2015-04-12

Es ist eine Frage, die immer wieder gestellt wird: Wenn laut Allgemeiner Relativitätstheorie (ART) die Schwerkraft nichts anderes ist als ein Phänomen der gekrümmten Raumzeit, wie kann es dann “Teilchen” der Schwerkraft (Gravitonen) geben, wenn man versucht, die ART mit der Quantenmechanik zu vereinen. Was soll ein “Graviton” sein – ein kleines Stückchen Raumzeitkrümmung?

Ich gebe zu, dass ich selbst lange Zeit keine gute Antwort auf diese Frage hatte. Inzwischen habe ich ein bisschen nachgedacht, und hier ist mein Versuch einer Antwort. Der Text ist letztlich das Resultat von Überlegungen, die ich in diversen anderen Posts vorher angestellt habe. Ich versuche trotzdem, ihn soweit möglich so zu schreiben, dass ihr ihn ohne Rückgriff auf ältere Texte verstehen könnt. Die Grundlagen erkläre ich deshalb relativ knapp, und gelegentlich mag es hilfreich sein, einem Link zu folgen.

Raumzeitkrümmung

Nach der allgemeinen Relativitätstheorie ist “Schwerkraft” ja nichts als ein anderes Wort für “Raumzeitkrümmung”. Eine Krümmung des Raumes bedeutet, dass sich Abstände zwischen Punkten ändern und die Geometrie nicht mehr so ist, wie wir sie mal in der Schule (auf flachem Papier) gelernt haben – die Winkelsumme im Dreieck ist nicht mehr unbedingt 180°, das Verhältnis von Kreisumfang zu Radius ist nicht mehr unbedingt 2π. Wenn ihr zum Beispiel mit einem (super-hitzebeständigen) Raumschiff genau an der Sonnenoberfläche um die Sonne fliegt und den Umfang messt, und anschließend einmal zum Mittelpunkt der Sonne, um den Radius der Sonne zu messen, dann werdet ihr feststellen, dass der so gemessene Radius um 500 Meter größer ist als ihr es an Hand des gemessenen Umfangs (mit der Formel Radius=Umfang / 2π) erwartet hättet.

Ein anderes Beispiel ist eine Gravitationswelle. Wenn ihr einen Ring aus Teilchen habt, und eine Gravitationswelle senkrecht auf diesen Ring trifft, dann wird dieser verzerrt, etwa so (ausführlich habe ich das mit den Gravitationswellen hier erklärt):

Hier noch eine schöne Animation einer Gravitationswelle – oben ein Bild ähnlich wie mein Teilchenring, darunter seht ihr, wie sich das ganze ausbreitet:

(Die Bilder sind von Einstein online , dank an Markus Pössel)

Soweit die Raumkrümmung. Zusätzlich beeinflussen Massen (die ja “Schwerefelder” erzeugen) auch den Zeitablauf – in der Nähe einer Masse gehen Uhren langsamer. Zusammen mit der Krümmung des Raums bekommt man deswegen eine Raumzeitkrümmung. Anschaulich kann man sich das so zusammenreimen: Wenn ihr 100 Meter nach Süden geht, dann 100 Meter nach Westen, dann 100 Meter nach Norden und dann 100 Meter nach Osten, dann kommt ihr wieder am Ausgangspunkt an – vorausgesetzt, ihr seid auf einer Ebene. Auf einer Kugel ist das anders – da ist ein solcher Weg nicht mehr geschlossen. (Wenn ihr am Nordpol steht, dann kommt ihr schon am Ausgangspunkt an, wenn ihr nur die ersten drei der vier Schritte gegangen seid – greift euch einen Globus, wenn euch das anschaulich nicht klar ist..)

Genauso können wir ein “Viereck” in der Raumzeit gehen. Wir machen das in zwei Schritten: Ich warte erst eine Sekunde und fliege dann 100 Meter nach oben. Ihr dagegen fliegt erst Hundert Meter nach oben und wartet dann eine Sekunde. Eigentlich sollten wir uns am Ende der jeweiligen Sekunde treffen, oder? Tun wir aber nicht, wenn wir ein einem Schwerefeld sind – dort geht die Zeit für euch schneller, und am Ende eurer Sekunde bin ich noch nicht da (weil meine Uhr langsamer geht). Detailliert habe ich das hier erklärt.

