, errechneten krzlich die Volkswirte der Bundesbank.
Jetzt rcht sich, dass Staat und Wirtschaft ber Jahre den europischen Heimatmarkt vernachlssigt haben. Angela Merkel hat durch ihre Politik der kleinen Schritte in Kauf genommen, dass die Eurokrise bis heute nicht gelst, sondern lediglich eingedmmt ist.
Groe Befreiungsschlge, ein neuer Deal fr Europa, eine echte Bankenunion, ein kohrenter Plan zum Abbau von staatlichen und privaten Schulden, ohne den Europa kaum zu nachhaltigem Wachstum zurckfinden wird – all das war und ist mit Deutschland nicht mglich. Statt dessen gert die Whrungsunion immer wieder an den Rand des Scheiterns.
Europa-Mdigkeit unter deutschen Top-Managern
Die Folge ist eine schwelende Dauerkrise. Seit 2009 liegen groe Teile Europas konomisch darnieder. Zwischenzeitliche Meldungen ber relativ hohe Wachstumszahlen, wie sie diese Woche aus Spanien und – berraschung! – aus Griechenland kamen, ndern nichts an diesem Befund. Immer noch hat die Wirtschaftsleistung groer Lnder wie Italien noch nicht ihr Vorkrisenniveau erreicht – auch deshalb ist es denkbar, dass die EZB am Donnerstag angesichts der aktuellen Unwgbarkeiten ankndigt, noch mehr Geld in die Mrkte zu pumpen.
AFP
Vor der Brse in Mumbai: Abschwung in Schwellenlndern wirft Europa auf sich selbst zurck
Lange schien es, als knne sich die Bundesrepublik diese abwartende Politik leisten. Hatte sich die dynamische deutsche Wirtschaft nicht lngst vom Rest Europas entkoppelt?
Wer sich in den vergangenen Jahren mit Topmanagern aus Vorzeigebranchen wie der Autoindustrie oder dem Maschinen- und Anlagenbau unterhielt, stie auf akute Europa-Mdigkeit: lahmer Markt, schwierige Perspektiven, dazu die qulende Eurokrise, der rger ber vertragsbrchige Partnerlnder und zahlungsunwillige Schuldner – diverse Konzernchefs machten sich fr das Ausscheiden einzelner Lnder aus der Eurozone stark. Entsprechend handelten sie: kein Umsatz, kein Zutrauen. Investiert wurde woanders auf dem Globus.
So konnte der Eindruck entstehen, als habe die deutsche Wirtschaft weniger Interesse an einem guten Verhltnis zu den europischen Nachbarn als zu den autoritren Fhrungen Chinas und Russlands. Deutschland whnte sich der Nickeligkeiten des alten Kontinents entwachsen. Welch’ eine Illusion!
Auch konomisch ist Deutschland ohne ein starkes Europa nicht vorstellbar
Nicht nur politisch, auch konomisch ist die Bundesrepublik ohne ein stabiles Europa kaum vorstellbar. Konzerne wie Volkswagen, Bayer oder BMW sind darauf gebaut. Sie mgen gute Geschfte in Asien oder im Nordamerika machen. Aber ohne gesundes europisches Standbein wird die Konstruktion instabil – zumal wenn, wie derzeit, zwei von drei Beinen wackeln.
Falls die EU – und das heit zuvrderst die Eurozone – ihre Dauerkrise nicht berwindet, dann sieht es dster aus fr die deutsche Wirtschaft. Schon jetzt steht der freie Personenverkehr in der EU zur Disposition. Gut mglich, dass bei fortdauernden konomischen Schwierigkeiten auch der Warenverkehr durch neue Grenzen behindert wird.
Der Abschwung in den Schwellenlndern wirft Europa auf sich selbst zurck. Die Stabilisierung des Kontinents wird deshalb zur zentralen Aufgabe. Eigentlich stand die groe Debatte darber fr diesen Sommer auf dem Programm. Die Griechenland-Krise und der Streit in der Flchtlingsfrage haben das verhindert. Wenn nun auch im Herbst nichts vorangeht, wird es eng: Kommendes Jahr beginnen schon wieder die Wahlkmpfe in Deutschland und in Frankreich – und das sind wirklich schlechte Zeiten fr politische Durchbrche.
Die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der kommenden Woche
Montag
BRSSEL – Inflation, Deflation? – Vorlufige Zahlen zur Vernderung der Verbraucherpreise in der Eurozone im August: Schwache Werte knnten die EZB am Donnerstag zur Ankndigung weiterer Lockerungsbungen bewegen.
GTERSLOH – RTL, Gruner & Co. – Deutschlands immer noch grter Medienkonzern Bertelsmann berichtet vom Geschft im ersten Halbjahr.
Dienstag
PEKING – China-Stimmung, offiziell – Der Caixin Einkaufsmanager-Index fr die Industrie.
NRNBERG – (Noch) Gute Zeiten – Die Bundesagentur fr Arbeit verffentlicht die Arbeitsmarktdaten fr August.
Mittwoch
FRANKFURT – Auflaufen der Hochfinanz – Das “Handelsblatt” ldt zu seiner jhrlichen Bankentagung (bis Donnerstag). Mit dabei: Jrgen Fitschen (Deutsche Bank), Martin Blessing (Commerzbank), Georg Fahrenschon (Sparkassenverband), und Axel Weber (UBS)
WASHINGTON – Verschiebt die Fed die Zinserhhung? – Die US-Notenbank verffentlicht ihren Konjunkturbericht (“Beige Book”). Spekulationen, ob sie tatschlich, wie bis vorige Woche erwartet, im September die Zinsen erhht, werden dann in den Markt schieen.
Donnerstag
Frankfurt – Leichter, immer noch leichter? – Der Rat der Europischen Zentralbank (EZB) befindet ber die weitere Geldpolitik. Die Brsen werden genau hinhren: Sollte EZB-Chef Draghi angesichts der Unsicherheiten in China eine Ausweitung des “Quantative Easing” in Aussicht stellen, drfte das die Kurse beflgeln.
Freitag
Ankara – Whrungskrieger – Treffen der Finanzminister und Notenbank-Chefs der G20-Staaten (bis Samstag): Im Zentrum drften die heftigen Wechselkursschwankungen der vergangenen Wochen stehen.
BERLIN – Verblasste Mythen – Die Unterhaltungselektronik-Messe IFA beginnt.
Zum Autor
Roland Bge
Henrik Mller ist Professor fr wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universitt Dortmund. Zuvor arbeitete der promovierte Volkswirt als Vizechefredakteur des manager magazin. Auerdem ist Mller Autor zahlreicher Bcher zu wirtschafts- und whrungspolitischen Themen. Fr SPIEGEL ONLINE gibt er jede Woche einen pointierten Ausblick auf die wichtigsten Wirtschaftsereignisse der Woche.
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