Quantenmechanik

So, jetzt habt ihr eine grobe Idee, wie das mit der Raumzeitkrümmung funktioniert (für eine Menge weiterer Artikel zum Thema könnt ihr die tag-Wolke rechts nehmen). Wenn wir die jetzt quantisieren wollen, dann müssen wir uns jetzt ganz allgemein fragen, wie man denn eigentlich eine “klassische” (also nicht-quantenmechanische) Theorie quantisiert. (Randbemerkung: Ich schlage hier die ART der klassischen Physik zu, in dem Sinne, dass sie eben nicht quantenmechanisch ist. Oft verwendet man den Begriff “klassische Physik” auch eingeschränkt für die newtonsche Physik und zählt die Relativitätstheorien schon zur “modernen” Physik. Ist irgendwie eine Frage des Geschmacks, heute ist es praktisch, die Grenze zwischen “klassisch” und “quantenmechanisch” zu ziehen.)

Nehmen wir als Beispiel ein Elektron. In der klassischen Physik betrachten wir das als ein punktförmiges Teilchen. Um zu wissen, was es gerade tut, müssen wir insbesondere wissen, wo es gerade ist. (Über die Geschwindigkeit mache ich mir hier keine Gedanken, sonst müsste ich mich gleich mit Dingen wie der Unschärfe-Relation herumschlagen, das führt aber vom Thema ab. Rechts bei den Artikelserien findet ihr eine Serie zur Schrödinger-Gleichung und einige andere Artikel zur QM, da erkläre ich das ausführlich.) Ein “klassisches” Elektron ist also durch seinen Ort gekennzeichnet, oder anders gesagt, wenn ich seinen Zustand wissen will, dann muss ich seinen Ort kennen. Der (Orts-)Zustand eines Elektrons ist also gekennzeichnet durch drei Zahlen für den Ort in den drei Raumrichtungen.

In der Quantenmechanik ist die Sache dagegen komplizierter. Hier ist der Ort des Elektrons nicht mehr unbedingt eindeutig bestimmt, sondern es gibt Überlagerungszustände. Diese geben nur noch die Wahrscheinlichkeit (mathematisch genauer die Wahrscheinlichkeitsamplitude) an, das Elektron irgendwo zu finden. Das Elektron kann zum beispiel eine Wahrscheinlichkeit von 5% haben, gerade vor meiner Nase zu sitzen, und 3% dafür, über meinem Kopf zu schweben usw. Wir müssen für jeden Ort, an dem das Elektron sein kann, eine solche Wahrscheinlichkeit angeben, dann haben wir den Zustand des Elektrons eindeutig beschrieben.

Das es unendlich viele Raumpunkte gibt, müssen wir für jeden dieser Punkte eine Zahl festlegen. Statt dreier Zahlen für den Zustand brauchen wir jetzt unendlich viele Zahlen. (Mathematisch gesprochen brauchen wir eine Funktion.) Ein Quantenzustand ist also deutlich komplizierter als ein klassischer Zustand (was übrigens auch der Grund dafür ist, dass man so viel Bohei um Quantencomputer macht – mit Quantenzuständen zu hantieren eröffnet eben mehr Möglichkeiten.) Diese Größe, die jedem möglichen Zustand eine Wahrscheinlichkeit (bzw. Wahrscheinlichkeitsamplitude) zuordnet, heißt Wellenfunktion.

Wenn ihr das Elektron tatsächlich an einem Punkt beobachtet, dann ist dort seine Wellenfunktion gleich eins (es ist ja sicher, dass ihr es dort findet,also ist die Wahrscheinlichkeit eins), überall anders gleich Null. Habt ihr das Elektron noch nicht beobachtet, dann kann es an ganz verschiedenen Orten sein, seine Wellenfunktion hat überall dort Werte ungleich Null. (Der Übergang vom Zustand vor zum Zustand nach der Messung ist der berühmte “Kollaps der Wellenfunktion”. Klickt hier wenn ihr wissen wollt, welche Folgerungen sich daraus für die Frage nach der Natur unserer Realität ergeben.)

Was bedeutet dieser Wahrscheinlichkeitskram nun, wenn ihr wissen wollt, wie ein physikalischer Prozess abläuft? Zunächst einmal bedeutet er, dass wir für Prozesse ebenfalls meist nur Wahrscheinlichkeiten angeben können. Wenn ihr zwei klassische Elektronen wie Billardkugeln aufeinanderschießt, dann passiert immer genau dasselbe, solange ihr dieselben Anfangszustände habt. Wenn ihr dagegen echte quantenmechanische Elektronen habt, dann müsst ihr berücksichtigen, wie die unterschiedlichen Wahrscheinlichkeiten die verschiedenen Möglichkeiten beeinflussen. Stellt euch die Wahrscheinlichkeiten ein bisschen wie eine Wolke vor (man spricht auch oft tatsächlich von Elektronenwolken) – an einigen Stellen ist die Wolke dichter (hohe Wahrscheinlichkeit) an anderen dünner. Sind die Wolken für die beiden Elektronen am selben Ort sehr dicht, dann haben wir eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, dass sie stark wechselwirken. Eine Möglichkeit, das ganze zu berechnen, ist es, für jede der einzelnen (sozusagen klassischen) Möglichkeiten zu gucken, was passieren kann (Elektron 1 ist hier, Elektron 2 ist da, oder Elektron 1 ist hier, Elektron 2 ist dort usw.), und all diese Einzelmöglichkeiten mit den jeweiligen Wahrscheinlichkeiten zu verrechnen und am Ende alles aufzuaddieren. Klingt kompliziert? Ist es auch. Mathematisch vereinfacht man sich das oft mit Hilfe der berühmten Feynman-Diagramm, die ich hier erklärt habe. Details schauen wir uns hier aber erst mal nicht an.

Quantengravitation

So, und damit ist eigentlich schon klar, wie man die Raumzeitkrümmung mit der Quantenmechanik vereinen kann: Eine quantenmechanisch beschriebene Raumzeit kann in einem Überlagerungszustand sein, bei dem also unterschiedliche Krümmungszustände jeweils eine Wahrscheinlichkeit haben. Es gibt dabei eine kleine Schwierigkeit, weil wir “Raumzeit”, anders als Elektronen, nicht direkt beobachten können. Wir können uns aber – so wie oben beim Bild der Gravitationswelle – vorstellen, dass wir den Raum mit kleinen Teilchen auffüllen, deren Verhalten wir dann beobachten. (Der Einfachheit halber tun wir so, als würden diese Teilchen nicht der Quantenmechanik unterliegen.)

Stellt euch also wieder einen Ring aus solchen Teilchen vor, genau wie oben. Wir können uns vorstellen, dass wir den Abstand zwischen zwei Teilchen messen können, weil sie sich vielleicht elektrisch anziehen oder abstoßen – je größer der Abstand, desto kleiner die Kraft. Wenn eine klassische Gravitationswelle auf die Teilchen trifft, dann wird der Abstand periodisch größer oder kleiner, entsprechend variiert auch die Kraft.

Als nächstes betrachten wir jetzt eine quantenmechanische Überlagerung verschiedener Krümmungszustände der Raumzeit. Nehmen wir – auch wenn das physikalisch nicht sehr sinnvoll ist – an, wir hätten eine Wahrscheinlichkeit von 50% dafür, dass der Abstand der Teilchen unverändert ist und 50% dafür, dass er sich halbiert. Wenn wir jetzt die Kraft zwischen unseren Teilchen messen, dann messen wir in 50% der Fälle den unveränderten Wert, in 50% der Fälle ist der Kraft größer (genauer gesagt vervierfacht, weil die elektrische Kraft mit dem Quadrat des Abstands abnimmt). Beachtet bitte, dass unsere Teilchen selbst ja (laut Hypothese) nicht der Quantenmechanik unterliegen – es sind klassische Teilchen, die aber auf die Quantennatur unserer Raumzeitkrümmung reagieren.

So wie wir beim Elektron (oder bei der Begegnung zweier Elektronen wie oben beschrieben) alle Möglichkeiten berücksichtigen müssen, so müssen wir es jetzt auch für die Raumzeitkrümmung tun. Um zu wissen, wie ein Prozess abläuft, müssen wir also alle Möglichkeiten für die jeweiligen Raumzeitabstände der beteiligten Teilchen betrachten und die alle mit der zugehörigen Wahrscheinlichkeit verrechnen.

Damit wir das können, müssen wir also für jeden denkbaren Raumzeitkrümungszustand die zugehörige Wahrscheinlichkeit kennen. Ähnlich wie beim Elektron können wir von einer Wellenfunktion sprechen – die wird hier aber noch wesentlich komplizierter, weil wir jetzt nicht bloß jedem Ort eine Zahl zuweisen müssen, sondern jedem denkbaren Raumzeitkrümmungszustand (und um die Raumzeitkrümmung zu kennen, müssen wir an jedem Ort und zu jeder zeit die entsprechende Krümmung wissen). Mathematisch wird das ganze deswegen noch komplizierter als beim Elektron. (Die zugehörige Theorie namens Quantenfeldtheorie ist entsprechend happig – wenn ihr rechts bei den Artikelserien klickt, dann könnt ihr meinen Versuch finden, zumindest ein paar Einblicke zu geben.)

Gravitonen

Gravitonen sollen ja das “Vermittlerteilchen” der Gravitation sein. Und das ist jetzt genau der Punkt, wo die Anschauung erst einmal zu haken scheint: Wenn die Gravitation nichts ist als Raumzeitkrümmung (und Quantengravitation eine Überlagerung von Raumzeitkrümungen), was haben dann Teilchen damit zu tun? Eine Gravitationswelle ist ja eine Verzerrung der Raumzeit, die sich ausbreitet, wie die Animation oben zeigte – wo ist da Platz für ein “Teilchen”?

Schauen wir, um das besser zu verstehen, einmal kurz, wie das ganze bei elektromagnetischen Wellen aussieht. (Ausführlich habe ich das gerade hier getan – so ziemlich alles, was in dem Artikel über Photonen steht, sollte sich auf Gravitonen übertragen lassen. Dort wird auch auf den Zusammenhang mit den Überlagerungen detailliert eingegangen.) Denken wir uns also eine elektromagnetische Welle (kurz em-Welle), die wir so veranschaulichen können:

In grün habe ich das elektrische Feld gezeichnet, in Magenta das Magnetfeld. Der gelbe Pfeil kennzeichnet die Ausbreitungsrichtung. In der klassischen Physik kann so eine elektromagnetische Welle eine beliebige Energie haben. In der Quantenmechanik dagegen nicht – hier können wir der Welle Energien nur in Form von “Quanten” entnehmen, also in Energiepaketen. (Beim Licht heißen die Quanten “Photonen”.) Wir können ein oder zwei oder hundertsiebenundvierzig Quanten in der Welle haben, aber nicht achteinhalb oder siebzehn-dreiviertel. (Anmerkung für ganz Genaue: ich ignoriere der Einfachheit halber die Nullpunktsenergie). Weil wir die Energie nur in Paketen entnehmen oder zufügen können, ist die Energie der Welle eben gequantelt. Und da jedes dieser Quanten dieselbe Größe des Energiebetrags hat, kann man bei einer Welle mit hundersiebenundvierzig Quanten eben sagen, dass sie aus 147 Teilchen, den Photonen, besteht. (Dass das ganze durchaus kompliziert sein kann und dass die Zahl der Teilchen in einer Welle nicht immer eindeutig festgelegt ist, habe ich im verlinkten Artikel erklärt.)

Genau dasselbe gilt auch für Gravitationswellen. Auch bei denen ist die Energie gequantelt – wenn eine Welle zum Beispiel zwei Massen gegen eine Kraft bewegt (weil sie ja die Abstände ändert) und dabei Energie verliert, dann kann sie das auch nur in Form von Energiequanten tun – entweder die beiden Teilchen nehmen ein Quant auf (und haben dann eine höhere Energie) oder eben nicht.

In diesem Sinne lässt sich – genau wie bei der elektromagnetischen Welle – sagen, dass eine Gravitationswelle aus Teilchen besteht.

Gravitonen tragen aber nicht nur Energie, sondern auch Impuls mit sich.Für ein klassisches Teilchen mit einer Masse ist der Impuls gleich dem Produkt aus Geschwindigkeit und Masse, das habt ihr vermutlich mal in der Schule gelernt. In der newtonschen Mechanik ändert sich der Impuls dann, wenn eine Kraft wirkt. Das wichtige am Impuls ist, dass er eine Erhaltungsgröße ist – addiert ihr in einem abgeschlossenen System alle Impulse, so ändert sich der resultierende Gesamtimpuls nicht. Wenn zum Beispiel eine Billardkugel frontal auf eine andere stößt, dann bleibt die erste Kugel liegen und die zweite Kugel rollt mit derselben Geschwindigkeit weiter (naja, näherungsweise, wenn wir mal Dinge wie Reibung etc. vernachlässigen). Rein von der Energieerhaltung könnte man das nicht verstehen, danach könnten auch beide Kugel weiterrollen, solange die Gesamtenergie dieselbe ist, aber die Energie- und Impulserhaltung zusammen sorgend dafür, dass eine Kugel stehen bleibt und die zweite rollt. (Wenn ihr guten Physikunterricht hattet, dann habt ihr das vielleicht mal ausgerechnet.)

Auch hier können wir uns die Analogie zum Licht zu nutze machen, um den Impuls von Gravitonen zu verstehen. Betrachten wir ein Elektron, das zum Beispiel in einer Antenne sitzt und sich dort auf und ab bewegt, um eine elektromagnetische Welle zu erzeugen. Diese Welle bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit weiter und wird von einem anderen Elektron in einer anderen Antenne teilweise aufgenommen, worauf dieses Elektron beschleunigt wird. Offensichtlich wurde hier Impuls vom einen Elektron auf das andere übertragen, also muss die em-Welle den Impuls vom einen Elektron zum anderen getragen haben. Da die em-Welle aus Photonen besteht, tragen einzelne Photonen also auch einen Impuls.

Bei einer Gravitationswelle ist das ganz ähnlich. Wenn die die Teilchen unseres Rings oben gegeneinander bewegen kann, indem sie die Abstände zwischen den Teilchen beeinflusst, dann kann dabei auch ein Impuls übertragen werden. Also muss auch die Gravitationswelle einen Impuls besitzen.

Gravitationswellen transportieren also Energie und Impuls (und auch noch Drehimpuls, aber den spare ich mir erst mal) von einem Ort zum anderen. Ganz ähnlich wie die Energie ist in der Quantentheorie der Gravitationswelle auch der Impuls quantisiert – die Welle besteht also aus einzelnen “Paketen” mit einem bestimmten Impuls und einer bestimmten Energie. Und wenn Energie und Impuls in Paketen von einem Ort zum anderen gelangen, dann ist es einigermaßen sinnvoll, davon zu sprechen, dass diese Pakete eben “Teilchen” sind. In diesem Sinne sind Gravitonen also “Teilchen”.

Das Alternativbild: Gravitationsfelder

Falls ihr die Anschauung immer noch schwierig findet, könnt ihr das Problem auch ganz anders angehen: Ihr müsst nämlich den Einfluss der Gravitation gar nicht mit Hilfe der Raumzeitkrümmung beschreiben. Es ist stattdessen auch möglich, sich vorzustellen, dass die Gravitation die Materie beeinflusst und wie ein Feld wirkt. (Ausführlich habe ich das hier, hier und hier erklärt.) Statt beispielsweise den Raum zwischen zwei Objekten auszudehnen, kann man sich genau so gut vorstellen, dass die Objekte selbst (und alle Maßstäbe) schrumpfen, das kommt auf’s selbe raus.

In dieser Feld-Interpretation der Schwerkraft ist die Gravitation eine Kraft ganz ähnlich wie die elektromagnetische Kraft. Der wichtigste Unterschied ist der, dass elektromagnetische Felder nur auf elektrische Ladungen wirken und nur von diesen erzeugt werden. Das Gravitationsfeld wird dagegen von jeder Masse (und jeder Energie) erzeugt. Nur deswegen kann es auf alle Objekte “gleich” wirken, so dass sich eben in diesem Bild alle Maßstäbe passend verändern.

Die Feld-Interpretation hat den Vorteil, dass Gravitonen jetzt nicht mehr etwas deutlich anderes zu sein scheinen als zum Beispiel Photonen – Photonen sind die Teilchen des em-Feldes, Gravitonen die des Schwerefeldes. Gedanken darüber, wie die Raumzeitkrümmung aus “Teilchen” bestehen kann, braucht man sich in diesem Bild nicht zu machen.

Aber wie gesagt, die Feld-Interpretation ist nur eine andere Interpretation der Gleichungen der ART – alles, was man sich in dieser Interpretation überlegen kann, gilt auch, wenn man beim Bild der Raumzeitkrümmung bleibt. Und ich habe oben ja versucht, einigermaßen plausibel zu machen, in welchem Sinne man sich vorstellen kann, dass die “Raumzeitkrümmung” aus Teilchen bestehen kann.

Nachweis von Gravitonen

Zum Abschluss stellt sich natürlich noch die Frage, wie man Gravitonen denn nachweisen soll, wenn es sie denn – laut Quantenmechanik – geben muss. Das ist leider extrem schwierig. Der Grund dafür ist, dass die Energie, die in Gravitationswellen steckt, sehr gering ist. Laut Wikipedia erzeugt zum Beispiel der Umlauf der Erde um die Sonne Gravitationswellen mit einer Energie von 300 Watt – die gesamte Energie der von Erde und Sonne abgestrahlten Gravitationswellen reicht also gerade mal, um ne Mikrowelle im Auftau-Modus zu betreiben. Selbst der Nachweis von Gravitationswellen ist also schon schwierig.

Noch viel schwieriger ist es, Gravitonen nachzuweisen. Das liegt daran, dass die Energie eines Gravitons – genau wie die eines Photones – von der Frequenz der Welle abhängt. Und weil sich zur Erzeugung von messbaren Gravitationswellen große Massen bewegen müssen, liegen die Frequenzen, um die es hier geht, im Bereich von Sekunden (wenn zum Beispiel zwei Neutronensterne sich umkreisen) oder Jahren (wie bei Erde und Sonne). Die Energie, die ein Graviton enthält, das von der Bewegung der Erde um die Sonne abgesandt wird, sollte demnach etwa 20 Trilliarden (eine 2 mit 22 Nullen) mal kleiner sein als die eines Photons des sichtbaren Lichts, wenn ich mich nicht verrechnet habe. (Und selbst bei zwei Neutronensternen, die sich in einer hundertstel Sekunde umkreisen, ist der Faktor noch eine Billion.) Ein Detektor, der solche winzigen Energiemengen aufnehmen soll, müsste also unglaublich empfindlich sein. (Deswegen waren die Physikerinnen ja so begeistert, als es letztes Jahr schien, dass man in der kosmischen Hintergrundstrahlung Spuren von Gravitonen entdeckt hätte – leider hat sich das aber ja als Irrtum herausgestellt.)

Fazit

Die Raumzeitkrümmung kann Energie und Impuls tragen – nach den Regeln der Quantenmechanik sind diese Größen aber quantisiert und können zum Beispiel aus einer Gravitationswelle nur in Paketen bestimmter Größe entnommen werden. Diese “Pakete” verhalten sichdeshalb so, wie es auch andere Teilchen (zum Beispiel Photonen) in der Quantenmechanik tun. Deswegen kann es sinnvoll sein, von “Gravitonen” zu sprechen, den “Teilchen der Raumzeitkrümmung”.

Wie die Quantengravitation der Gravitonen funktioniert (oder eben nicht) und wo die Schwierigkeiten dabei stecken, das verschiebe ich auf ein anderes Mal.

Anmerkung: Wie so oft in letzter Zeit stehen die Dinge, die ich hier erklärt habe, so in keinem Buch (warum, weiß ich nicht). Ich denke, ich habe mir alles richtig zusammengereimt, übernehme aber keine Garantie, falls ihr euch in eurer Physikprüfung auf meinen Blog beruft.Ach ja, ebenfalls wie so oft in letzter Zeit verwende ich im Text ein generisches Femininum – klickt hier, wenn ihr wissen wollt, warum (und falls ihr etwas zum diesem Thema sagen wollt, hinterlasst den Kommentar bitte auch dort, nicht hier.)

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